© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/09 06. März 2009

Warum existiert etwas?
Wenn Wissenschaft zur Pseudoreligion wird: Evolutionsgedanke und Schöpfungsglaube müssen kein Widerspruch sein
Thomas Bargatzky

Im Schatten des zum zweihundertsten Mal sich jährenden Geburtstags von Charles Darwin am 12. Februar 1809 findet in den Medien seit geraumer Zeit wieder eine Auseinandersetzung um die Theorien dieses großen Naturforschers statt, an dessen Werk sich auch heute noch die Geister scheiden. Dabei feiert ein Kirchen- und Kulturkampf fröhliche Urständ, der eigentlich schon lange hätte ad acta gelegt sein sollen.

Immer wieder findet sich die christliche Religion im Zentrum teils spöttelnder, teils hämischer Kritik. So zieht jüngst auch Wolfgang Witt (JF 8/09) – Richard Dawkins zitierend – gegen „notorisch-dogmatische Anti-Evolutionisten oder deren unreflektierte Nachplapperer“ zu Felde, die „unverzeihlich beschränkt“ sind und deshalb „nicht mehr ernst genommen werden“, da sie uns „seit Darwins Lebzeiten weismachen wollen, Evolutionstheorie und Gottesglaube seien miteinander vereinbar“.

Dergleichen ist Ausfluß einer materialistisch-monistischen Weltauffassung, die in ihren Grundzügen bereits vom Evolutionismus des 19. Jahrhunderts propagiert wurde. Hinter dieser Weltanschauung steht die Überzeugung, daß alle Phänomene der menschlichen und nichtmenschlichen Wirklichkeit ohne Rückgriff auf Religion und Metaphysik vollständig erklärt werden können. Die Evolutionstheorie im engeren Sinne ist dagegen eine wissenschaftliche Theorie der Entwicklung der materiellen Bedingungen auf der Erde, in deren Verlauf neue Arten aufgetreten sind. Sie ist eine Theorie über die Veränderung der Arten, die empirisch belastbare Hypothesen über die Art und Weise aufstellt, wie die Arten auseinander hervorgehen.

Hinter der Polemik von Leuten wie Dawkins, Witt und anderen verbirgt sich jedoch keine wissenschaftliche Haltung, sondern Ideologie: die Erhebung der Wissenschaft in den Rang eines monistischen Lehrgebäudes, das den Generalschlüssel zur Erklärung der Entstehung und des Wandels des Lebens bereithält, wobei Geistiges und Materielles als Ausdruck eines gemeinsamen biotischen Substrates gedacht werden.

Zwei Ebenen werden miteinander vermengt

Zugegeben, auch heute noch trifft man sogar auf akademisch Gebildete, deren Ablehnung der Evolutionstheorie in dem treuherzig vorgetragenen Argument gipfelt, ihre Großeltern stammten nicht von Affen ab. Das Weltbild des Monismus ist jedoch nicht minder schlicht. Es spricht viele an, weil es einfach und anscheinend plausibel ist. Der Monismus kann auch von intellektuell anspruchslosen Fachwissenschaftlern leicht rezipiert werden, daher ist er in diesen Kreisen wohl auch so populär. In Wirklichkeit simplifiziert er die Verhältnisse auf unangemessene Weise, denn er vermengt zwei grundlegende Erklärungsebenen miteinander: die Phänomenebene und die ontologische Ebene.

Wie jede wissenschaftliche Theorie kann nämlich auch die Evolutionstheorie nur Veränderungen auf der Phänomenebene beschreiben und erklären. Ihr legitimer Gegenstand ist die Ebene des materiellen Substrats als Bedingung für die Existenz des Geistigen. Sie kann die Veränderungen dieses Substrats ferner miteinander in Beziehung setzen und für diese Beziehungen Hypothesen entwickeln. Wenn sie aber meint, damit Geistiges, das Schöne, Heilige, Gute – also die Gegenstände auch der Religion – auf Materielles reduzieren zu können, irrt sie und wird zur evolutionistischen Ideologie, weil sie sich anmaßt, Ursprungsfragen zu beantworten, die nicht nur außerhalb der Kompetenz der biologischen Evolutionstheorie liegen, sondern außerhalb der Wissenschaft überhaupt. Warum ist überhaupt etwas, und nicht vielmehr nichts? Solche Fragen kann aber – für den Gläubigen – nur die Religion, der Mythos oder die Metaphysik beantworten. Ursprungsfragen sind daher ihrem Wesen nach religiöser bzw. metaphysischer Art; eine Wissenschaft, die den Anspruch erhebt, sie zu beantworten, hört auf Wissenschaft zu sein, sie wird zur Pseudoreligion.

Beansprucht eine Erklärung nämlich, mehr zu sein als eine systematische Begründung der Veränderung eines bestimmten Substrats, beansprucht sie also beispielsweise, den Ursprung des Lebens oder des Bewußtseins dort zu erklären, wo vorher kein Leben oder kein Bewußtsein war, dann zielt sie auf weit höheres, als auf eine wissenschaftliche Erklärung: Sie will den Unterschied zwischen Sein und Nichtsein erklären, sie will ein ontologisches Problem zu einem phänomenologischen machen. Das ist aber nicht schon aus Gründen der Logik nicht möglich, denn etwas kann sich nicht aus etwas anderem entwickeln, ohne in diesem vorgängigen anderen nicht schon enthalten zu sein.

Hat der Maikäfer einen Transzendensbezug?

Wenn also der zu erklärende Befund heißt: Aus A wird B, dann können A und B nicht wesensmäßig voneinander unterscheidbar sein. Zwischen ihnen kann keine ontologische Differenz bestehen, sondern A und B sind einander in bezug auf ein gemeinsames Substrat wesensgleich, obwohl sie unter phänomenologischem Gesichtspunkt unterschiedliche Ausprägungen dieses Substrates sind. Die Veränderungen dieses Substrats sind legitimer Gegenstand wissenschaftlicher Erklärungsversuche, nicht aber die ontologische Differenz zwischen Nichtsein und Sein, beziehungsweise Nichtleben und Leben, keinem Bewußtsein und Bewußtsein. Entweder es gab immer schon Moral, Geist, Bewußtsein, oder es gibt sie auch heute nicht und wir bilden uns nur ein, es gäbe sie. Denkt man den monistischen Ansatz konsequent zu Ende, dann besitzt auch ein Pflasterstein Freiheit, eine Kartoffel Moral und ein Maikäfer Transzendenzbezug, wie der Philosoph Reinhard Löw (Universitas 12/1989) in durchaus polemischer Absicht dem Evolutionismus entgegenhält.

Wer sich jedoch mit dem Transzendenzbezug des Maikäfers nicht abfinden möchte, kann sich von der Lehre der Katholischen Kirche bestärkt sehen, die offiziell seit nunmehr fast sechzig Jahren keine Einwände mehr gegen eine wissenschaftliche Erforschung der Entstehung der Arten im Sinne der Evolutionstheorie erhebt. In seiner Enzyklika „Humani Generis“ vom 12. August 1950 hat Papst Pius XII. unmißverständlich klargestellt, daß das Lehramt der Kirche es nicht verbiete, daß „in Übereinstimmung mit dem augenblicklichen Stand der menschlichen Wissenschaft und der Theologie die Entwicklungslehre Gegenstand der Untersuchungen (…) der Fachleute beider Gebiete sei insoweit sie Forschungen anstellt über den Ursprung des menschlichen Körpers aus einer bereits bestehenden lebenden Materie“. Die menschliche Seele, so der Papst, sei jedoch unmittelbar von Gott geschaffen.

Es bleibt dem einzelnen unbenommen, an Gottes Erschaffung der menschlichen Seele zu glauben oder nicht. Da der Ursprung der Seele wohl nicht Gegenstand der empirischen Wissenschaften sein kann, dürften sich Theologie und Wissenschaft bezüglich der Frage nach der Entstehung der Arten kaum in die Quere kommen. Man kann daher Atheist sein oder als Christ an die Erschaffung der Seele glauben und dennoch weiter als Wissenschaftler im Rahmen evolutionstheoretischer Voraussetzungen nach Erklärungen für das Hervorgehen von Mensch und Affe aus einem gemeinsamen Vorfahren suchen. Natürlich sind auch die Prämissen der Evolutionstheorie keine Dogmen, sondern sie stehen stets selber auf dem Prüfstand, wie es ja beispielsweise bei der lange Zeit für plausibel gehaltenen Zufälligkeit der Mutation der Fall ist.

Die Bibel erzählt keine Naturgeschichte

Worauf es hier ankommt, ist dies: Die Unterscheidung von Phänomen­ebene und ontologischer Ebene, die den Worten der Enzyklika „Humani Generis“ zugrunde liegt, setzt die Wissenschaft frei, testbare Hypothesen für die Veränderung eines organischen Substrats zu entwickeln und damit auf dieser Ebene ohne dogmatische Gängelung den Artenwandel zu erklären. Sie befreit aber auch den Glauben davor, sich durch krampfhafte Verbiegung des wissenschaftlichen Befundes Bestätigung verschaffen zu müssen, denn im Gegensatz zur Lehre der Kreationisten erzählt die Bibel eben keine Naturgeschichte, sondern eine Heilsgeschichte.

Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie können einander daher überhaupt nicht widersprechen, denn sie betreffen ganz verschiedene Erklärungsebenen. Das ist nun keineswegs neu. Ein seinerzeit in Tübingen lehrender Theologieprofessor hat schon 1969 in einem Beitrag zu dem Buch „Wer ist das eigentlich – Gott?“ (herausgegeben von Hans Jürgen Schulz) die Bedeutung der Unterscheidung von Phänomen- und ontologischer Ebene für die Frage der Entstehung der Arten in ihrer Beziehung zum Glauben mit großer Klarheit und Eleganz herausgearbeitet: Vor Darwin herrschte die Idee der Konstanz der Arten, die sich vom Schöpfungsgedanken her legitimierte. Diese Ausprägung des Glaubens sei heute aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse unhaltbar geworden: „Der Schöpfungsglaube fragt nach dem Daß des Seins als solchem; sein Problem ist, warum überhaupt etwas ist und nicht nichts. Der Entwicklungsgedanke hingegen fragt, warum gerade diese Dinge sind und nicht andere, woher sie ihre Bestimmtheit erlangt haben und wie sie mit anderen Bildungen zusammenhängen.“ Die Bibel gibt in ihrer Sprache Antwort auf die Frage, warum überhaupt etwas ist, der Wandel des Lebendigen ist dagegen das genuin wissenschaftliche Betätigungsfeld der Evolutionstheorie. Hier einen Widerspruch zu konstruieren, ist sinnlos.

Die gegenwärtige Debatte über Darwins Evolutionstheorie und ihr Verhältnis zur Religion krankt daran, daß viele der daran Beteiligten nicht, wie jener Tübinger Theologe, zwischen den Ebenen unterscheiden können, auf denen sich Schöpfungsglaube und Entwicklungsgedanke bewegen. Daher sollte man sich seinen Namen gut merken: Joseph Ratzinger.

 

Prof. Dr. Thomas Bargatzky lehrt Ethnologie an der Universität Bayreuth.

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