© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/09 13. Februar 2009

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Täuschung
Karl Heinzen

Die südkoreanische Justiz hat Anklage gegen den Blogger Park Dae Seung erhoben, der im Januar enttarnt und festgenommen worden war. Dem 31jährigen Arbeitslosen wird vorgeworfen, unter dem Decknamen "Minerva" im Internet konjunkturfeindliche Propaganda betrieben zu haben. Da er mit seinen dem Vernehmen nach fachkundigen und journalistisch glanzvollen Beiträgen eine große Lesergemeinde fand, soll es ihm gelungen sein, nennenswerten Einfluß auf das Verhalten der Akteure am Markt und damit das Wirtschaftsleben insgesamt zu nehmen. So scheint er unter anderem Versuche der Regierung, die schwächelnde Landeswährung Won zu stützen, unterlaufen zu haben, indem er zahlreiche Bürger dazu verleitete, die Flucht in den Dollar anzutreten.

Die anfängliche Unsicherheit, was "Minerva" im juristischen Sinn vorzuwerfen sei, ist offenbar überwunden. Da Südkorea auf eine reiche Tradition der Militärdiktatur zurückblicken kann, verfügt es über einen Fundus von Gesetzen, die zwar seit längerem keine Anwendung mehr fanden, aber formell nie außer Kraft gesetzt wurden. Ein solches kommt nun gegen "Minerva" zur Anwendung.

Das Vorgehen der südkoreanischen Justiz trägt der weltweit immer mehr um sich greifenden Erkenntnis Rechnung, daß die Konjunkturverläufe weniger durch "objektive" Faktoren angestoßen werden, sondern vor allem ein massenpsychologisches Phänomen sind. Insofern darf eine aktive Wirtschaftspolitik sich nicht auf ökonomische Steuerungsinstrumente im engeren Sinne beschränken, sondern muß auch die Medien als Mittel der Massenbeeinflussung in die Pflicht nehmen. Handlungsbedarf ergibt sich hier bereits bei den Stützungs- und Konjunkturprogrammen, die die Industriestaaten aktuell aufgelegt haben. Aller Aufwand wäre hier vergeblich, wenn sich in der Öffentlichkeit eine fatalistische Grundstimmung breitmacht. Es mag zwar sein, daß niemand absehen kann, ob die horrenden Milliardenbeträge, die die Regierungen bereitstellen, tatsächlich die gewünschte Wirkung zeitigen. Das Scheitern wäre jedoch gewiß, wenn allzu viele an einem Erfolg zweifeln.

Die Methode, durch gezielte Täuschung eine optimistische Stimmung zu erzeugen und dadurch Bürger wie Unternehmen zu Konsumausgaben bzw. Investitionen zu bewegen, ist dabei keineswegs neu. Bereits vor drei Jahrzehnten lag sie der keynesianischen Wirtschaftspolitik zugrunde. Neu ist heute, daß die Bürger nicht nur die Bereitschaft aufzubringen haben, sich täuschen zu lassen. Sie müssen auch die Erinnerung an die Mißerfolge von einst verdrängen.

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