© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

Mit Keynes und Marx gegen die Heuschrecken
Der linke Publizist Jürgen Elsässer entdeckt die Nation als nützlichen Schutzraum gegen den entorteten Raubtierkapitalismus
Herbert Ammon

Konformismus ist die hierzulande höchste demokratische Tugend. Allein deshalb verdienen die Publikationen eines Nonkonformisten wie Jürgen Elsässer Beachtung. Seine Position als frei Denkender machte Elsässer anläßlich eines ersten Auftritts bei der Preußischen Gesellschaft im November 2007 öffentlich, als er zur Abwehr des „Angriffs der Heuschrecken“ (Elsässer-Buchtitel) zu einem breiten Bündnis von Konservativen und Linken, zu einer Koalition von Lafontaine bis Gauweiler aufrief. In den Medien totgeschwiegen, erreichte die Botschaft den Verleger eines Kleinverlags, der Elsässer zur Druckfassung seiner im freien Vortrag entwickelten Ideen aufforderte.

Elsässer präsentiert in konzentrierter Form eine plausible Analyse der Finanzkrise, die Deutschland im Jubiläumsjahr 2009 den größten Wirtschaftseinbruch seit sechzig Jahren beschert hat. Daß es sich bei den global flottierenden Billionensummen um Luftblasen („bubbles“) handelte, war nicht nur Experten stets klar. Elsässer findet den Schlüssel zum Verständnis der Finanzkrise im Begriff des „fiktiven Kapitals“ im dritten Band des Opus von Karl Marx. Der hatte noch keine „Derivate“, Hedgefonds und ähnlich  „faules“ Kapital vor Augen, sondern historisch  windige Staatsanleihen: Papiere ohne reale Wertschöpfung.

Zu Recht sieht Elsässer in industrieller Produktion die Hauptquelle der Wertschöpfung, und vermutlich hängt er noch am ehrwürdigen Begriff des  „Mehrwerts“. In dem Büchlein, im Umfang kaum länger als das Kommunistische Manifest, erweist er sich indes weniger als Marxist denn als Keynesianer, etwa auf der Linie des von ihm wiederholt erwähnten Wilhelm Hankel. In dem von John Maynard Keynes begründeten Bretton-Woods-System (1944) mit festen Wechselkursen und staatlichen Wirtschaftskontrollen sieht er die  Grundlage der von stabilem Wachstum und Wohlstand geprägten Nachkriegsjahrzehnte im Westen und sogar auch im Osten. Bretton Woods wurde von US-Präsident Richard Nixon, der sich der Schulden des Vietnamkriegs entledigen wollte, im Jahr 1971 ohne Rücksprache mit den verbündeten Industrienationen beseitigt. Schon Jahre zuvor (1957) hatte sich vor Englands Küsten (off-shore) eine erste Bank frei von staatlicher Reglementierung auf einem Schiff etabliert – das Vorspiel zu den Steuerparadiesen auf den Kanalinseln sowie den grotesken Finanzunternehmen auf den Cayman-Inseln und anderswo.

Elsässer verfährt als Eklektiker. Als Quellen dienen ihm nicht nur FAZ,  Handelsblatt und Financial Times Deutschland, sondern auch Sahra Wagenknecht und William F. Engdahl. Das mögen manche so anrüchig finden wie die Attacken gegen Alan Greenspan, der über zwanzig Jahre hinweg an der Spitze der Federal Reserve Bank unermüdlich „frisches Geld“ produzierte, oder gegen Globalisten wie  Friedrich Merz. Daß er als Muster eines friedlich prosperierenden Staatenbundes die Welt der Polis beschwört, zielt historisch am realen Imperialismus des Attischen Seebundes vorbei. Daß die Eskalation in Vietnam schon unter John F. Kennedy einsetzte, übersieht er wie andere Bewunderer des ermordeten JFK. Sein Lob auf die einst stabile bipolare Welt wird wenig Beifall finden. Entsetzen wird sein Plädoyer für eine euro-asiatische Friedens- und Wohlstandszone von Brest bis Wladiwostok hervorrufen. Linke, grüne und liberale Protagonisten des Globalismus und der großen Migration werden ihn naturgemäß des „Nationalismus“ zeihen. Wie die empfohlene Umwandlung der chinesischen Dollarbestände in Euro zu bewerkstelligen sei, um blühende Marktbeziehungen zwischen Europa und Asien herbeizuführen, bedürfte einer nüchternen Nachfrage.

Dennoch: Elsässers Analyse des begrifflich anstößigen „anglo-amerikanischen Finanzkapitalismus“ ist schlüssig,  zusätzlich belegt durch ein Zitat von Helmut Schmidt: „Vor allem in New York und London haben wir es zu tun mit einer Kombination von hoher Intelligenz samt mathematischer Begabung, extremer Selbstsucht und Selbstbereicherung bei Abwesenheit von ausreichender Urteilskraft und von Verantwortungsbewußtsein.“ Im Krisenjahr 2009 sei das bibliophil in weinrotes Leinen gebundene Büchlein als Pflichtlektüre empfohlen.             

Jürgen Elsässer: Nationalstaat und Globalisierung. Als Linker vor der Preußischen Gesellschaft, Manuscriptum Verlagsbuchhandlung Thomas Hoof KG, Waltrop und Leipzig 2009,  gebunden, 101 Seiten, 8,80 Euro

Foto:  Jürgen Elsässer: Nonkonform

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