© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/09 20. Februar 2009

Stigma der Ohnmacht
Mali: Im Fadenkreuz zwischen aufständischen Tuareg, Schmugglern und islamischen Extremisten
Marc Zöllner

Für den Reisenden gibt es in Andéramboukane einiges zu sehen. Staubige Einöden. Endlos lange Wadis, in welchen sich zu bestimmter Zeit das Regenwasser sammelt und diese in reißende Ströme verwandelt. Die Überreste uralter künstlicher Bewässerungskanäle. Wunderschöne Lehmziegelbauten und Minarette, die ihren Vorbildern in Timbuktu kaum nachstehen. Und natürlich eins der bedeutendsten kulturellen Festivals des Volkes der Tuareg. Auf den ersten Blick könnte man Andéramboukane als idyllische Kleinstadt im Herzen der Wüste des östlichen Mali bezeichnen.

Doch Andéramboukane ist mehr. Es ist Spiegelbild als auch Mikrokosmos der gesellschaftlichen Probleme des malischen Staats. Bereits 1916 war es Zentrum des Aufstands von Tuareg-Rebellen unter Mohammad Kaocen gegen die französische Kolonialmacht. Seit jener Zeit leben die hellhäutigen Tuareg im Konflikt mit dem benachbarten Stamm der Fulbe. Wer diesen Streit einst begann, liegt im Dunkel der Geschichte begraben. Ethnischen, ideologischen und religiösen Gründen gesellten sich längst wirtschaftliche hinzu. Was dem einen der Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit, ist dem anderen der Kampf um sein Vieh, sein Weideland, seine Zigaretten - und seine Touristen.

Nicht zuletzt deshalb zählt Andéramboukane zu den gefährlichsten Regionen im westlichen Afrika. Doch trotz der Warnhinweise des Auswärtigen Amtes verschlägt es immer wieder Abenteuerlustige in das brodelnde Herz der Sahara - so auch eine Deutsche aus Mühlheim in Hessen. Die 77jährige Rentnerin war Mitte Januar zusammen mit einem Briten und zwei Schweizern auf dem Weg zu ebenjenem Kulturfestival der Tuareg, als ihre Jeeps auf offener Straße überfallen und geplündert wurden. Von der Reisegruppe fehlt seither jede Spur. Auch der Bundesnachrichtendienst konnte bislang lediglich Vermutungen über den Aufenthaltsort der Geiseln tätigen. Kontakte zu ihren Entführern gelang es ihm hingegen nicht aufzubauen.

Malis Wirtschaft ist zu einem großen Teil von Tourismus abhängig. Im Osten des Landes liegt das Handwerk brach. Billiglohnkonkurrenten aus dem benachbarten Niger, aus Mauretanien und Algerien trieben die Preise in den Keller. Der einst über die Grenzen der Wüste hinweg begehrte Goldschmuck wird nun nur noch für den Eigenbedarf gefertigt. Die Aufzucht von Nutztieren wurde durch intensiven Viehdiebstahl unrentabel.

Als einzige Devisenquelle - abgesehen vom illegalen Handel - bleiben den Menschen des östlichen Mali nur mehr ein paar reiche Araber, welche die Wüste gern zur Falknerei nutzen, sowie jene europäischen Abenteuerurlauber, deren Schutzlosigkeit gleichzeitig auch Malis Stigma der Ohnmacht im eigenen Land zu werden droht.

Ag Bahanga befehligt 3.000 schwerbewaffnete Kämpfer

Daß Mali handeln muß, um nicht zum "failed state", zu einem weiteren innenpolitisch auf verlorenem Fuße stehenden Staat gleich dem Beispiel Somalias oder des Kongo zu verkommen, ist der Zentralregierung in Bamako durchaus bewußt. Malis Antwort - eine Kriegserklärung pünktlich zum 48. Jahrestag der Nationalgarde.

Kämpferisch wie nie zuvor stellte sich Amadou Toumani Touré der Presse und erklärte, man werde "sämtliche operativen Mittel in Bewegung setzen", um "den Verbrechern das Handwerk" zu legen. Er selbst werde dafür sorgen, daß "kein Höchstpreis für die Sicherheit des Landes" festgelegt werde.

Der Präsident des bettelarmen Staats im Herzen der Sahara nahm hierbei nicht nur die aufständischen Tuareg ins Visier, sondern ebenso jene Schmuggler und islamischen Extremisten, welche im Hinterland der beinahe unbewohnten Wüste mehr oder weniger ungestört ihre Geschäfte betreiben können. Und zwischen ihnen wie die Spinne im Netz der Staatsfeind Nummer eins - Ibrahim Ag Bahanga.

Der Anführer der Tuareg-Bewegung Mali-Nord für den Wandel (MTNMC) befehligt nach eigenen Angaben über 3.000 schwerbewaffnete Kämpfer. Seine Anhänger rühmen ihn als "Mann des Jahrhunderts". Seine Gegner werfen ihm "organisierte Kriminalität unter dem Deckmantel der Autonomiebewegung" vor. Malis Außenminister bekäme seinen Kopf lieber heute als morgen ausgeliefert. Schließlich, so Moctar Ouane, sei die prekären Lage im Norden "nicht die Schuld der Regierung, sondern das Resultat der Handlungen eines einzigen Mannes", Ag Bahanga, "sowie seiner Bande".

Die Entführung von Touristen ist lukrativ

Ag Bahanga selbst liebt den Schlagabtausch mit der Zentralregierung. Geboren als Sohn eines einflußreichen Geschäftsmanns in der nordöstlichen Kleinstadt Kidal, integrierte er sich bereits Anfang der 1990er Jahre in die Reihen jener Tuareg, welche von 1990 bis 1996 Krieg gegen die Regierungen Malis und Nigers führten. Den nomadischen Wüstenbewohnern ging es zu dieser Zeit vor allem um die flächendeckende Beseitigung der Armut in ihren Regionen sowie um eine Beteiligung an den Gewinnen des lukrativen Uranabbaus in der südlichen Sahara.

Angesichts wirtschaftlicher Benachteiligungen durch die Zentralregierungen sowie des Verbots, die nachwachsende Generation in ihrer Volkssprache Tamasheq zu unterrichten, erwuchs bei den Tuareg gleichfalls der Wunsch nach einem eigenen Volksstaat oder aber zumindest mehr Autonomie. Um die Lage in den noch jungen afrikanischen Staaten nicht weiter zu destabilisieren, lehnten die meisten Mächte dieses Ansinnen strikt ab.

Lediglich Libyen gewährte flüchtigen Tuareg Unterschlupf, bildete sie aus und begann deren militärischen Aufbau zu finanzieren. Durch die Kontrolle über die Tuareg erhoffte man sich in Tripolis, nach dem erzwungenen Rückzug aus dem nördlichen Tschad wieder Fuß in der Sahelzone fassen zu können. Der sich selbst gern als Berber inszenierende Muammar al-Gaddafi träumte gar von einem die Sahara umfassenden Nomadenstaat unter seiner Obhut.

Nach dem Ende der Bürgerkriege 1996 zog Ag Bahanga als gewählter Abgeordneter seiner Provinz in den Hohen Rat der Gemeinschaften Malis (Haut Conseil des Collectivités Territoriales) ein, verweilte dort jedoch nur zwei Legislaturperioden. Nachdem seine Forderung einer "Reduzierung der Anzahl malischer Soldaten im Norden des Landes" bei einem Treffen in Algerien kein Gehör fand, gründete er die Demokratische Allianz des 23. Mai für den Wandel (ADC).

"Die Regierung Malis hat keinerlei Zugeständnisse gemacht", so Ag Bahanga in einem Interview, "was wir jedoch anstreben, ist eine Verbesserung der Situation der Tuareg sowie deren Schutz gegen jene Probleme, welche durch Unterentwicklung entstehen." Man wolle, so der Tuaregführer, "die Situation unter Kontrolle bringen, um eine Verschlechterung vermeiden zu können".

Hierfür scheint ihm jedes Mittel recht und billig. Bei einer Anzahl konzertierter Überfälle auf Polizeiwachen und Armeeposten in der Region um Kidal kamen mehrere Dutzend Soldaten ums Leben, über hundert wurden in die Wüste verschleppt. Unterstützung erhält er hierbei von Kombattanten der Niger-Malischen Allianz für den Wechsel (ATNMC) aus dem benachbarten Niger, deren Sprecher Ag Bahangas Schwiegervater Hama Ag Sidahmed ist.

Allein dieses Jahr starben mindestens zwei Zivilisten durch von seinen Truppen an der Grenze zu Algerien verlegte Landminen. Und auch im Geschäft um die Entführung von Touristen scheint er aktiv mit den Islamisten der Organisation al-Qaida des Islamischen Maghreb (AQMI) zusammenzuarbeiten. So wurden im Februar 2008 zwei Österreicher von Anhängern der AQMI in Tunesien entführt und über 250 Tage in der Wüste Malis gefangengehalten. Eine der Forderungen der Geiselnehmer: Mehr Autonomie für die Stämme der Tuareg.

Ag Bahanga selbst bestreitet, Kontakte zu den Islamisten zu unterhalten. Er werde "ihre Anwesenheit in dieser Region" nicht tolerieren. "Unser Anliegen ist ein anderes als ihres. Wir werden nicht zögern, sie zur Strecke zu bringen." Freilich seien sie sowieso nicht um Kidal anzutreffen, ihr Stammsitz liege "in Timbuktu". Ob seine Rechtfertigung glaubhaft ist, mag bezweifelt werden. Denn auch die Verschleppung eines kanadischen Diplomaten im Dezember in Niger sowie die Entführung jener vier Touristen Mitte Januar in Mali weisen Parallelen zum Fall der Österreicher auf.

Der malische Präsident Touré möchte diesem Spuk nun ein für allemal ein Ende setzen. "Wir können mit diesem Leiden nicht fortfahren, wir können nicht damit fortfahren, unsere Toten zu zählen", verkündete er Ende Dezember, nachdem Tuareg eine Militärbasis angriffen und zwanzig Soldaten töteten.

Der Gegenschlag erfolgte rasch: Am 12. Januar eroberte das malische Militär zwei Außenposten Ag Bahangas, bereits acht Tage später verkündete man die Einnahme seines Hauptsitzes in Boureissa. Einunddreißig seiner Gefolgsleute fanden den Tod, Ag Bahanga entkam in die Wüste. "Die letzte Alternative", so ließ er noch verkünden, "welche sich uns bietet, ist ein Gegenschlag und der bewaffnete Kampf."

Das Ödland kann vom Militär kaum kontrolliert werden

Ag Bahanga wird nicht freiwillig aufgeben wollen. Die Region um Kidal gewann in den letzten Jahren an Bedeutung. Wo einst Karawanen mit Gewürzen aus dem Nahen Osten die Oasen passierten, treiben nun vor allem Schmuggler ihr Unwesen.

Über die staubigen Ödlande, welche vom Militär kaum kontrolliert werden können, werden mit wachsender Beliebtheit Heroin, Haschisch sowie illegale Migranten aus Schwarzafrika nach Europa geschleust. Auch die bedeutendste Route für den Handel mit gefälschten Zigaretten, nach ihrem beliebtesten Transportgut "Marlboro-Road" genannt, führt quer durch Kidal. An den anfallenden Zöllen, Schutz- und Bestechungsgeldern verdienen vor allem die ortskundigen Tuareg; insbesondere deren Familienoberhäupter. Ag Bahanga ist einer davon.

Mali

Siedlungsgebiete Tuareg

Fläche: 1.240.000 qkm

(Deutschland 357.000 qkm; davon 60 Prozent Wüste)

Einwohner: 12,3 Millionen

Hauptstadt: Bamako - rund 1,5 Millionen Einwohner

Amtssprache: Französisch

Religionen: Islam (über 75%), Christentum (ca. 5%), viele - auch zugleich- Animisten

Wichtigste Volksgruppen:

Bambara, Malinke, Peul (Fulbe), Sonrhai, Sarakollé, Tuareg, Bobo, Dogon, Senufo, Bozo

Foto: Tuareg-Kämpfer (Mouvement Nigerien pour le justice) im Krisenbogen Mali/Niger: Gegen den Ausverkauf traditioneller Weidegebiete

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