© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/09 03. April 2009

Grenzenloser Protest
Nato-Gipfel: Die Polizei in Deutschland und Frankreich befürchtet Ausschreitungen von Gegendemonstranten
Hans Christians

Der Nato-Gipfel, der am Wochenende in Baden-Baden sowie im elsässischen Straßburg ausgetragen wird, versetzt die Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft. Der baden-württembergische Polizeipräsident Erwin Hetger gibt sich dennoch betont nüchtern: „Natürlich wird es Probleme geben. Wir sind nicht weltfremd.“ Rund 15.000 Sicherheitskräfte sollen die Teilnehmer der Feierlichkeiten anläßlich des 60jährigen Bestehens abschirmen, und der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft (GdP) Konrad Freiberg sieht seine Mannen schon vor dem Gipfeltreffen auf dem Zahnfleisch gehen: „Unsere Belastungsgrenze ist nicht erreicht, sie ist überschritten.“

Dabei waren die Planungen für die Gegendemonstrationen anders als beim G8-Gipfel in Heiligendamm im Jahr 2007 schleppend verlaufen. Damals demonstrierten mehr als 50.000 Menschen, teilweise äußerst gewaltsam. Diesmal fehle den Gipfel-Gegnern ein konkreter Anlaß, wie ihn der kilometerlange Zaun von Heiligendamm geboten hatte. Dennoch: Auch vor dem Nato-Treffen hat sich ein breites Bündnis aus linken Gruppen, „Antifaschisten“, Globalisierungsgegnern und Friedensbewegten gebildet, die ihren Unbill über die Veranstaltung kundtun wollen. Baden-Württembergs Innenminister Erwin Rech hat für seine Entscheidung, keine Großcamps von Demonstranten dulden zu wollen, viel Kritik einstecken müssen. „Wenn die schwer bewaffnet ankommen, dann sperre ich die weg für die Zeit“, sagte Rech regionalen Medien, „da bin ich auch nicht zimperlich.“

Die Koordinatoren der Proteste haben sich daher für ein zentrales Lager auf französischem Boden entschieden. „Damit soll die Internationalität der Proteste unterstrichen werden“, teilt das Bündnis „Widerstand an zwei Ufern“ mit.

Knackpunkt könnte eine geplante Großdemonstration in Straßburg werden, die die französischen Behörden verboten haben. Rainer Braun vom Bündnis „No Nato“ prophezeit ein „Bürgerkriegsszenario“, sollte die Verfügung aufrechterhalten werden. Statt eines Marsches durch die elsässische Innenstadt genehmigten die Verwaltung lediglich eine Demonstration im Hafengebiet. Recht unverhohlen kündigen die Nato-Gegner an, dieses Verbot unterlaufen zu wollen. Zudem haben sowohl deutsche als auch französische Behörden angekündigt, das Schengen-Abkommen für die Gipfel-Dauer außer Kraft zu setzen und den Demonstranten den Grenzübertritt zu erschweren. Das Bündnis „Widerstand an zwei Ufern“ hält diese Vorgehensweise für illegal und strebt wie auch im Fall der Demonstrationsroute eine Eilentscheidung des Europäischen Gerichtshofes an.

In Baden-Baden sind derzeit drei Demonstrationen angemeldet und genehmigt. Für diesen Donnerstag rechnet das Anti-Nato-Bündnis als Anmelder einer zentralen Kundgebung mit rund 10.000 Teilnehmern. Tags darauf veranstaltet die Deutsche Friedensgesellschaft eine Mahn-Veranstaltung – anders als die großen Bündnisse hat sich die Gesellschaft eindeutig für einen gewaltfreien Protest ausgesprochen. Ein Sprecher von „Widerstand an zwei Ufern“ wirft den Behörden dagegen schikanöses Verhalten vor und unterstellt, inländische Geheimdienste wollten Aktivisten zum Verrat ermuntern. Das Bündnis hat auf französischer Seite ein Camp mit 5.000 Personen angemeldet, und die Sicherheitskräfte befürchten, daß sich aus diesem heraus spontane Aktionen ergeben könnten, die nur schwer zu kontrollieren seien.

Am Samstag werden schließlich in Baden-Baden auch rund 150 Personen erwartet, die weder der Polizei noch linken Nato-Gegnern willkommen sind. Ähnlich wie in Heiligendamm vor zwei Jahren hat auch die NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten einen Aufmarsch unter dem Motto „Von Euren Kriegen haben wir die Schnauze voll“ angemeldet. Die baden-württembergische Polizei fürchtet, „daß es zu einer Eskalation kommen kann, wenn Neonazis und Linksradikale aufeinandertreffen werden“.  Die Rednerliste der JN-Demo hat es jedenfalls in sich. Neben dem Bundesvorsitzenden Michael Schäfer hat sich auch der Schweriner NPD-Fraktionschef Udo Pastörs angekündigt.

Foto: Flugblatt von Nato-Gegnern: Schengen-Abkommen zeitweise ausgesetzt

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