© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/09 03. April 2009

Frisch gepresst

1938/39. Am liebsten würde die zeithistorische Zunft die „Alleinschuld“ der Führung des Großdeutschen Reiches an der „Entfesselung“ (Walter Hofer) des Zweiten Weltkriegs unter den Schutz des politischen Strafrechts stellen lassen. Darauf deutet jedenfalls die nach oben offene Empörungsskala immer dann hin, wenn wieder jemand gut begründete Zweifel an diesem Dogma zu äußern wagt. Der „Außenseiter“ Stefan Scheil, Autor von bisher drei Publikationen zur diplomatischen Vorgeschichte des Kriegsausbruchs am 1. September, kann davon ein Lied singen. Was ihn jedoch nicht hindert, das heiße Eisen ein viertes Mal anzupacken und dafür die Parole auszugeben: „Eine Alleinverantwortung für den Kriegsausbruch von 1939 gibt es nicht – nirgendwo.“ Was logisch zu der Aussage führt: Der Krieg von 1939 sei nicht „als willkürlich von der nationalsozialistischen Regierung Deutschlands vom Zaun gebrochener Eroberungskrieg einzustufen“. Man hört hier förmlich das Aufstöhnen der potentiellen Rezensenten aus der hegemonialen PC-Fraktion und ahnt ihren Griff zur „Revisionismuskeule“. Damit werden sie um so lustvoller zuschlagen, wenn sie lesen, was Scheil über die von den USA und vornehmlich von  Großbritannien aus sich massiv in die internationale Politik der 1930er Jahre einmischenden jüdischen Organisationen ausbreitet. Dabei muß er nicht einmal tief in die Archive steigen, um die schier unfaßbaren Versäumnisse der „Zunft“ aufzudecken, die das Thema hierzulande seit Jahrzehnten tabuisiert (Churchill, Hitler und der Antisemitismus. Die deutsche Diktatur, ihre politische Gegner und die europäische Krise der Jahre 1938/39. Duncker & Humblot, Berlin 2008, broschiert, 335 Seiten, Faksimiles, 28 Euro).

 

Geteiltes Deutschland. Auch zwanzig Jahre nach dem Hochgefühl deutsch-deutscher Verbrüderung im November 1989 ist die Teilung noch nicht überwunden, meint Niels Beckenbach. Der emeritierte Kasseler Soziologieprofessor geht in einer von ihm herausgegebenen Aufsatzsammlung den Gründen dafür nach und fordert ein „perspektivisches Erinnern“. Die Malerin und ehemalige DDR-Oppositionelle Katrin Hattenhauer schildert ihre eigenen Erfahrungen mit dem „Leben im Widerstreit“, Thomas Ahbe die „Milieulandschaften“ des verbürgerlichten Westens und „verarbeiterlichten“ Ostens. Beckenbach wiederum stellt einen „linken Revisionsbedarf“ fest, der den Erkenntnissen über die Grausamkeit der sozialistischen Diktatur gerecht wird. Gerade hierzu liefert Friedhelm Bolls Beitrag über das Schicksal des in der braunen wie in der roten Diktatur eingekerkerten SPD-Politikers Albert Wesemeyer bestes Anschauungsmaterial (Fremde Brüder. Der schwierige Weg zur deutschen Einheit. Duncker & Humblot, Berlin 2008, broschiert, 206 Seiten, Abbildungen, 34 Euro).

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