© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

Letzter Sieg der letzten Reiter
Vor neunzig Jahren, am 22. Mai 1919, wurde das bolschewistisch besetzte Riga von deutschen Freikorps befreit
Felix Krautkrämer

Vor neunzig Jahren tobte in Deutschland vielerorts ein erbitterter, bürgerkriegsähnlicher Kampf zwischen den Truppen der noch jungen Reichsregierung und zahlreichen, meist spartakistischen Aufständischen, die anstelle der Republik lieber eine „Diktatur des Proletariats“ gesehen hätten. Es war die Zeit der sogenannten Freikorps, jener militärischen Einheiten des Nachkrieges, um die sich bis heute zahlreiche zumeist negative Gerüchte und Legenden ranken. Was dabei jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Nicht nur im Inland und an den Grenzen, auch außerhalb des Reiches, im Baltikum, kämpften deutsche Freiwilligenverbände im Auftrag der Regierung gegen den sich ausbreitenden Bolschewismus. Allerdings sollte sich gerade hier zeigen, wie dünn das Band zwischen der Berliner Regierung und den Freikorps war.

Die Oberste Heeresleitung (OHL) hatte nach dem deutschen Zusammenbruch alle Mühe, die baltischen Länder während der Rückführung des Ostheeres von nachdrängenden Bolschewisten freizuhalten und dadurch einen Puffer zur ostpreußischen Grenze zu schaffen. Ende November hatte sich in Lettland eine provisorische Regierung unter Karlis Ulmanis gegründet, die, nationalistisch ausgerichtet, vor allem einen Kurs gegen die ehemals baltendeutschen Herren fuhr. Genausowenig war die neue Regierung aber gewillt, ihr Land den von Osten her drängenden Bolschewisten zu überlassen, die bereits den Großteil Estlands und ganz Livland besetzt und Anfang Januar 1919 auch Riga genommen hatten.

Der rasche Vormarsch der sowjetischen Truppen führte dazu, daß sich Ulmanis gezwungen sah, die noch im Baltikum verbliebenen deutschen Freiwilligenverbände um Unterstützung zu bitten. Ende Dezember schloß er daher einen entsprechenden Vertrag mit dem deutschen Gesandten August Winnig. Unterstützung fand Ulmanis auch bei der Entente, die von der Reichsregierung aufgrund des Waffenstillstandsvertrags forderte, mit ihren Truppen so lange das Baltikum gegen die sowjetischen und lettischen Bolschewisten zu verteidigen, wie es die Alliierten für notwendig erachteten. Allerdings waren die deutschen Freiwilligenverbände im Baltikum, maßgeblich die Eiserne Brigade und das Detachement Randow, hierfür noch zu schwach. Und auch die zweite existierende Freiwilligeneinheit, die hauptsächlich aus Deutschbalten bestehende Baltische Landeswehr, verfügte noch nicht über ausreichende Kräfte.

Dies änderte sich jedoch mit dem zwischen Ulmanis und Winnig geschlossenen Vertrag. Durch ihn sollte jeder deutsche Freiwillige die Möglichkeit erhalten, lettischer Staatsbürger zu werden, um so günstig Siedlungsland erwerben zu können. Die Aussicht auf ein eigenes Stückchen Land bescherte den Anwerbestellen der Freikorps im Reich einen regelrechten Ansturm. Bereits Mitte Januar konnte der neue Kommandeur der Eisernen Brigade, Major Josef Bischoff, seine bis dahin doch recht schwache Einheit zu einem schlagkräftigen Verband, der Eisernen Division, ausbauen. Ebenso wuchs auch die Stärke der nun unter dem Kommando des deutschen Major Alfred Fletcher stehenden Baltischen Landeswehr von 1.200 auf etwa 3.000 Mann.

Gleichzeitig hatte die OHL Mitte Januar die Kurlandfront, die in etwa dem Verlauf der Windau entlang verlief, unter den Befehl des „Befreiers von Finnland“, Generalmajor Rüdiger Graf von der Goltz, gestellt. Dieser ging Anfang März zum Angriff über. In einer breit angelegten Offensive begannen die 1. Garde-Reserve-Division am rechten Flügel, die Baltische Landeswehr links und die „Eiserne Division“ als Stoßdivision in der Mitte mit der Befreiung Kurlands. Nach heftigen Kämpfen konnte die Landeswehr am 20. März Mitau nehmen. Für den Großteil der dort von den Bolschewisten gefangengehaltenen Deutschbalten kam die Befreiung jedoch zu spät. Sie waren bereits brutal ermordet worden.

Ende März war nahezu ganz Kurland wieder unter deutscher Kontrolle. Während die Freiwilligenverbände dies jedoch nur als eine Etappe bei der Rückeroberung des gesamten Baltikums ansahen und darauf brannten, Riga zu nehmen, war für die Regierung in Berlin die Aufgabe der deutschen Truppen erfüllt. Und auch die Regierung Ulmanis begann, den deutschen Truppen nach und nach die Unterstützung zu entziehen. Vor allem aber weigerte sie sich, den zahlreichen Deutschbalten eine politische Mitsprache einzuräumen. Die Situation eskalierte, als der Führer des Stoßtrupps der Baltischen Landeswehr, Hans von Manteuffel, am 16. April Ulmanis in einem Staatsstreich absetzte.

Wie zu erwarten weigerte sich die Entente, die neue, deutschfreundliche Regierung unter dem Letten Andreas Needra anzuerkennen, und forderte per Ultimatum die Wiedereinsetzung Ulmanis’. Am 5. Mai erhielt die deutsche Regierung von den Briten die Aufforderung, von der Goltz abzusetzen, was Berlin jedoch verweigerte. Allerdings erließ man ein Werbungsverbot für die Baltikumtruppen. Von der Goltz hielt das freilich nur für ein Täuschungsmanöver gegenüber den Alliierten und war überzeugt davon, bei der Vorbereitung des Angriffs auf Riga im Sinne der Reichsregierung zu handeln.

Am 22. Mai erfolgte erfolgte mit dem Sturm auf Riga der militärische Höhepunkt des Baltikumunternehmens. Deutsche und baltische Truppen erreichten die Brücke über die Düna, bevor diese wie im September 1917 von den Bolschewisten gesprengt werden konnte. Einer Einheit des Detachement Medems, zu der auch der 24jährige Leutnant Albert Leo Schlageter gehörte, gelang es gemeinsam mit den Balten, die Brücke zu sichern. Der Stoßtrupp der Baltischen Landeswehr, deren junger Führer Leutnant von Manteuffel bei den Kämpfen an der Düna fiel, stürmte in die Stadt. Nach kurzen, aber erbitterten Kämpfen war Riga in der Hand der Freiwilligen. Den sich zurückziehenden bolschewistischen Truppen stellten die siegreichen Einheiten bis an die Ostgrenze Livlands nach.

Doch die Freude über den Sieg hielt nur kurz. Zwar war das Baltikum nun weitgehend frei von Bolschewisten, dafür sahen sich Freikorps und Landeswehr den durch die Unterstützung der Entente stärker werdenden Ulmanis-Letten gegenüber, denen sich auch noch estnische Truppen angeschlossen hatten. Zudem forderten die Alliierten gegenüber der Reichsregierung immer deutlicher den Abzug der deutschen Freiwilligenverbände.

Ende Juni erlitten deutsche und baltische Truppen bei Wenden eine herbe Niederlage gegen die lettisch-estnischen Einheiten. Nach heftigen Rückzugsgefechten sah sich die Regierung Needras gezwungen, mit Ulmanis einen Waffenstillstand schließen. Die Baltische Landeswehr mußte alle reichsdeutschen Formationen entlassen und wurde unter britisches Kommando gestellt. Ulmanis übernahm die Regierung, und am 5. Juli räumten die deutschen Truppen Riga. Doch es sollte für die Freiwilligen noch härter kommen: Ulmanis erklärte ihre Siedlungsverträge für ungültig, und die Reichsregierung forderte sie zur Heimkehr auf.

In dieser Zeit der Rückschläge tauchte auf einmal der russische Oberst Bermondt auf, der sich Fürst Awalow nannte und für die Aufstellung einer „weißen“, antibolschewistischen Armee warb. Mit dieser wollte er bis nach Moskau vorstoßen und bot so noch einmal eine letzte Hoffnung. Während einige Freikorps der Aufforderung der Reichsregierung Folge leisteten und sich nach Deutschland abtransportieren ließen, unterstellten sich die Eiserne Division sowie die Deutsche Legion dem Kommando Bermondts.

Die Berliner Regierung antwortete auf diesen Schritt mit der Androhung, den Freiwilligen den Sold zu sperren und den Nachschub einzustellen, sollten sie nicht augenblicklich nach Deutschland zurückkehren. Für viele Baltikumkämpfer kam dies einem zweiten „Dolchstoß“ nach 1918 gleich, zumal ihnen sogar mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft gedroht wurde. Nach einem letzten Ultimatum Ende September machte die Reichsregierung ihre Drohung wahr. Unter diesen Bedingungen war die ab Oktober von Bermondt begonnene Offensive zum Scheitern verurteilt. Zwar kämpften die deutschen Freiwilligen vor Riga noch einmal siegreich gegen lettische Verbände, doch ohne Nachschub schmolzen ihre Kräfte mit Beginn des Winters rapide zusammen. Daran konnte auch der Kraftakt des Oberleutnant Gerhard Roßbach nichts mehr ändern, der trotz Verbots der Reichsregierung und trotz der Androhung, beim Überschreiten der Grenze beschossen zu werden, mit seinem Freikorps zur Unterstützung ins Baltikum eilte.

Der Rückzug der Deutschen war nicht mehr aufzuhalten. Kurz vor Weihnachten überschritten die letzten Einheiten die ostpreußische Grenze bei Tauroggen. Tief verbittert kehrten sie in ihre Heimat zurück. Einige Freikorps gingen zum Grenzschutz nach Westpreußen gegen die Polen, den meisten jedoch drohte die Auflösung. Eine Übernahme in die Reichswehr wurde ihnen verwehrt. Ihren Haß darüber sollten die „Geächteten“ (Ernst von Salomon) schon bald zum Ausdruck bringen. Ein Großteil der „Baltikumer“ kam im März 1920 wieder zusammen, um während des Kapp-Putsches die aus ihrer Sicht verräterische „Novemberregierung“ zu stürzen.

Fotos: Vorrücken der Freikorps in Richtung Riga, Frühjahr 1919: Günstiges Siedlungsland vesprochen, Geschütze der Freikorps-Abteilung Schlageter auf der Düna­brücke in Riga, 22. Mai 1919: Werkzeug der Letten und Alliierten, Hans von Manteuffel: Stoßtruppführer der Deutschbalten

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