© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/09 17. April 2009

Mehr persönliche Freiheiten gewähren
Iran: Präsidentschaftskandidat Mussawi will die Islamische Republik aus der Isolation herausführen, aber Grundsatzentscheidungen trifft allein der „Wächterrat“
Günther Deschner

Dreißig Jahre nach ihrer Gründung steht am 12. Juni in der Islamischen Republik Iran eine Richtungsentscheidung an. Präsident Mahmud Ahmadi-Nedschad, der für eine zweite Amtszeit kandidiert, hat in dem Ex-Premier Mir-Hossein Mussawi einen ernstzunehmenden Herausforderer gefunden. Mussawi begann den Wahlkampf mit einem Paukenschlag.

In einer Presseerklärung bekannte  sich der 67jährige zum politischen System einer Islamischen Republik, in dem ein „hoher religiöser Rat“ die Grundlagen der Politik vorgibt, doch im selben Atemzug sagte er, „die Reglementierung der persönlichen Lebensgestaltung der Menschen und die zwangsweise Durchsetzung überspitzt ausgelegter religiöser Vorschriften“ könne „auch zu weit gehen“. Er wolle den Iranern „wieder mehr persönliche Freiheiten gewähren“ und „den Iran aus der Isolation herausführen“. Ahmadi-Nedschad habe „die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen“ zu verantworten und „mit extremistischer Rhetorik“ dem Land geschadet.

Im Westen sieht man im Ausgang der Wahlen daher auch ein Votum des iranischen Volks über die Frage, wie Teheran mit US-Präsident Barack Obamas Rede zur Außenpolitik umgehen soll, die einen neuen Stil der bilateralen Beziehungen einleitete. Daß Washington vor einer Woche ankündigte, im sogenannten Atomstreit auch direkt mit Teheran verhandeln zu wollen, gilt als erster praktischer Schritt in diese Richtung.

Aus Umfragen weiß man, daß sich auch die Mehrheit der Iraner eine Lösung des Dauerkonflikts mit den USA, eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und ein Ende der Sanktionen wünscht. Eine Abwahl Ahmadi-Nedschads würde all dies erleichtern. Allerdings gerät häufig aus dem Blick, daß gemäß Verfassung und politischer Realität des Iran der Präsidentenmacht enge Grenzen gezogen sind. Immer noch entscheidet in Grundsatzfragen der „oberste geistliche Führer“, Ajatollah Ali Khamenei.

Abwahl Ahmadi-Nedschads wegen sozialer Probleme?

Genau wie einst Revolutionsführer Khomeini zentrale Entscheidungen fällte – etwa die Freilassung der bei der Besetzung der US-Botschaft als Geiseln genommenen Diplomaten –, so wird auch Khamenei über die künftige Entwicklung der Beziehungen zu den USA entscheiden. Unwichtig sind die Staatspräsidenten dennoch nicht. So wie Khamenei den Nuklearkurs Ahmadi-Nedschads gestattet hat, so hat er 2004 auch die Aussetzung des Uranprogramms der Regierung Khatami nicht verhindert. Mit Mussawi will ein Politiker Präsident werden, der in den Augen der Wähler als Reformer gilt, der aber von den radikalen Fundamentalisten nicht so ohne weiteres frontal angegriffen werden kann. Denn die Erinnerung daran ist noch stark, daß es der Revolutionsführer Khomeini selbst war, der Mussawi stets gefördert und bestätigt hat.

Mussawis Beliebtheitsgrad ist so hoch, daß eine Schmutzkampagne, wie sie von Ahmadi-Nedschads Radikalinskis losgetreten werden könnte, eher nach hinten losginge. Denn Mussawi, Regierungschef von 1981 bis 1989, also während des Verteidigungskriegs gegen den Irak, ist in der Erinnerung des Volks eine Art Held, weil er das Land heil durch den Krieg gebracht hat.

Jüngste Umfragen zeigen, daß Ahmadi-Nedschad vor allem wegen aktueller Wirtschaftsprobleme an Popularität verloren hat. Obwohl der Preis für Erdöl – Irans wichtigster Wirtschaftsfaktor – 2008 ein Allzeithoch erreicht hatte, gerieten Arbeitslosigkeit, Haushaltsdefizit und Inflation (derzeit 31 Prozent) außer Kontrolle. Der gefallene Ölpreis verschärft die Lage nun.

1989, nach dem Krieg, hatte Präsident Hashemi Rafsandschani das Amt des Premierministers abgeschafft, und Mussawi hatte sich daraufhin aus der Politik zurückgezogen, sich der Malerei gewidmet und war Präsident der iranischen Akademie der Künste. Um so größer war die Überraschung, als er vor zwei Monaten mit einem spektakulären Interview, in dem er Ahmadi-Nedschad frontal kritisierte, sein Comeback einleitete. Daß er mit Zustimmung des „obersten Führers“ ins Rennen geht, darf als sicher gelten. Manche sehen darin bereits eine Reaktion des „obersten Führers“ auf den Präsidentenwechsel in den USA.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen