© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

Künstliche Gesichter
Das Ich hinter dem Antlitz: Eine Führung durch die Kulturgeschichte der Maske
Claus-M. Wolfschlag

Den Masken, jenen dem Betrachter oft starr erscheinenden Halbköpfen, widmet sich derzeit eine Schau auf der Darmstädter Mathildenhöhe: ein alltägliches, wenngleich eher selten beachtetes Genre. Und so wirft die Präsentation unweigerlich die Frage auf, ob wir nicht selber täglich tausend Masken tragen, die unser Ich überlagern, so sehr, daß es sich zunehmend auch vor uns selber verbirgt.

Doch nicht auf psychologische und soziologische Aspekte hin ist die Ausstellung konzentriert, es geht statt dessen primär um eine kunstgeschichtliche Annäherung. „Weil sie enthüllt, indem sie verbirgt, und verbirgt, indem sie sich zeigt, rührt die Maske an die Wurzeln des Menschlichen und des Lebens überhaupt“, erläutert Museumsdirektor Ralf Beil im Vorwort des reich bebilderten Katalogs.

Damit verweist er auf die Zweideutigkeit, die Wechselwirkung der Maske, denn diese schafft auch durch die Reduzierung des Individuellen, die Isolierung von Gesichtszügen, die Ausschaltung aller flüchtigen Bewegung einen Ausdruck von Psyche als reiner Form. Der eigentliche Zweck der Maske ist nicht, zu täuschen oder zu verbergen, sondern durch ein künstliches Gesicht zu offenbaren.

In der europäischen Kulturgeschichte verweist die Maskentradition eindeutig auf das Theater der Antike. Zur Blütezeit der Maskenproduktion wurde das 19. Jahrhundert, das sich wiederum stark mit der antiken Kult- und Theatermaske beschäftigte, weit weniger hingegen mit dem Bauschmuck des christlichen Mittelalters.

In die Spätphase jenes 19. Jahrhunderts fällt aber auch die zunehmende Entdeckung außereuropäischer Masken – vor allem japanischer, aber auch afrikanischer und ozeanischer Herkunft. Gerade diese Befruchtung durch die Exotik führte nicht nur mit dazu, daß sich die europäische Kunst in Richtung Expressionismus und Abstraktion entwickelte, sondern auch zum Wiedereinzug der Maske in die Alltagswelt.

Nachdem das Maskenwesen in Europa, abgesehen vom Karneval, bereits fast in Vergessenheit geraten war, blüht hierzulande bis heute das Geschäft mit exotischen Masken in Antiquitätenläden und auf Trödelmärkten. Frankreich und Deutschland wurden im 19. Jahrhundert zu Zentren der europäischen Maskenkunst. Hunderte Fassaden Pariser Häuser sind etwa bis heute mit solch originellen Maskarons geziert. Und in wie vielen Wohnungen immer noch kleine Bildnisse der einst massenhaft produzierten „Unbekannten aus der Seine“ – das lächelnde Antlitz eines wohl an Liebesleid gestorbenen Mädchens – hängen mögen, kann man nur erahnen.

Die spannende Darmstädter Schau führt über antike Fundstücke hin zu deren späterer Rezeption, etwa in Arnold Böcklins düster-furchterregendem „Schild mit Medusenhaupt“. Dem Geniekult des 19. Jahrhunderts wird zum Beispiel durch Franz von Stucks „Beethoven“ Rechnung getragen, ebenso durch das 1886 im Pariser Jardin du Luxembourg aufgestellte Standbild des „Maskenhändlers“, das einem leicht ironischen Maskenpanthéon der damaligen Geistesgrößen ähnelt.

Entwickelte sich die ursprünglich überpersönliche Maske ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch zu einer massenhaft verbreiteten Gattung des naturalistischen Porträts, so gelangte sie über die Entdeckung exotischer Traditionen, etwa der frühen japanischen Manga-Bücher mit ihren typisierten Gesichtern, in die Moderne.

Ausreißer gab es bereits früh, etwa in den vom barocken Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt beeinflußten grotesken Fratzen eines Jean-Joseph Carriés oder den absurden Narren-Szenerien in den Gemälden James Ensors. Nach einem dekorativen Umgang mit dem Motiv während des Jugendstils ist aber schließlich bei Emil Nolde und Pablo Picasso der Einfluß von Kultmasken außereuropäischer Naturvölker offenkundig. Diese Entwicklung zur modernen Maske wird in der Ausstellung mittels surrealistischer Arbeiten, Fotografien und einer filmischen Schlüsselszene aus Rupert Julians Horrorklassiker „Phantom der Oper“ von 1925 optisch abgerundet.

Teils werden in Darmstadt auch originale Lebend- und Totenmasken gezeigt, so beispielsweise das einzige derartige Gipsabbild Shakespeares. Vor allem in letzterer Gattung kommt die Vielschichtigkeit der Maske wieder ganz zur Geltung. Sie läßt nämlich offen, ob das Gesicht selber nach dem Tod zur leblosen Maske wird oder ob sich unmittelbar nach dem Ableben und vor seinem völligen Zerfall nicht durch das Entfliehen aller Mimik und Verstellung das Antlitz endlich auf das wahre Ich reduziert.

Die Ausstellung „Masken – Von Rodin bis Picasso“ ist noch bis zum 7. Juni auf der Mathildenhöhe in Darmstadt täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Der im Hatje Cantz-Verlag erschienene Katalog kostet im Buchhandel 39,80 Euro.

Foto:  Arnold Böcklin, Schild mit Medusenhaupt, nach 1887: Ihr Anblick ließ jeden zu Stein erstarren

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