© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/09 27. Februar 2009

Avigdor Lieberman. Das israelische Enfant terrible avanciert zum Königsmacher
Der Polit-Berserker
Günther Deschner

So kompliziert war die Bildung einer Regierung in Israel selten. Eine knallharte Rechtsregierung unter Benjamin Netanjahu, die die Parteien des nationalistischen, rechten und ultrareligiösen Spektrums zusammenfaßt, hätte den Siedlungsausbau in den besetzten Gebieten, Abenteuer in Richtung Iran und eine harte Gangart gegen Syrien im Programm. Damit wäre Ärger mit Washington programmiert, das die Ziele seiner Nahostpolitik derzeit eher auf die sanfte Tour erreichen will (JF 7/09). Eine Mitte-Rechts-Koalition unter Einschluß von Tzipi Livnis Kadima-Partei hätte es in dieser Hinsicht leichter. Das Vertrackte ist nur, daß beide Lösungen rein rechnerisch ohne die zwölf Prozent, die Avigdor Lieberman bei den Wahlen erhalten hat, nicht aufgehen. Er ist das Zünglein an der Waage. Die Wähler haben seine Gruppierung „Israel Beiteinu“ (Unser Haus Israel) zur drittstärksten Kraft gemacht.

Der 1958 im sowjetischen Kischinow (heute Chişinău in Moldawien) geborene und seit 1978 in Israel lebende Lieberman ist eine schillernde Figur. Er war Rausschmeißer in einem moldawischen Nachtclub und Journalist in Baku, ehe er sich dem Zionismus zuwandte, in Jerusalem Politik studierte und selbst Politiker wurde. An der Seite von Netanjahu machte er rasch Karriere, wurde Generalsekretär des Likud, dann 1996 – als Netanjahu Ministerpräsident wurde – dessen Büroleiter. Drei Jahre später gründete er seine eigene Partei. Lieberman war schon dreimal Minister in den Kabinetten von Ariel Scharon und Ehud Olmert. Im Windschatten des Gaza-Kriegs entfalteten seine Parolen ihre volle Wirkung – nicht nur unter russischen Zuwanderern.

Von politischen Gegnern wurde er oft mit Le Pen, vor allem aber mit Jörg Haider verglichen, seine Partei stufen Politologen als „rechtsextrem“ ein. Lieberman verstärkt die in der israelischen Gesellschaft latenten Tendenzen, auf das politische Niveau ihrer extremistischen Feinde wie der Hamas oder des iranischen Präsidenten einzugehen und – statt nach realistischen Lösungen zu suchen – deren Vernichtungsphantasien mit faschistoider Rhetorik und militärischer Überreaktion zu begegnen. 2003 etwa machte er den Vorschlag, palästinensische Gefangene dorthin zu bringen, „von wo sie nicht zurückkehren“. Das Tote Meer böte sich dafür an, in dem sie ersäuft werden könnten. Mit Gaza solle man so verfahren wie die USA mit Japan im Zweiten Weltkrieg. Er sprach nicht explizit von einer Atombombe, doch in Israel verstand man, was gemeint war.

In seiner „Ideologie“ erinnere Lieberman „weniger an europäische Rechtspopulisten“, meint denn auch Israels liberale Tageszeitung Haaretz: Er sei „weder ein reiner Populist, noch steht er in einer faschistischen Tradition“, sondern biete „für komplexe Probleme sowjetische Lösungen an: Wer die Macht hat, soll sie rücksichtslos einsetzen.“ Doch solche Kritik perlt ab – sein Blick sei, wie Lieberman betont, „fest auf die Bildung einer rechten, nationalen Regierung“ gerichtet.

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