© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/09 15. Mai 2009

Contra
Populismus ist das Instrument der Herrschenden
Thorsten Hinz

Populismus als die Kraft der Schwachen, die sich gegen die Enteignung ihrer demokratischen Rechte wehren – wie sympathisch! Doch der handfeste, effektive Populismus findet leider anderswo statt. Er ist das Herrschaftsinstrument der politischen Klasse und wird gegen den Demos selbst in Stellung gebracht, auf daß er seine Entmündigung nicht bemerke.

Nun kann Politik ohne Populismus weder stattfinden noch gelingen. Schließlich ist sie keine Versuchsanordnung im aseptischen Labor, sondern sie hat die Interessen, Egoismen, Sorgen, Ängste, die rationalen und irrationalen Reaktionen von Personen und Interessengruppen zu bedenken, zu bedienen, zu beschwichtigen. Ein Politiker muß Durchblick vortäuschen, wo er mit der Stange im Nebel stochert. Er darf ruhig auch behaupten: „Die Rente ist sicher!“, wenn, ja wenn er halblaut die Bedingungen hinzufügt, die dafür erst geschaffen werden müssen – wenn er sein Handwerk beherrscht.

Das ist wie beim Zahnarzt, der dem Patienten versichert, er werde den Bohrer gar nicht spüren. Weh tut es trotzdem, aber es zählt die beruhigende Geste, die besagt: Sie dürfen sich auf meine Fähigkeiten verlassen. Und wenn es tatsächlich erträglich abläuft, stellt sich Vertrauen ein. Erlaubt und nötig ist ein funktionaler Populismus, den eine moralisch und sachlich qualifizierte Elite im Interesse des Gemeinwohls praktiziert.

Der Populismus wird zum Problem, wenn er der politischen Klasse als Selbstzweck dient, ihren Mangel an Kompetenz kaschieren und sie über die nächsten Wahlen retten soll. Wir dürfen nicht ungerecht sein: Die Probleme werden tatsächlich immer komplexer, und die Möglichkeiten der Politik können unmöglich Schritt halten mit den Erwartungen, die die Bürger in sie setzen. Wer kann schon behaupten, die amazonasgleichen Verästelungen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu überschauen und den Ausweg aus dem Dschungel zu kennen?

Um so nötiger sind Politiker, die mit den Anforderungen wachsen und Emotionen dämpfen, indem sie die eigene Fähigkeit zur rationalen Analyse und Entscheidung herausstellen, ergo: Vertrauen erwecken. Das aber setzt eine sachliche und moralische Reife voraus, die das aktuelle politische Personal nur noch ausnahmsweise vorweist. Den abgebrochenen, ewigen oder Schmalspurstudenten eröffnet die Politik berufliche und gesellschaftliche Perspektiven, die sie anderswo niemals hätten. Diese verteidigen sie in populistischer Weise, indem sie mit parteipolitischen Schaukämpfen politische Führung vortäuschen.

In der Folge wurde der Erhalt von Opel zum Staatsziel erhoben, ohne daß man die Frage erörterte, ob die Milliardensubventionen angesichts deutschland- und weltweiter Überkapazitäten sich jemals rentieren können. Das brachte dann den Fiat-Konzern auf die Idee, die deutsche Politik unter Druck zu setzen, eine Fusion mit deutschem Steuergeld zu unterstützen und damit Fiats internationale Expansion zu finanzieren. Oder Arbeitsminister Olaf Scholz, der das Prinzip der niemals sinkenden Renten einführt, egal wie die Löhne sich entwickeln. Das führt entweder zu Beitrags- oder Steuererhöhungen oder zur Ausweitung der Staatsverschuldung, die über kurz oder lang einen Währungsschnitt und damit die Entwertung privater Ersparnisse nahelegt. Doch welcher Politiker hat diesen Zusammenhang reflektiert?

Finanzminister Steinbrücks meistbenutztes Wort lautet „systemisch“. Andererseits personalisiert er die Krise und streut den Eindruck, die „Reichen“ – die Grenze dafür nähert sich in der deutschen Neidgesellschaft einem Wert knapp oberhalb von Hartz IV an – und Steuerhinterzieher seien ursächlich für sie, und ihre gerechte Bestrafung würde die horrenden Bad-Bank-Pläne gegenfinanzieren. Aber ist nicht bei den Landesbanken, wo verdiente Politikfunktionäre in der Vergangenheit stets ein warmes Plätzchen fanden, die Situation besonders dramatisch?

Solch eigennütziger, sachfremder und amoralischer Populismus verschleppt und verschlimmert die Probleme, schmeichelt dem inneren Schweinehund des Bürgers. Ihm wird fälschlich suggeriert, das meiste könne bleiben, wie es ist, insbesondere der prinzipiell lobens- und erhaltenswerte, aber parasitär gewordene Sozialstaat, der heute die Asozialität regeneriert und die Arbeit asozialisiert. Das Gefahren- und Gewaltpotential dieses machtgestützten Populismus deutet sich an, wenn er die vermeintlichen Demokratiefeinde aufs Korn nimmt, sie als Problemverursacher und Sündenböcke brandmarkt und ihre Austreibung zum befreienden Gemeinschaftserlebnis ausruft.

Hierher gehört auch die Hätschelung einer informellen SA, die darüber befindet, wer sich wann, wo und unter welcher Fahne versammeln darf und ob überhaupt. Erst recht in Krisenzeiten ist dieser Populismus steigerungsfähig und gefährlich.

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