© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/09 03. April 2009

Ab hinter Gitter
Finanzkrise: Die Täter für den Schaden zur Verantwortung ziehen / Unterdrückte Haftungsansprüche
Klaus Peter Krause

Die Finanzkrise ist kein Naturereignis – sie ist Menschenwerk. Sie ist Menschenversagen. Menschen haben die Geldmenge mittels Kreditvergabe (Buchgeld) und Notendruck unheilvoll aufgeblasen, Menschen den Globus vor allem mit unvorstellbaren Dollarmengen überschüttet, Menschen haben die Leitzinsen der Notenbanken nach unten manipuliert. Menschen haben mit dem billigem Geld fragwürdige Kredite unter Leute gebracht, die sich damit zu stark verschuldet haben.

Menschen haben riskante Geldanlagen (sprich: Wetten) entwickelt und andere in sie hineingelockt. Menschen haben langfristige Verpflichtungen mit kurzfristigem Geld finanziert – und damit gegen die Goldene Bankregel verstoßen. Menschen haben faule Forderungen in besser klingende Wertpapiere (etwa Kreditderivate) verpackt. Menschen gaben die Losung von der 25-Prozent-Eigenkapitalrendite als Regelsatz aus – was unter Wettbewerbsbedingungen allenfalls mit einem riskanten „Kredithebel“ zu erreichen ist.

Menschen haben damit Banken und andere in „Finanzprodukte“ mit hohen Risiken getrieben. Menschen haben drohende Verluste als Giftmüll aus den Bilanzen entfernt und in eigens dafür gegründete Zweckgesellschaften gesteckt. Menschen sind dem Drang nach irrwitzig hohen Gehältern und Boni wie Lemminge gefolgt. Menschen wollten ihre Banken und Unternehmen durch Übernahmen immer noch größer machen. Und sich selbst.

Menschen wollten ganz schnell reich werden – auf Kosten der anderen. Menschen haben Unternehmenskäufe fast ausschließlich mit Kredit finanziert, die gekauften Firmen mit diesen Krediten belastet, sie ausgesogen, fallenlassen und Arbeitsplätze vernichtet („Heuschrecken“-Konzept). Menschen haben leichtfertige Bonitätsnoten (Ratings) vergeben. Menschen sind mit dem Geld ihrer Kunden und dem aller Bürger leichtfertig umgegangen. Menschen haben die Insolvenzen und deren Folgen auf dem Gewissen. Menschen haben das Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht, und es ist noch immer nicht sicher, ob der große allgemeine Zusammenbruch nicht doch noch kommt. Menschen habe ihre Aufsichtspflichten nicht ernst genug genommen und sie daher verletzt. Menschen haben das Vertrauen in das Geld, in die Bankenwelt und in die freie Marktwirtschaft erschüttert.

Durften sie denn das alles? War es nicht verbrecherisch, was sie getan haben? Haben sie sich nicht strafbar gemacht? Müssen sie nicht persönlich für den angerichteten Schaden haften? Aber wer zieht sie zur Rechenschaft? Und wann?

Erst allmählich erheben sich Stimmen, die diese Fragen aufwerfen und beantwortet wissen wollen. Eine erste war die des Bonner Rechtswissenschaftlers Marcus Lutter. „Die Finanzkrise ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Werk von Menschen“, sagte er in der FAZ. Über deren Verantwortung und Haftung dürfe nicht länger geschwiegen werden.

Unter namhaften deutschen Politikern hat sich dazu in diesem Jahr als einer der ersten Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff zu Wort gemeldet: „Solches Zockertum ist kein bloßes ökonomisches Versagen, sondern wirf die Frage nach Verantwortung und Haftung auf“, sagte der CDU-Vize. „Eine pflichtwidrige Vernichtung von Kapital ist eine Straftat“, erklärte er der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Staatsanwaltschaften und Gerichte müßten dafür sorgen, daß privates Vermögen von Bankvorständen gesichert werde, um ein Durchsetzen von Schadensersatzansprüchen zu erleichtern.

Die zu ahnenden Delikte heißen zum Beispiel Sorgfaltspflichtverletzung, Untreue, Bilanzfälschung, Insolvenzverschleppung oder Marktmanipulation, die Gesetze dafür zum Beispiel Strafgesetzbuch, Handelsgesetzbuch, Wertpapierhandelsgesetz oder Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG). Juristen und andere Gesetzeskundige werden das erweitern und konkretisieren können. Wenn Vorstände, Manager, Aufsichtsräte solche Verfehlungen begangen haben, müssen sie dafür einstehen, müssen sie sich dafür verantworten, dafür haften und – wenn sie eine Strafvorschrift verletzt haben – bestraft werden.

Ob Wulff mit seinem Verlangen nach Haftung und Staatsanwaltschaft auch mitschuldige Politiker oder hohe Staatsbeamte als Mitglieder in Verwaltungsräten öffentlich-rechtlicher Banken im Visier hat? Mag sein, und wenn wirklich, werden Staatsanwaltschaften gegen sie kaum tätig werden. Staatsanwälte sind in Deutschland weisungsgebunden, und die regierenden Politiker werden sie nicht freiwillig gegen ihresgleichen in Bewegung setzen.

Strafverfahren gegen ehemalige Vorstände der öffentlich-rechtlichen KfW-Bankengruppe, der (inzwischen für einen fragwürdigen Niedrigpreis an den US-Finanzinvestor Lone Star verkauften) teilstaatlichen IKB (JF 17/08) sowie der Landesbanken WestLB und SachsenLB sind immerhin schon im Gange. Ob der von FDP, Linkspartei und Grünen initiierte Bundestagsuntersuchungsausschuß zum hundertmilliardenschweren Fall der privaten Hypo Real Estate (HRE) noch vor der Bundestagswahl Relevantes hervorbringt, ist noch nicht absehbar.

Die Krise der teilstaatlichen HSH Nordbank (ein gutes Viertel gehört wie bei der HRE dem US-Finanzinvestor J.C. Flowers), die Hamburg und Schleswig-Holstein zu einer „Kapitalspritze“ von über drei Milliarden Euro und einer Sicherheitsgarantie über zehn Milliarden Euro veranlaßt hat, harrt weiter einer öffentlichen Aufklärung.

Die Finanz- und Bankenkrise mit ihren Folgen ist als das Werk von Menschen ein schweres Vergehen. Zwar lassen sich diese Folgen nicht ungeschehen machen. Aber wenn man die Schuldigen in die Haftung nimmt und sie – auch mit Gefängnis – fühlbar bestraft, geschieht Recht. Ohne Sanktionen geschieht kein Recht. Auch stellt man damit klar, daß die Tat auch für die Schuldigen selbst schwerwiegende Folgen hat. Wohl mögen Haftung und Sanktionen vergleichbare Straffälle und Krisen in fernerer Zukunft nicht verhindern – läßt man jedoch die Täter ungestraft davonkommen, wird das Spiel „Gewinne privatisieren, wenn’s gutgeht, Verluste sozialisieren, wenn’s schiefgegangen ist“ um so ungenierter weiterbetrieben.

Wer falsch parkt, mit dem Auto zu schnell fährt, mit Alkohol am Steuer sitzt, wird mit Bußgeldern, Strafpunkten, Führerscheinentzug gnadenlos verfolgt. Wer andere Leute beklaut, wird wegen Diebstahls selbstverständlich bestraft. Wer einen schweren Raub begeht, landet vor Gericht und hinter Gittern.

Mit wieviel mehr Recht und staatlicher Verpflichtung müssen dann jene Verbrechen geahndet werden, die Banken und Unternehmen in den Abgrund gerissen, die die Wirtschaft global in die Rezession getrieben, die Staaten an den Rand des Staatsbankrotts gebracht, die Arbeitsplätze vernichtet haben, die damit im Ergebnis die Existenzen vieler, vieler unschuldiger Menschen ruinieren und diese der Armut aussetzen!

Foto: Gitter vor Gefängniszelle: Das globale Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht

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