© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/09 15. Mai 2009

Heftiges Flügelschlagen
Wahlprogramm: Der Streit zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitikern von CDU/CSU verhagelt der Union den Start in den Wahlkampf
Paul Rosen

Der Druck auf die Sollbruchstelle der Union zwischen Sozial- und Wirtschaftsflügel verstärkt sich. Während die Sozialpolitiker – verkürzt gesagt – immer mehr Geld in die Sozialsysteme pumpen und sich dieses Geld bei den Bürgern besorgen wollen, verlangt der Wirtschaftsflügel die Senkung oder gar Abschaffung von Abgaben an den Staat. Die FDP, eigentlich der Wunschpartner der  Union, verstärkt den Druck noch (siehe den Artikel unten). CDU und CSU können an Steuersenkungen in ihr Wahlprogramm schreiben, was sie wollen, Guido Westerwelle und seinen Leuten fällt es leicht, diese Forderungen zu toppen und damit enttäuschte Wähler an sich zu binden, um bei der Bundestagswahl am 27. September satt zweistellig abzuschneiden.

Das früher fein austarierte Flügel-Machtsystem der CDU ist längst durch eine vom Kanzleramt und Angela Merkel ausgehende Befehlsstruktur ersetzt worden. Früher wurden die mächtigen Flügel in die Bundestagsfraktion eingebunden und konnten von der gemeinsamen Linie nur begrenzt abweichen. Das gilt längst nicht mehr.

Der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, hat kein Mandat mehr wie Vorgänger Peter Rauen, und der Vorsitzende der Unternehmervereinigung „Wirtschaftsrat der CDU“, Kurt Lauk, sitzt im weit von Berlin entfernten Europaparlament. Das vergrößert die Unabhängigkeit, aber zugleich die Distanz zur Parteiführung und letztlich zur Partei selbst. Hinzu kommt, daß erfahrene CDU-Wirtschaftspolitiker nicht mehr in den Bundestag zurückkehren; Friedrich Merz geht aus Verbitterung über Merkel. Der Wirtschaftsfachmann Laurenz Meyer, einer der letzten auf diesem Gebiet mit großem Sachverstand und rhetorischem Talent, hat einen so schlechten Listenplatz bekommen, daß er dem nächsten Bundestag vermutlich nicht mehr angehören wird. Im Fall Meyer dürfte Merkel die Finger im Spiel gehabt haben, die den unbequemen Westfalen loswerden wollte. Der Wirtschaftsrat hatte die Parteiführung früh mit eigenen und öffentlich gemachten Vorstellungen unter Druck gesetzt. Die Organisa­tion legte ein Konzept vor, das niedrigere Steuersätze und die Abschaffung der Erbschaftsteuer sowie des Solidaritätszuschlags vorsieht. Das war ein rotes Tuch nicht nur für die deutsche Linke von Grünen über SPD bis Linkspartei, sondern auch für den Sozialflügel der CDU, der Einnahmen braucht, um das soziale Füllhorn ausschütten zu können. Doch der Druck der Realität ist groß: „Selbst Schweden hat sich unter sozialdemokratischer Regierung von der Erbschaftsteuer verabschiedet“, schreibt der Wirtschaftsrat. Österreich hat die Steuer auch abgeschafft, so daß inzwischen eine Auswanderung vermögender Deutscher in die Alpenrepublik zu beobachten ist.

Die CDU-Führung kam nicht umhin, in den Entwurf ihres Wahlprogramms Steuersenkungen einzuarbeiten. So soll der Eingangssteuersatz von derzeit 14 auf 12 Prozent sinken. Der Spitzensteuersatz soll erst ab 60.000 Euro statt heute 52.552 Euro zu versteuerndes Jahreseinkommen wirken. Ob damit der bei einem linear-progressiven Tarifverlauf besonders den Facharbeiter und kleinen Selbständigen belastende Tarifverlauf verbessert wird, ist fraglich, auch wenn die CDU verspricht: „Wir wollen mehr Netto vom Brutto und der kalten Progression entgegenwirken.“ Außerdem will die CDU die steuerliche Wohnungsbauförderung wiedereinführen, die sie selbst abgeschafft hatte. Danach war der private Wohnungsbau, eine wichtige Konjunkturstütze, weitgehend zusammengebrochen. Die Freibeträge bei der Erbschaftsteuer sollen regionalisiert werden, also je nach Bundesland unterschiedlich hoch ausfallen können. Da ist die FDP überzeugender, die die Erbschaftsteuer komplett in die Hoheit der Länder geben will, die dann selbst entscheiden können, ob sie diese Steuer behalten oder abschaffen.

Die gesamten CDU-Pläne hat Merkel jedoch unter den Vorbehalt der Entwicklung der öffentlichen Finanzen gestellt. Und die sieht gar nicht gut aus. Es wird für dieses Jahr ein weiterer Nachtragshaushalt erwartet, durch den die Neuverschuldung auf das Allzeithoch von 80 Milliarden Euro steigen könnte. Die Steuerausfälle bis 2013 werden für alle staatlichen Ebenen auf 330 Milliarden Euro geschätzt. Die Kanzlerin steht vor einer schwierigen Entscheidung: Brüskiert sie den Wirtschaftsflügel weiter, nimmt die Flucht zur FDP noch zu. Schreibt sie Steuersenkungen ins Programm, wirkt das angesichts der Kassenlage unglaubwürdig und verärgert den sozialpolitischen Flügel, wie einer Warnung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers auf dem Landesparteitag in Essen zu entnehmen war.

Foto: Angela Merkel vorigen Sonntag auf einem Rapsblütenfest: Brüskierter Wirtschaftsflügel

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