© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

Frisch gepresst

Erinnerungspolitik. Mit dem Schwerpunkt Osteuropa unter Einschluß des versunkenen SED-Staates geben Sophie Wahnich, Barabara Lásticová und Andrej Findor einen durchgehend englischsprachigen Aufsatzband über „Politics of Collective Memory“ heraus (Cultural patterns of Commemorative Practices in Post-War Europe, LIT Verlag, Wien/Berlin 2008, broschiert, 263 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro). Fast alle Beiträger sind an Hochschulen im Bereich des einstigen Habsburgerreiches tätig, doch die Lingua franca in diesem Teil der Gelehrtenrepublik ist nicht mehr die deutsche, sondern die englische Sprache. Das dürfte sich auf dem deutschen Buchmarkt aber immer noch als schweres Rezeptionshindernis erweisen, während sich das Interesse an slowakischer oder ungarischer Erinnerungspolitik im verlegerisch anvisierten angelsächsischen Sprachraum wohl in engsten Grenzen hält. Überraschend verhaltene Kritik üben Ágnes und Gabor Kapítany an der Konzeption des Budapester „Haus des Terrors“, das die beiden totalitären Regime,  das „kommunistische“ und das „faschistische“, dem Publikum in „vergleichender“ Schau darbietet. Verkrampfter geht da die Wiener Politologin Petra Bernhardt mit der Entscheidung des Berliner Senats um, wenn sie jammert, der Palast der Republik werde abgerissen, während architektonische Hinterlassenschaften der „Naziära“ wie Werner Marchs Olympiastadion saniert würden.    

 

Juden in Riga. Dem Massenmord an den Juden „aus dem Reich“ ging meist eine Deportation „in den Osten“ voraus, besonders in Ghettos, die im besetzten Polen nach 1939 geschaffen wurden. Da die überfüllten Elendsviertel in Warschau, Lodz oder Krakau bald keinen Platz mehr boten, rollten die Deportationszüge nach 1941 weiter in die dort eroberten Gebiete – nach Kaunas, Minsk oder Riga. Über ihre Erfahrungen aus der lettischen Hauptstadt, wo ein Ghetto abseits der Jugendstilboulevards in der ärmlichen Moskauer Vorstadt abgeriegelt wurde, hat die New Yorker Historikerin Gertrude Schneider, die 1942 als 14jährige Wienerin nach Riga deportiert wurde, erstmals 1979 in den USA publiziert. Die jetzige erweiterte Zweitauflage der 2001 erschienenen deutschen Übersetzung reiht ihre autobiographischen Skizzen in eine faktenreiche Geschichte des Ghettos ein, das nach dem Konzentrationslager Theresienstadt den höchsten Prozentsatz von Überlebenden auswies, wie Schneider beinahe zynisch resümiert: Anders als in den gleichartigen Schreckensorten im „Generalgouvernement“ überlebten von den 20.057 aus Deutschland deportierten Juden immerhin fast 1.000 die dortigen Mordaktionen (Reise in den Tod. Deutsche Juden in Riga 1941–1944. Laumann-Verlag, Dülmen 2009, broschiert, 207 Seiten, 18,50 Euro).

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