© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/09 27. März 2009

Kolumne
Vertreibung unter Politbeton
Rolf Stolz

Warum bestraft der Staat Mörder? Warum ächtet die Gesellschaft den Mord? Weil es unsere Pflicht ist gegenüber Gott und den Menschen, weil wir Menschen davor schützen müssen, ermordet oder zum Mörder zu werden. Hätte nicht auch die deutsche Regierung gegenüber Polen die Pflicht, potentielle zukünftige Mörder, Verfolger, Vertreiber abzuschrecken, statt sie zu begünstigen?

Hätte nicht die ehemalige FDJ-Sekretärin Angela Merkel, die sowenig zu ihrer Vergangenheit steht wie etliche Altnazis nach 1945, nicht 2006 protestieren müssen, als der damalige polnische Ministerpräsident Lech Kaczyński ein Denkmal für den Judenmörder Josef Kuras einweihte, hätte sie nicht Erika Steinbach durchsetzen müssen gegen ihren Freund Tusk?

An vier elementare Wahrheiten sei erinnert: Durch kein Verbrechen deutscher Politiker und Militärs nach 1939 wird gerechtfertigt, daß die faschistoide Diktatur im Zwischenkriegspolen besonders nach 1935 die großen Minderheiten (Deutsche, jiddischsprachige Ostjuden, Ukrainer) drangsalierte – bis hin zum Bromberger Blutsonntag 1939.

Durch kein Verbrechen deutscher Politiker und Militärs nach 1939 wird gerechtfertigt, daß die machthabende Minderheit Polens mit Billigung der polnischen Bevölkerungsmehrheit nach 1945 Deutsche ermordete, ausraubte und gewaltsam vertrieb. Durch kein Verbrechen deutscher Politiker und Militärs nach 1939 wird gerechtfertigt, daß die überlebenden Juden 1945/47 vielfach mißhandelt, ja sogar getötet wurden. 200.000 Juden flohen deshalb bis 1947 aus Polen.

Durch kein Verbrechen deutscher Politiker und Militärs nach 1939 wird gerechtfertigt, daß das heutige Polen sich weigert, die historische Schuld einzugestehen, die historischen Schulden zu bezahlen, geistig und materiell Sühne und Wiedergutmachung zu leisten und auf immer Landraub, Vertreibung und Verfolgung zu ächten.

Die Großkoalitionäre von CDU/CSU und SPD können die Vertriebenen aus den Altparteien vertreiben, sie können die Vertreibungsverbrechen unter Politbeton und Neusprech-Floskeln kurzzeitig begraben – für die, die Deutschland im Herzen tragen, auch das Ostdeutschland des Königsbergers Kant und der Breslauer Dietrich Bonhoeffer und Edith Stein, lebt die Geschichte und lebt dieses Land, das Schlimmeres überstanden hat als ein paar mediokre Staatsschauspieler.

 

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln.

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