© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/09 24. April 2009
Hitler wurde doch in Versailles geboren Unter Freunden hilft man sich gern einmal. Hat der eine etwa ein Buch geschrieben, kann der andere mit einer Rezension zu Diensten sein. Die fällt dann natürlich so lobend aus wie Heimo Schwilks Besprechung von Ralf Georg Reuths Hitlers Judenhaß in der jüngsten Ausgabe von Gegengift (3/09). Dabei arbeitet Schwilk die Hauptthese seines WamS-Kollegen präzise heraus. Der aus den Stahlgewittern des Ersten Weltkrieges heimgekehrte Frontsoldat Adolf Hitler, im April 1919 noch im Soldatenrat der kommunistischen bayerischen Räterepublik, sei unter dem Eindruck der fürchterlichen Repressalien, die das Versailler Diktat dem besiegten Deutschland auferlegte, politisch nach Rechtsaußen geschwenkt und zum Judenhasser geworden. Wie Schuppen sei es Hitler von den Augen gefallen: Die jüdischen Plutokraten des kapitalistischen Westen hätten sich im Bund mit den bis nach Bayern vorfühlenden jüdischen Bolschewisten in Moskau gegen Deutschland verschworen. Noch die letzte Kolossalbiographie, Ian Kershaws zweibändiger Hitler (2000), ignorierte aber diesen konkreten Kontext, um die vom späteren Führer und Reichskanzler fabrizierte Legende von seinem elementaren, ihn schon in den Wiener Jahren beherrschenden Judenhaß fortzuspinnen. Das paßte besser in Kershaws volkspädagogisch korrekten Deutungsrahmen, der Hitler in der Kontinuität des nahezu anthropologisch fixierten deutschen Antisemitismus verortet. In der Wiedergewinnung einer genuin historischen, auf Versailles verweisenden Erklärung liegt somit das Hauptverdienst von Reuths Buch. Wiedergewinnung, wie man explizit betonen muß, denn zwischen 1949 und 1968 galt Theodor Heuss Wendung Hitler wurde in Versailles geboren als plausible Herleitung der NS-Erfolgsgeschichte. In dieser gegen Kershaw gerichteten Profilierung zeithistorischer Einflüsse auf Hitlers Weltbild erschöpft sich Reuths Werk freilich. Sein Material reicht insoweit nur für eine quellenkritische Miszelle zur jüngeren Hitler-Forschung. Um das zu kaschieren, streckt er den Text, und viele Wiederholungen ermüden den Leser. Dabei tritt zutage, was Freund Schwilk wohlwollend verschweigt: Reuth gibt die gegen Kershaw eingeforderte Historisierung von Hitlers Judenfeindschaft wieder preis. Mit Hans Sachs sieht er nämlich Wahn, Wahn! Überall Wahn! am Werke. Schon stilistisch ist dieses penetrante Gehämmere (Wahnbild, Rassenwahn) eine Zumutung. Historisch erst recht, denn Reuth verwandelt die jüdischen Akteure etwa der Münchner Räterepublik in vermeintliche Juden. Hätten aber nur halluzinierte Juden dem Wahnbild Hitlers wirklich eine Massenresonanz verschaffen können? Ralf Georg Reuth: Hitlers Judenhaß. Klischee und Wirklichkeit. Piper Verlag, München 2009, gebunden, 374 Seiten, Abbildungen, 22,95 Euro Foto: Hitler (Pfeil) beim Leichenzug des ermordeten USPD-Politikers Kurt Eisner, München am 26. Februar 1919: Halluzinierte Juden |