© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

Das neue Elternmagazin „Nido“: Gewagter Kauderwelsch aus dem Hause Gruner + Jahr
Linksliberal und neureich
Ellen Kositza

Alter: um die 35? Kinder unter sechs Jahren im Haushalt? Daneben: ein breiter Interessenhorizont mit Schwerpunkt auf „Wertigkeit“? Einkommen: vorhanden, großstädtisch sozialisiert, wenig Interesse an herkömmlichen, kindzentrierten Elternmagazinen? Fünfmal Bingo! Damit zähle ich zu jener einen Million Bundesbürger, die als Kernzielgruppe für Nido ermittelt wurden. Nido (liest sich rückwärts „Odin“, meint aber span./it.: „Nest“) heißt das neue Eltern- und Familienmagazin von Gruner + Jahr.

Als Chef des 160seitigen Hochglanzhefts firmiert Timm Klotzeck, der bereits mit Neon als Magazin für die Tochter-und-Sohn-Generation von Stern-Lesern anhaltenden Erfolg verbuchen konnte. Klotzeck ist 36 und demnächst dreifacher Vater. Er weiß, was junge Eltern wollen, die „einen Teil ihres Lebens wieder aufnehmen wollen, den sie vorm Kind hatten. Nur eben jetzt mit Kind.“ Heißt, gemäß Titelseite (Bild: Kuschelkleinfamilie in Schlafklamotten): Weltreise mit Kindern, „Guter Sex trotz kleiner Kinder“ und: „Ich will wieder arbeiten“.

Gut. Wer möchte das alles nicht? Vor allem natürlich „wieder arbeiten“ – nach der nichtstuerischen, arbeitslosen Schluffi-Zeit mit dem Säugling. Die Nest-Arbeiter formulieren das so: Rückständige Muttis diskutieren über Näharbeiten und Sonntagsbratenkünste, fortschrittliche Mütter wollen „trotz Prinzessin Lillifee und Bob, dem Baumeister, bald nach der Geburt wieder zurück an den Arbeitsplatz“. Wieso „trotz“? Und was soll der Bezug auf ausgerechnet diese Markenfiguren, die doch eher dem gemeinen Kindervolk zuzurechnen sind? Mit dem Gummibegriff „Wertigkeit“ sind hier nämlich nicht zuvörderst „innere Werte“ gemeint. Hochgehalten, sowohl auf den Werbeseiten als auch redaktionell, werden im Premiumheft Produkte und Lebensstile, mit denen sich eine urbane Jungeltern-Boheme verkleidet und bestückt.

Wer weder einen Bugaboo, ein LIKEaBIKE oder ein paar Petit-Bateau-Sachen zum Fundus der hauseigenen Kinder-Accessoires zählt, ist hier definitiv außen vor.

Linksliberal und – ja, der Kampfbegriff paßt hier schon! – neureich dürfte die Klientel sein, die sich durch diese mit einigem Tamtam angekündigte Zeitschrift angesprochen fühlen soll. Typographisch wird mit einem gewagten Kauderwelsch hantiert, geschätzte sechzig Schrifttypen geistern durchs Heft. Daß man nicht „kinderzentriert“ auftreten möchte, ist schon in Ordnung: Für das hundertste Rezept, wie Vollkornhappen mit Gemüsepuzzleteilen witzig garniert werden können, und für das Neueste über Schreibabies und Windelsoor stehen aber seit Jahren ungezählte andere Zeitschriften zur Verfügung.

In Nido führt ein „Lebensgefühl-Journalismus“ die Feder. Beispielhaft für dieses „Gefühl“ steht möglicherweise Daniel Cohn-Bendit, der zum Gespräch gebeten wird. Das ist nicht deshalb interessant, weil der Rote Dany seine frühen Kindheitseindrücke Revue passieren läßt (knicksende Mädchen in Deutschland: „Es war grausam!“), sondern weil er noch einmal zu seinen alten Zeiten als Kinderladen-Mann befragt wird.

 Wir erinnern uns: 2001 war eine frühere Selbstaussage Daniel Cohn-Bendits ausgegraben worden, in der er beschreibt, wie er im „Dauerflirt“ mit kleinen Mädchen sich den Hosenlatz öffnen, sich „streicheln“ läßt und zurückstreichelt. Der grüne Abgeordnete relativierte damals diese Szene als „Provokation“ aus dem Geist der Zeit – als hätte er ausgerechnet jene Szene nur phantasiert. In Nido liest sich’s nun anders: „Ja, aber mehr ist nicht passiert, wirklich nicht!“

Die Grenzen nicht so eng stecken, sie lieber aufheben, das ist der Ton, den Nido durchgängig pflegt. In einem anderen Beitrag wird Kolumbien als probates Herkunftsland für Adoptivkinder empfohlen. Des weiteren finden wir überaus wegweisende Informations-Fetzen wie diese: „Geschwister unterscheiden sich in ihrer Persönlichkeit und Intelligenz genauso wie zwei Fremde gleicher sozialer Herkunft.“ Oder noch weitaus besser: wie man einen Kühlschrank bestückt und wo man in Wien die leckersten gebackenen Fledermäuse ißt. Cool, das alles.

Nido erscheint in einer Auflage von 200.000 Stück, die nächste Nummer gibt’s dann aber erst im Oktober diesen Jahres. Ist es erfolgreich, soll es dann im kommenden Jahr zum Monatsheft weiterentwickelt werden.

Ach – man möchte es kaum hoffen. Wo soviel Zeit für Arbeiten und Wohlfühlen draufgeht, bleibt ohnehin nur noch wenig übrig für das humane Eingemachte. Und dann noch ein weiteres Magazin, das geschmökert werden will.

Foto: „Nido“-Premiere: Lebensstile für eine urbane Jungeltern-Boheme

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