© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

Risiken und Nebenwirkungen
Der Mißbrauch der Zensursula: Auf der Datenautobahn in den Überwachungsstaat
Doris Neujahr

Fast wäre Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor Stolz geplatzt, als sie der Bundespressekonferenz den Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet präsentierte. Endlich ein politischer Erfolg, und das so kurz vor der Bundestagswahl! Von der Leyen befindet sich auf der sicheren Seite. Dem sexuellen Mißbrauch von Kindern entgegenzutreten – welcher auch nur halbwegs normale Mensch könnte etwas dagegen haben?

Doch weist ihr Vorgehen einige Risiken und Nebenwirkungen auf, die die studierte Ärztin entweder ignoriert oder von denen sie keine Ahnung hat. Überdies bekämpft die von ihr verabreichte Medizin nicht das Hauptübel, sondern ist lediglich ein Placebo. Gerade in den Internetforen, wo sie inzwischen als „Zensursula“ firmiert, werden ihre Einlassungen Punkt für Punkt und sachgerecht auseinandergenommen: Sie operiere mit Phantasiezahlen, die Erfahrungen mit Internetsperren seien in anderen Ländern durchweg schlecht und hätten sich als ein Hindernis für polizeiliche Ermittlungen erwiesen. Echte Pädophile tauschten ihren Schmutz ohnehin nicht im offenen Netz, sondern in geschlossenen Zirkeln aus, den millionenschweren Markt, von dem von der Leyen spricht, gebe es demzufolge überhaupt nicht. Das Internet sei nur das Medium, nicht der Tatort, die Tragödien der Kinder spielten sich überwiegend in den eigenen Familien ab usw.

Das ist der Punkt: Kindesmißbrauch wird nur durch scharfe polizeiliche Ermittlungen gegen die Täter und nicht dadurch bekämpft, daß die elektronische Verbreitung der Taten blockiert wird. Ob es überhaupt zur Blockade kommt, ist noch nicht einmal sicher. Die dafür nötige Filtersoftware wird frühestens in einem halben Jahr zur Verfügung stehen. Dann aber ist es nur eine Frage der Zeit, bis neue technische Raffinessen die Filterfunktion unterlaufen.

Selbst die Bundesregierung räumt Zweifel am Nutzen des Gesetzentwurfes ein: „Die Vorschrift ist auf eine Handlungspflicht ausgerichtet, nicht auf einen Erfolg, denn es ist nach dem gegenwärtigen Stand der Technik nicht auszuschließen, daß der Zugang zu kinderpornographischen Inhalten trotz der Sperrmaßnahmen der Anbieter nicht vollständig verhindert werden kann.“ Es sei aber bereits viel erreicht, wenn solche Angebote nicht ohne weiteres zugänglich seien.

Merke: Die gute Absicht und das Prinzip Hoffnung reichen der Regierung aus, um einen schwerwiegenden Eingriff in das Kommunikationsnetz vorzunehmen. Und wenn die gute Absicht nur vorgeschoben ist? Das Wort „Handlungspflicht“ hat etwas Unheimliches, es riecht nach Überwachen, Strafen, Anzeigen, Denunzieren.

In den aktuellen Blättern für deutsche und internationale Politik hat Redakteur Daniel Leisegang darauf verwiesen, daß Internetblockaden die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Informations- und Rezipientenfreiheit einschränken und das Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 GG) berühren. Eine Sperrung von Netzseiten sei rechtlich allein als Ultima ratio vorgesehen und daher nur in wenigen begründeten Ausnahmefällen gestattet. Die Bundesregierung aber plane in Zusammenarbeit mit dem BKA, mehrere tausend Web-Adressen zu zensieren.

Die Begründungen strotzten von Unkenntnis und mangelndem Verfassungsverständnis. Die geheimen Filtersysteme besitzen ein enormes Mißbrauchspotential, denn weder Privatpersonen noch Verbraucherschützer oder Journalisten dürfen die Rechtmäßigkeit einer Sperrung überprüfen. Selbst das Minimum an demokratischer Gewaltenteilung, eine Prüfung der Zensurmaßnahmen durch die Judikative, ist nicht vorgesehen. Das BKA wäre damit befugt, die Zensur jederzeit auf beliebige weitere Netzseiten auszuweiten. Es ergibt sich die Frage: „Wenn aber die Behörde vollkommen freie Hand bei der Erstellung und Verwaltung der Zensurlisten erhält, wer überwacht dann die Wächter?“ Dazu sagt Frau von der Leyen – nichts!

Es geht ganz klar darum, das Medium Internet unter behördliche Kontrolle zu bekommen. Das hochemotionale Thema „Kinderpornographie“ ist nur der Eisbrecher und von der Leyen die nützliche oder willige Idiotin auf dem Weg in den Überwachungsstaat.

Die Vorgänge um den SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss, einen entschiedenen Gegner ihrer Pläne, müssen zu denken geben. Der Medien- und Datenschutzexperte Tauss ist einer der ganz wenigen Politiker, die in dieser Frage über echte Sachkompetenz verfügen. Mit den neuen Medien hatte er sich schon beschäftigte, als Helmut Kohl auf die Frage nach den Datenautobahnen noch blaffte: „Straßenbau ist Ländersache!“

Anfang März 2009 stand Tauss selber als angeblicher Konsument von Kinderpornographie am Medienpranger. Er hat versichert, lediglich Recherchen für seine politische Arbeit angestellt zu haben. Das scheint glaubhaft, denn andernfalls hätte er als Kenner der Materie und der technischen Finessen wohl Mittel und Wege gefunden, um einer Kompromittierung vorzubeugen. Eine Intrige liegt im Bereich des Möglichen. Inzwischen ist die politische Existenz von Tauss vernichtet, ein Gegner kaltgestellt, er wird nicht mehr für den neuen Bundestag kandidieren.

Angesichts dieses Vorgangs wirkt auch die Aussicht auf sogenannte Bundestrojaner – Computerprogramme, die vom BKA auf Festplatten geschleust werden, um diese zu durchsuchen, natürlich nur im Kampf gegen den Terror! – wahrhaft erschreckend. Es dürfte ein Kinderspiel sein, unliebsamen Zeitgenossen Kindersex-Seiten auf die Festplatte zu zaubern, um die Betreffenden dann unter großem öffentlichen Getöse entlarven und gesellschaftlich hinrichten zu können. Zu schweigen davon, daß sich durch den behördlichen Zugriff auf das Internet ganz neue Räume für den „Kampf gegen Rechts“ eröffnen.

Zur Zeit bildet das Internet einen Freiraum, wo die offizielle und informelle Zensur des Staates weitgehend wirkungslos bleibt. Hier können Informationen ausgetauscht werden, die von den Behörden vertuscht und von den Medien unterschlagen werden, was zu ihrer schleichenden Delegitimierung und zu sinkenden Absätzen führt.

Falls die ideologischen und autoritären Tendenzen des Staates weiter zunehmen, könnte diese Gegenöffentlichkeit in eine Rolle geraten, die dem Samisdat im ehemaligen Ostblock entspricht. Deshalb die Bestrebungen, sie durch Kontrolle und Zensur immer weiter zu beschneiden. Ministerin von der Leyen schämt sich nicht, zu diesem Zweck dem sexuellen Mißbrauch der Kinder den politischen hinzuzufügen.

Foto: Demonstration gegen Internetzensur am 17. April in Berlin: Das Wort „Handlungspflicht“ riecht nach Strafen, Anzeigen, Denunzieren

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