© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/09 17. April 2009

Das Gespenst der Grauzone
Publizistik: Eine Studie über den „Blick nach Rechts“ macht deutlich, daß der Antifaschismus längst zur politischen Religion geworden ist
Harald Seubert

Seit 1984 hat sich der SPD-nahe Blick nach rechts der Beobachtung des Rechtsextremismus verschrieben – oder das was die Herausgeber dafür halten. Der Politikwissenschaftler Lars Normann hat die Publikation, die mittlerweile ausschließlich im Internet erscheint, nun einer genaueren Untersuchung unterzogen.

Seine Analyse ist scharfsinnig und nüchtern. Sie verbindet zeithistorische, politisch-philosophische und publizistikwissenschaftliche Aspekte. Dabei wird im ersten Teil das Profil der Zeitschrift Blick nach rechts rekonstruiert. Normann zeigt, daß die Zeitschrift von Anfang an nicht als herkömmliche Publikumszeitschrift, sondern zur Verteilung an Multiplikatoren angelegt war. Er legt die vielfältigen Verflechtungen des Organs zu hochrangigen Kreisen der SPD dar, weist aber auch darauf hin, daß die Publikation keine Berührungshemmungen gegenüber linksextremen Kreisen aufwies. Zudem wird deutlich, daß viele der maßgeblichen Autoren und Exponenten – seit den neunziger Jahren in zunehmendem Maße – sich mit Verfassungsschutzorganen berühren. 

Nirgends findet man bei Normann Polemik, nirgends wohlfeile Verschwörungstheorien. Wohl aber entwickelt er präzise Diskursanalysen, die die „antifaschistischen Publikationsmethoden“ entschlüsseln: die Bildung von Assoziationsketten, Namensnennungen in verfänglichen Kontexten, Begriffsverwirrungen. Dabei wird deutlich, wie das Fama von Unpersonen erzeugt wird, so daß am Ende nicht mehr ins Gewicht fällt, was einer sagt und denkt. Normann überläßt dem Leser die Schlußfolgerungen. Diesem wird aber bewußt, wie „Erfahrungen zweiter Hand“ erzeugt werden, gemäß dem zutreffenden Wort von Michael Joyce, daß viele Menschen in der multimedialen Welt nicht wissen, woher bestimmte Ideen kommen, wohl aber, daß sie ihnen zuzustimmen haben. Der Blick nach rechts operiert, dies wird in Diskursanalysen detailliert gezeigt, mit dem Gespenst der „Grauzone“ oder des „Brückenspektrums“ zwischen „etablierten“ konservativen Intellektuellen und dem Extremismus, ohne daß der Rhetorik Begründungen oder empirische Belege folgen könnten. Die Demokratie, die dabei angeblich verteidigt wird, ist, auch dies zeigt Normann, nicht zuerst auf offene Gesellschaft und auf den antitotalitären Grundkonsens der einstigen Bundesrepublik ausgerichtet, sie schreibt vielmehr Antifa-Muster fest. Registrierung, Erfassung „rechter“ Publikationen sind von großer Bedeutung. Sie erlauben es, dingfest zu machen, Urteile festzuzurren. Näheres Hinsehen erübrigt sich. Die Verwahrungen und Selbstaussagen vieler Betroffener werden nicht zur Kenntnis genommen,  gelten sie doch ungeprüft als Kulisse und Maske: Ein freiheitlicher Diskurs ist auf dieser Ebene offensichtlich nicht mehr erwünscht. Können Konservative heute ein Selbstverständnis finden, das dem Fetisch des Spiegel- und Zerrbildes entgeht? Dies dürfte eine zentrale Frage an einen  modernen, liberalen Konservatismus sein. 

Normann zeigt eindrucksvoll, daß der „Antifaschismus“ längst die Dimension einer politischen Religion oder Ritualisierung erreicht hat. Der unvoreingenommene Leser wird sich auch fragen, wie ein Kampf gegen antidemokratischen Rechtsradikalismus, gegen NS-Ideologen, wirksam sein kann, wenn denn alles, was auch nur Fragen stellt, die über einen längst entpolitisierten politisch korrekten linken Konsens hinausgehen, als tendenziell nazistisch verunglimpft wird. Verbirgt sich hinter dieser Strategie nicht zugleich eine  große Verharmlosung und Lebenslüge?

Im zweiten Teil des Buches leistet Normann eine brillante, geradezu spannende Analyse einzelner Fallbeispiele betroffener Personen und Institutionen und maßgeblicher Akteure des Blick nach rechts. Er geht aber auch über den eigentlichen Untersuchungszeitraum seit 1990 zurück bis in Frühphasen des Projektes in den sechziger Jahren, mit Exponenten wie Bernd Engelmann oder Kurt Hirsch. Besonderes Gewicht bekommt die Untersuchung durch den Blick in die Archive und auf die Stasi-Akte des langjährigen Bnr-Autors Kurt Hirsch. Normann läßt durchaus den unterschiedlichen Strömungen und Autorenkalibern im Blick nach rechts Gerechtigkeit widerfahren. Gleichwohl kann er viele gewichtige Einwände gegen die selbstproklamierte „Unabhängigkeit“ des Organs namhaft machen.  

Es ist eindrucksvoll, wie souverän  Normann philosophische und soziologische Grundsatzerwägungen (Gehlen, Luhmann, Carl Schmitt, aber auch Voegelin oder Hannah Arendt sind stets präsent) mit der Durchleuchtung seines nicht immer erfreulichen Sujets verbindet. Mitunter hätte er bei seinen Gewährsleuten nicht nur Konservative, sondern verstärkt auch liberale bis linksliberale Vertreter einer offenen Gesellschaft heranziehen können. Dies hätte manchen Thesen stärkere Plausibilität geben können. Auch ist das Buch nicht immer ideal gegliedert: „Vorbemerkungen“ am Ende eines ersten Teils sind nicht gut plaziert, das Layout hätte durch einige Leerseiten gewonnen. Dennoch ist Normann eine wichtige und brisante Studie gelungen, die Detailkenntnis und hohes analytisches Vermögen verbindet. Sie wirft grundsätzliche Fragen auf: Es gibt Tendenzen, daß die vierte Gewalt zur ersten wird und die Gewaltenteilung selbst unterläuft, die nach Kant eine freie Republik von der Tyrannis unterscheidet.

Müßig wäre die Klage, daß, wo es einen wohletablierten Blick nach rechts gibt, auch ein „Blick nach linksaußen“ erforderlich wäre, ebenso bezuschußt und schirmherrlich begleitet. Darüber nachzudenken, warum allein der Gedanke daran heute illusorisch ist, lohnte sich. Normanns Studie ist nicht für Konservative oder demokratische Rechte geschrieben, sie ist kein Pamphlet, sondern eine Untersuchung, deren Ergebnisse niemanden gleichgültig lassen dürften, der am offenen Disput einer Demokratie, pathetisch gesagt: an der Polis, noch interessiert ist. Jede Tendenz ist schädlich, die mit Generalverdacht Etikettierungen reproduziert, ohne zu fragen, was einer zu sagen hat. Wo Desavouierung und die denunziatorische Zerstörung von Karrieren an die Stelle des Arguments treten können und Strukturen entstehen, ist höchste Vorsicht geboten. Dies sollte auch denkenden Linken und Intellektuellen einleuchten, für die das Wort „kritisch“ noch einen Inhalt hat.  

Lars Normann: Rechts im Spiegel von Links. Die Zeitschrift „blick nach rechts“ als Symptom politischer Kultur der Bundesrepublik Deutschland, GRIN-Verlag, Norderstedt 2008, kartoniert, 428 Seiten, 39,90 Euro

Foto:  „Blick nach rechts“: Seit 2004 nur noch im Internet

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