© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/09 13. März 2009

Gottes Werk in Zeiten der Finanzkrise
Atheistisches Territorium zurückerobern: Die evangelische Kirche in Nordostpreußen kümmert sich um geistliche wie um körperliche Bedürfnisse
Matthias Bath

Am 1. März fand im Berliner Paul- Gerhardt-Stift der 11. Ostpreußische Kirchentag statt. Über hundert Menschen waren der Einladung des Stifts, der Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen und des Freundeskreises für evangelische Gemeinden in Nordostpreußen gefolgt, um ihre Verbundenheit mit der Arbeit der evangelischen Kirche im Kaliningrader Gebiet zu bekunden.

Dieses Gebiet galt zu Sowjetzeiten als atheistisches Territorium. Seit der Zulassung kirchlicher Aktivitäten 1990 ist dort auch die evangelische Kirche neu entstanden. Sie umfaßt heute im russischen Teil des früheren Ostpreußen 43 Gemeinden mit etwa 3.000 Gemeindegliedern. Ursprünglich eine Kirche von Rußlanddeutschen, ist sie heute durch Abwanderung der Gründergeneration nach Deutschland weitgehend eine Kirche russischer Christen evangelischen Bekenntnisses. Auch die Pfarrer sind heute durchweg Russen oder Rußlanddeutsche. Lediglich die Leitung der Kirche im Gebiet wird von einem aus Deutschland abgeordneten Probst ausgeübt. Seit Herbst 2008 wird diese Aufgabe von Propst Jochen Löber aus der Landeskirche Kurhessen Waldeck wahrgenommen.

Das Zentrum der evangelischen Kirche in Nordostpreußen ist die Propstei mit der Auferstehungskirche in Königsberg. Die dortige Gemeinde, zugleich die größte im Gebiet, umfaßt etwa 200 Mitglieder. Ein weiteres Zentrum evangelischer Kirchenarbeit befindet sich in Gumbinnen, wo die Salzburger Kirche aus dem 19. Jahrhundert wieder entstanden ist. Hier befindet sich auch das Diakoniezentrum „Haus Salzburg“.

Dagegen stagniert in Insterburg, der drittgrößten Stadt des Gebiets, der Bau eines Gemeindehauses bereits seit Jahren. Da die deutschen Partnergemeinden die finanziellen Baulasten nicht weiter tragen können, droht nun sogar der Abbruch dieses Projekts. In den oft sehr kleinen Landgemeinden ist die Situation vielfach noch kritischer. Da etwa 90 Prozent der früheren Kirchen zerstört sind, müssen sich die meisten dieser Gemeinden mit Treffen in Privathäusern begnügen.

Die Teilnehmer des diesjährigen Ostpreußischen Kirchentages informierten sich vor allem über die diakonische Arbeit der Probstei Kaliningrad. Neben dem Diakoniezentrum in Gumbinnen, das in erster Linie pflegebedürftige Ältere in der Stadt und ihrer Umgebung betreut, aber auch Schulspeisungen für bedürftige Kinder und Jugendfreizeiten durchführt, betreibt die evangelische Kirche in Ostpreußen in Mallelupen/Sadoroshje das einzige kirchliche Altersheim in ganz Rußland. Außerdem unterhält die Kirche in Königsberg das Straßenkinderprojekt „Jablonka“ (zu deutsch „Apfelbäumchen“) für obdachlose oder familiär entwurzelte Kinder zwischen 7 und 14 Jahren. In Heinrichswalde/Slawsk gibt es zudem noch ein kleines evangelisches Kinderheim.

Alle diese Aktivitäten hängen völlig von Spenden aus Deutschland ab, ohne die die evangelische Kirche in Nordostpreußen nicht lebensfähig wäre. Gerade in Zeiten der weltweiten Finanzkrise wird es hier verstärkter Bemühungen bedürfen, damit begonnene Projekte nicht wieder aufgegeben werden müssen.

Neben der finanziellen Unterstützung bedarf die evangelische Kirche in Nordostpreußen aber auch der persönlichen Verbindung mit ihren Unterstützern in Deutschland. So besuchen etwa Mitglieder des Berliner Freundeskreises für evangelische Gemeinden in Nordostpreußen regelmäßig im Frühjahr und Herbst sowie in der Adventszeit drei Partnergemeinden im Kaliningrader Gebiet, feiern mit ihnen den Gottesdienst und nehmen an Gemeindetreffen teil. Im Mai 2008 wurde das zehnjährige Bestehen dieser Patenschaften mit einem gemeinsamen Festgottesdienst in der mittelalterlichen Dorfkirche von Groß Legitten, dem heutigen Turgeajewo, zwischen Königsberg und Labiau, begangen. Die dortige Kirche steht der evangelischen Gemeinde wieder seit 2004 zur Verfügung.

Darüber hinaus veranstaltet der Freundeskreis alle zwei Jahre eine eher touristische Reise im größeren Rahmen nach Nordostpreußen. Die nächste Fahrt ist für Juli 2010 vorgesehen.

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