© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/09 08. Mai 2009

Dort helfen, wo der Staat versagt
Spendenwerben: Philanthropie als Wesenselement der amerikanischen Gesellschaft / Finanzkrise setzt Stiftungen unter Druck
Anton Theodor Holzer

Für US-Außenministerin Hillary Clinton ist die Zeit einer „New Generation“ zwischen dem Staat und der Zivilgesellschaft nun angebrochen. Entsprechend warb sie Mitte April auf der „Global Philanthropy Forum“-Konferenz in Washington und verpflichtete sich, „die Zusammenarbeit des Außenministeriums mit dem privaten Sektor und der Zivilgesellschaft zu verstärken“. Die Herausforderungen der Zukunft, so Clinton, „werden nicht von den Regierungen alleine gelöst werden“. Wie das Forschungsinstitut OMB Watch auf seiner Internetseite berichtet, würdigte Clinton die Führungsqualitäten, Großzügigkeit, Innovation und Kreativität nicht-staatlicher Organisationen und gemeinnütziger Stiftungen bei der Bekämpfung weltweiter Krisensituationen. „Wir werden den Ideen und Ansätzen mehr Aufmerksamkeit schenken, die Sie an uns herantragen“, versprach Clinton den Konferenzteilnehmern.

Wo die Politik sich nicht mehr zu helfen weiß, sind die gemeinnützigen Organisationen mehr denn je gefragt. Das ist – bis auf den außenpolitischen Sektor – in den USA nichts Neues. Denn die private Wohltätigkeit – die Amerikaner nennen sie Philanthropie (Menschenfreundlichkeit) – hat hier Tradition. Allerdings bringt die Finanz- und Wirtschaftskrise die heile Welt der Stiftungen und Hilfsorganisationen ins Wanken – und zwar derart ins Wanken, daß die Fusion von gemeinnützigen Einrichtungen keine Seltenheit mehr ist. So fusionierten bereits im August 2008 an der US-Westküste die Wohltätigkeitsorganisationen „Habitat for Humanity San Francisco“ und „Peninsula Habitat for Humanity“ zur „Habitat for Humanity Greater San Francisco“.

Für die Bridgespan Group, eine in Boston ansässige Beratungsfirma für non-profit-Organisationen, liegt das voll im Trend. Bei einer Umfrage unter Leitern amerikanischer gemeinnütziger Organisationen antworteten 20 Prozent der Befragten, daß eine Fusion ihrer Einrichtung eine wichtige Rolle bei der Bewältigung des wirtschaftlichen Abschwungs spielen könne. Dies ist nicht ohne, zumal in Nordamerika über 30.000 hauptamtlich mit „Fundraising“ (Spendenwerbung) befaßte Personen – zusammengeschlossen in der Association of Fundraising Professionals (AFP) – mit dem Einsammeln von Spenden beschäftigt sind.

Das 1956 gegründete Foundation Center, an New Yorks renommierter Fifth Avenue ansässig, dokumentiert das Spendenverhalten von über 95.000 amerikanischen Stiftungen. Zum Vergleich: Der Bundesverband Deutscher Stiftungen listete im Jahr 2008 für Deutschland 16.406 rechtsfähige Stiftungen auf.

Und während man im deutschen Sprachraum bei Spendenwerbung zumeist nur an Caritas und Diakonie, Rotes Kreuz und Tierschutz, Greenpeace und Amnesty International denkt, konkurrieren in den USA auch die Krankenhäuser und Universitäten um die Spendendollar der Bürger.

So verfügte allein die renommierte Harvard-Universität vor dem Börsen-Crash über ein Stiftungsvermögen von gut 35 Milliarden Dollar. Ohne dieses gigantische Kapital und die daraus resultierenden Erträge könnte die Elite-Universität ihr umfangreiches Bildungsprogramm auch gar nicht realisieren. Bis dato gaben die Harvard-Absolventen gerne und viel. Zum Vergleich: Die 376 deutschen Hochschulen verfügen über so gut wie kein Vermögen und können zusammen jährlich nur rund 14 Milliarden Euro ausgeben.

Es gehört wenig Phantasie zu der Vorhersage, daß die deutschen Universitäten sich künftig verstärkt ihrer zu Geld und Wohlstand gekommenen Absolventen erinnern werden. Eine Beratungsfirma in der Schweiz hat diesen Zukunftstrend bereits erkannt und eine Datenbank von Akademikern des deutschen Sprachraumes erstellt, die über Studienrichtung und Studienort („Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren …“) Auskunft gibt. Dort können sich Deutschlands Universitäten demnächst (gebührenpflichtig) informieren, wo ihre Schäfchen, die sie seit Jahrzehnten aus dem Auge verloren haben, heute zu finden sind.

Die Association of Fundraising Professionals (AFP) veranstaltet jährlich eine internationale Konferenz, das weltweit größte Zusammentreffen von professionellen Spendenwerbern. Auf ihrer diesjährigen Konferenz in New Orleans meldete die AFP bedenkliche Zahlen. Nur 46 Prozent der von der AFP befragten US-Organisationen verzeichneten für 2008 gegenüber dem Vorjahr gestiegene Spendeneinnahmen – ein starker Dämpfer für die erfolgsverwöhnten US-Spendenwerber, nachdem diese in den zurückliegenden Jahren stets ein größeres Wachstum beim amerikanischen Spendenvolumen erzielt hatten, als das gesamte Spendenaufkommen in Deutschland ausmacht. Doch dürfte dieser Rückschlag weniger mit der geringeren Spendenbereitschaft eines Amerikaners zu tun haben, dessen Haus gerade zwangsversteigert wird.

Noch bedenklicher: Die Kapitalkraft so mancher US-Stiftung – das Beispiel der Stiftung des Microsoft-Milliardärs Bill Gates sei hier erwähnt – ist Segen in wirtschaftlich guten Zeiten und Fluch in der Rezession. Denn viele US-Stiftungen legen das Stiftungsvermögen nicht als Festgeld an, sondern investieren in den Aktienmarkt. Aktuell gehen sachkundige Beobachter also davon aus, daß sich das Vermögen der US-Stiftungen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise um etwa 30 Prozent verringert hat. Entsprechend sind die finanziellen Zuwendungen, die diese Stiftungen aus ihren Erträgen machen können, gegenwärtig deutlich geringer als in den zurückliegenden Jahren.

Da gemeinnützige Aktivitäten in Deutschland zu einem geringeren Teil aus den Zuwendungen von Stiftungen stammen, dürfte die gegenwärtige Phase wirtschaftlicher Verunsicherung gemeinnützige Einrichtungen in Deutschland weniger stark treffen als jenseits des Atlantik. Doch sind die deutschen Einrichtungen der Barmherzigkeit natürlich immer noch Lichtjahre von den US-Vorbildern entfernt. Summieren sich die jährlich geleisteten Spenden in den USA auf über 250 Milliarden Dollar, kommen in Deutschland gerade einmal drei bis fünf Milliarden Euro (genauere Schätzungen existieren nicht) zusammen.

Die einzigartige Spendentradition der USA hängt aber beileibe nicht nur mit einem anderen Staatsverständnis zusammen. Immerhin klagen viele Top-Verdiener in Deutschland angesichts ihrer hohen Steuerlast, daß der Staat ihren Beitrag für soziale Aktivitäten längst über die Steuer erhalten habe.

Verschüttet also unser Steuer- und Wohlfahrtsstaat die ganz natürliche menschliche Hilfsbereitschaft? Das mag sein, doch verdient auch die Struktur des US-Spendenwesens Erwähnung. Experten schätzen, daß ungefähr 40 Prozent aller Spenden in den USA einen religiösen Beweggrund haben.

 „God’s own country“ ist auch in dieser Hinsicht anders als Deutschland. Und es hat nicht unbedingt nur etwas mit dem deutschen Kirchensteuersystem zu tun, das die Kirchen nach Meinung vieler Beobachter zu Trägheit und Bequemlichkeit verleitet. In den USA finanziert sich jede Kirche allein durch Zuwendungen ihrer Gläubigen. Die zehn größten Religionsgemeinschaften der USA verfügen zusammen über fast 170.000 Gotteshäuser im Lande. Für jede Kirchengemeinde ist „Fundraising“ unerläßlich zum Überleben. Fundraising begegnet dem Amerikaner tagtäglich an jeder Ecke – im Einkaufszentrum, am Telefon und ganz besonders häufig im Briefkasten.

Gemeinnützige Einrichtungen in den USA genießen nämlich ein besonderes Privileg. Sie dürfen ihre Hilfsaufrufe zu einem begünstigten Sozialtarif mit dem U.S. Postal Service versenden. Und davon machen sie massenhaft Gebrauch.

Vor allem aber, wenn die USA mal wieder irgendwo in der Welt militärische Ordnungspolitik betreiben, ist Hochkonjunktur für die amerikanische Hilforganisation Disabled American Veterans“ (DAV), die sich um kriegsverwundete Soldaten kümmert. Entsprechend hat die DAV beispielsweise zu Zeiten des zweiten Golfkriegs (1990/91) schon mal fünfzehn Millionen Spendenbriefe verschickt und nutzt solche Zeiten patriotischer Gefühle. Das ist ein Job für Experten, denn die Amerikaner wissen, daß das Gegenteil von „gut“ häufig „gut gemeint“ ist.

Mit Max Hart hat nun bei DAV ein früherer Procter & Gamble-Manager die Spendenwerbung per Direct Mail unter seine Fittiche genommen – die Bezeichnung „früherer Waschmittel-Manager“, die einst gegen den früheren CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf gerichtet war, reicht in den USA jedem Manager nur zur Ehre. 

Neben Kirchen, Universitäten oder Krankenhäusern gehören in den Vereinigten Staaten auch die politischen Parteien und ihre Kandidaten zu den professionellen Spendenwerbern, während die Schatzmeister der politischen Parteien in Deutschland den direkten Dialog mit dem Souverän, dem Wähler, lieber vermeiden. Die mit den anderen Parteien einvernehmlich beschlossene staatliche Parteienfinanzierung, die auch nicht weniger wird, wenn weniger Bürger zur Wahl geben, ist da doch weitaus bequemer.

Galt früher der Vorsprung der Republikanischen Partei in Sachen „Fundraising“ angesichts einer ausgeklügelten Datenbank von Unterstützern als nahezu unschlagbar, so hat Barack Oba­ma auch hier für neue Verhältnisse gesorgt. Die Nutzung des Internet und die Konzentration auf viele kleine Einzelspender haben die Erfolgsregeln im letzten US-Präsidentenwahlkampf neu geschrieben.

 

Stichwort: Stiftungen in Deutschland

Das Jahr 2008 gilt in Stifterkreisen als bisher erfolgreichstes. Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Zahl der Stiftungen in Deutschland um ein Drittel auf 16.406 erhöht. 1.020 neue Stiftungen wurden allein 2008 gegründet. Nichtsdestotrotz wird die Wirtschafts- und Finanzkrise nun zum Prüfstein für weiteres gesellschaftliches Engagement von Unternehmen. Laut Hans Fleisch, dem Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, agieren Stiftungen bereits jetzt „vorsichtiger und kürzen ihre Förderausgaben“. Weiteres zum neuen „StiftungsReport 2009/10“ unter www.stiftungen.org

Foto: „Philanthropy 2.0 Party“, „Global Philanthropy Forum“: Während die „Case Foundation“ feiert, wirbt Hillary Clinton für die „Civil Society“

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