© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/09 20. Februar 2009

Frisch gepresst

Carl Jacob Burckhardt. Mitten im publizistischen Schlachtengetöse um die neue "Ostpolitik" der Regierung Brandt/Scheel, die Marion Gräfin Dönhoff in der Zeit mit Verve unterstützte, erhielt die ostpreußische Hamburgerin im Januar 1971 Post vom Genfer See, von ihrem väterlichen Freund, dem Diplomaten und Historiker Carl Jacob Burckhardt: "Ich tue Dir weh, das will ich nicht. Aber daß man durch Verträge ein Drittel seines Territorialbesitzes preisgibt, um nichts dagegen einzutauschen, ist weder durch kollektive Wiedergutmachung der Verbrechen eines Narren noch durch die Überlegung - 'es ist doch nichts zu retten' - irgendwie zu begründen." So spricht ein Grandseigneur, so erweist sich die rüstige politische Urteilskraft des Biographen Richelieus. Und da es von solchen Einsichten in seinen molltönigen, von Resignation gezeichneten Episteln eine ganze Menge gibt, hat sich die Edition dieses kleinen Teils seiner Korrespondenz allemal gelohnt - natürlich auch, um den Abstand zu seiner gräßlich unbedarften Freundin zu demonstrieren. Die weiß ihm etwa 1969 zu melden, "APO-Leute" seien in die Zeit-Redaktion "eingedrungen", aber da sie, die widerstandserprobte Blaublütlerin, nunmehr auch noch die Chefredaktion übernommen habe, sei dafür gesorgt, "daß nicht alles immer weiter nach links rutscht". Der Herausgeber Ulrich Schlie, rechte Hand von Bundesverteidigungsminister Jung und "weltpolitisch" arg ausgelastet, kommentiert den von 1952 bis 1974 währenden Austausch daher leider nur mit spärlichsten Anmerkungen (Marion Gräfin Dönhoff und Carl Jacob Burckhardt. "Mehr als ich Dir jemals werde erzählen können". Ein Briefwechsel. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, gebunden, 383 Seiten, Abbildungen, 22 Euro).

Bilder des Ostens. Wer einen Titel wie "Bilder des Ostens in der deutschen Literatur" (Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2009, broschiert, 278 Seiten, 39,80 Euro) liest, könnte nach erstem Anschein Günter Grass oder Siegfried Lenz assoziieren. Aber es geht nicht um den "deutschen", sondern um den osteuropäischen, "slawischen" Osten, vornehmlich um Polen und Rußland aus der Sicht deutscher Schriftsteller des 18. bis 20. Jahrhunderts. Im Vordergrund steht dabei die "schöne Literatur" im engeren Sinne, also Goethe, Heine oder Rilke, die diesen Raum lange vor allen politischen Verwerfungen des Weltbürgerkriegs betrachten. Das ergiebigere Genre der Reiseliteratur bleibt fast unberücksichtigt, sieht man ab von einer Studie über die von Karl Emil Franzos gelieferten "Kulturbilder" aus Galizien und einem kursorischen Referat über vier Reiseberichte aus den Unendlichkeiten Sibiriens um 1900. Mit dem Moskau-Besucher Walter Benjamin geht Daniel Eschkötter zartfühlend um. Was sich Ernst Bloch und Georg Lukács unter "russischer Ethik" vorstellen, eine nämlich, die sich seit 1917 mit dem "Revolver in der Hand" verwirklicht, hätte Anna Wolkowicz ruhig etwas weniger zitatenfroh und dafür analytisch härter zupackend herausarbeiten dürfen. Denselben Rat möchte man auch dem Hamburger Germanisten Ulrich Wergin (der mit Karol Sauerland diesen Band herausgibt) erteilen, wenn er sich nochmals der "Figuration des Ostens in Nietzsches politischer Ästhetik" zuwenden sollte.

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