© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/09 17. April 2009

Frisch gepresst

Breslau. Erich Seeberg, kirchenhistorischer Zampano der Zwischenkriegszeit, Ordinarius in Breslau, Königsberg, Berlin, hielt Fritz Milkau, dem Fürsten der Preußischen Staatsbibliothek, im Januar 1934 die Grabrede nach dem „Wort des Herrn“ aus Matth. 6, 21: „Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Er wies dabei zurück auf die „Breslauer Idylle“ im alten Kloster auf der Sandinsel, dem Domizil der Breslauer Universitätsbibliothek, im „versponnenen Bau“ mit Blick auf den Garten und die Oder, wo Milkau vor seiner Berliner Amtszeit von 1907 bis 1920 residierte, auf dem „Höhepunkt seines Lebens und seiner Liebe“. Ein zarter Hauch dieser von Seeberg beschworenen Empfindungen weht den Betrachter des Bandes „Breslau im Luftbild der Zwischenkriegszeit“ an (mit Texten von Rafal Eysymonnt und Thomas Urban, Herder-Institut/Via Nova Verlag, Marburg/Breslau 2008, broschiert, 128 Seiten, 25 Euro). Die schöne Sandinsel aus der Vogelperspektive ist der Ausgangspunkt für einen Inspektionsflug über die alten Hauptstadt Schlesiens hinweg, die mit Einblicken in den sozialen Wohnungsbau der weniger ansehnlichen Vorortsiedlungen endet. Von den 770 um 1930 entstandenen, heute im Herder-Institut aufbewahrten Breslauer Luftbildern wurden 133 ausgewählt und mit bau- und kulturhistorisch sachkundigen Texten versehen.

 

Biologie der Juden. Die Berliner Wissenschaftshistorikerin Veronika Lipphardt ist so vernarrt in das realitätsersetzende „Narrations-“ und „Konstruktions“-Paradigma, daß man um ihr Leben im Straßenverkehr fürchtet, wenn sie  aus radikal „konstruktivistischer Perspektive“ womöglich auch rote Ampeln oder vorfahrtberechtigte LKW für „Erfindungen“ ihrer Einbildungskraft hält. In jedem Fall erweist die Dauerwiederholung dieser Begriffe sich als massives stilistisches Rezeptionshindernis für ihre fleißige Materialsammlung zum Thema „Biologie der Juden“ (Jüdische Wissenschaftler über „Rasse“ und Vererbung. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, gebunden, 360 Seiten, 39,90 Euro). Der sie „irritierende“ Befund, daß auch jüdische, mitunter dezidiert zionistische Mediziner, Natur- und Sozialwissenschaftler sich – und zwar bezogen auf die eigene Herkunft durchaus affirmativ – am „Rassediskurs“ beteiligt haben, führt bei Lipphardt zu dem löcherig begründeten, aber ideologisch korrekten Ergebnis, deren Vokabular erscheine „aus heutiger Sicht“ zwar als rassistisch, sei aber nicht als „jüdisch-völkischer Chauvinismus“ einzustufen, weil die Autoren Anleihen bei einer damals nicht als rassistisch geltenden Fachsprache gemacht hätten und ihre Forschungen „für wirksame und zukunftsweisende Maßnahmen im Interesse des Judentums und der Menschheit“ hielten.

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