© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/09 10. April 2009

Kolumne
Babylon und seine Abgründe
Klaus Hornung

Eine der Geschichten in der Bibel handelt vom Turmbau zu Babel, dem gewaltigen Bild von der sündigen Überhebung des Menschen und ihren Folgen. In unseren Tagen der System- und Finanzkrise ist sie von erschreckender Aktualität – nicht nur für Christen, sondern hoffentlich auch für „religiös Unmusikalische“, wie Jürgen Habermas sich und seinesgleichen nennt. Es geht um das Mißverständnis einer Freiheit ohne Verantwortung, die die Folgen der Selbstzerstörung in sich birgt.

Es ist kein Zufall, daß in diesen Tagen der ökonomischen Systemkrise und Selbstzerstörung auch die Einblicke in die Abgründe unserer moralischen Krise immer dichter aufeinander folgen. Die Turmbauten unserer Zeit erscheinen oft wie auf Abgründen errichtet. In nicht wenigen Familien erinnert das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern an dünnes Eis, wo die Eltern ihre Kinder am Morgen mit dem Auto an der Schule abliefern und für den Rest des Tages sich selbst überlassen. Sicher, Verallgemeinerungen wären falsch. Auch heute gibt es intakte Familien, Sportvereine, Freundschaften zwischen Gleichaltrigen. Doch die Desorientierung und Vereinsamung besonders in der jungen Generation wächst, mit dem Ergebnis, daß viele in der virtuellen Welt des „Gesprächs“ mit ihrem Computer sitzen bis hin zu den stupiden Gewalt-Videos. Das „Vorbild“ der Älteren wird von materialistischer und individualistischer Egozentrik geprägt. Niemand braucht sich zu wundern, wenn Vertrauen zwischen Alt und Jung wie der Jungen untereinander schwinden und sie über kein tragfähiges Zukunftsbild verfügen.

Die Berliner Rede des Bundespräsidenten hat den Zusammenhang zwischen ökonomischer und ethischer Problematik auf den Punkt gebracht. Sie verdient breite Diskussion. Köhler hat mit Recht auch betont, daß wir bis heute „auf eine angemessene Selbstkritik der Verantwortlichen warten, ganz abgesehen von einer angemessenen Selbstbeteiligung für den angerichteten Schaden“. Der Druck im Kessel wächst. Wenn ihm nicht grundlegende Systemreformen folgen, könnte das ganze System uns bald um die Ohren fliegen. Zu Recht, hätte es doch die Legitimität der freiheitlichen Demokratie verloren. Wie selten in der Geschichte geht es in diesen Monaten um „das Ganze“. Es geht um die Wiederherstellung und Nutzung des geistigen und moralischen Kompasses, auf den die Staaten und Gesellschaften des Westens in den letzten zehn Jahren verzichten zu können meinten. Werden die Funktionseliten und die Wähler das begreifen – wann, wenn nicht jetzt?

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.

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