© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/09 13. Februar 2009

Umwälzende Veränderungen
Barack Obamas neue Regierung: Das aktuelle Kabinett ist das multikulturellste, das es je gegeben hat
Martin Schmidt

Die Konturen der US-amerikanischen Politik unter Präsident Barack Obama zeichnen sich noch immer nur schemenhaft ab. Abgesehen davon, daß das neue Staatsoberhaupt im Zuge der von mehreren Pannen begleiteten Kabinettsbildung sichtlich in Verlegenheit geraten ist, versucht er weiterhin, durch seine persönliche Ausstrahlung, rhetorisch gekonnte Beschwörungen des Gemeinschaftsgeistes und wohlklingende Allgemeinplätze möglichst weite Bevölkerungsteile im In- und Ausland hinter sich zu scharen.

Entmachtung der White Anglo-Saxon Protestants

Mit Erfolg: Der Demokrat Obama wird selbst von größeren Kreisen der ursprünglich republikanisch gesinnten weißen Mittel- und Unterschichten als "Heilsbringer" gesehen, was auch der Tatsache geschuldet ist, daß er durch vielfältige Signale als Präsident aller Amerikaner verstanden werden möchte - also nicht als vorrangiger Vertreter "schwarzer" Sonderinteressen.

Vieles spricht dafür, daß es dem 44. US-Präsidenten sehr ernst ist mit dem Vorhaben, die derzeitige Schwäche der Vereinigten Staaten durch eine Erweiterung ihrer gesellschaftlichen Machtbasis um bislang eher periphere Gruppen, also die stärkere Rekrutierung von Eliten aus den Reihen der Schwarzen, Latinos und Asiaten zu bewirken - und damit zugleich die in zahlreichen Großstädten sowie in einigen immer "spanischer" werdenden südlichen Bundesstaaten drohende ethno-kulturelle Fragmentierung zu verhindern.

Teile der in der Vergangenheit maßgeblichen White Anglo-Saxon Protestants (WASPs) und der einflußreichen jüdischen Lobbies stehen dabei offenbar fest an Obamas Seite. Das ist alles andere als selbstverständlich, geht es doch gerade um ihre schrittweise Entmachtung und damit um ein politisches Großprojekt, das die USA so stark verändern dürfte wie keine andere Entwicklung der letzten 250 Jahre (vgl. Peter Scholl-Latour: "Das ist eine Revolution", JF 6/09).

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß Obama die US-Wahl nicht wegen der mehrheitlichen Zustimmung von Frauen, Intellektuellen und Erstwählern gewonnen hat, sondern in erster Linie, weil ihn laut Umfragen zwei Drittel der Latinos und nahezu alle Afro-Amerikaner unterstützten. Betrachtet man dagegen nur den Willen des weißen europäischstämmigen Bevölkerungsteils, so hieße der Präsident heute McCain.

Während ansonsten noch schöne Worte das Bild der jungen Präsidentschaft prägen, hat Obama in puncto "Multikulturalisierung" der staatlichen Verantwortungsträger bereits harte Fakten sprechen lassen. Sein 15köpfiges Regierungskabinett ist ethnisch gesehen das bunteste, das es in den USA je gegeben hat: Rund 60 Prozent der Minister sind Weiße (der designierte europäischstämmige Handelsminister Judd Gregg ist noch nicht bestätigt); hinzu kommen zwei Latinos (Innenminister Ken Salazar, Arbeitsministerin Hilda Solis), zwei asiatischstämmige Amerikaner (Energieminister Steven Chu und der Minister für Veteranen-Angelegenheiten, Eric Shinseki), ein Afro-Amerikaner (Justizminister Eric Holder) sowie ein Minister mit arabischen Wurzeln (Verkehrsminister Ray LaHood).

Unter George W. Bush lag der Anteil der weißen Regierungsmitglieder bei 73 Prozent, unter Bush sen. bei 82 Prozent und in der Ära Reagan sogar noch bei 94 Prozent. Allerdings tut die Propagandamaschine Obamas alles, um das Kabinett als Ansammlung "bewährter Fachkräfte" darzustellen und keinesfalls als Ergebnis ethno-kulturellen Proporzdenkens.

Der "affirmative action" neues Leben einhauchen

Die Tragweite dieser Veränderungen will derzeit ohnehin kaum jemand sehen. Statt dessen stimmen fast alle international bedeutenden westlichen Politiker und die Medien das Hohelied auf den dynamischen und unkonventionellen Amtseinstieg Obamas an. Daß der neue Herr im Weißen Haus mit Steven Chu einen Physik-Nobelpreisträger zum Energieminister berief, zeugt tatsächlich ebenso von einem Politikansatz jenseits aller Partei- und Partikularinteressen wie der Umstand, daß er den Republikaner Judd Gregg zum Handelsminister machen will, sich mit James Jones von einem erfahrenen Ex-General der Marines in Fragen der nationalen Sicherheit beraten läßt und dem Rumsfeld-Nachfolger Robert Gates weiterhin das Amt des Verteidigungsministers anvertraut.

Hier zeigt sich auch, wie sehr das Staatsoberhaupt in wichtigen Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik um Kontinuität bemüht ist.

Innenpolitisch geht es Barack Obama, dessen Biographie ja mindestens so "weiß" wie "schwarz" geprägt ist, vor allem um die Vitalisierung seines Landes durch einen alle ethno-kulturellen Eigeninteressen übergreifenden Verfassungspatriotismus. Doch die Integrationskraft seiner Person wird die grundsätzlichen Probleme dieser Präsidentschaft nicht auf Dauer unter dem Deckel halten können.

Zu groß sind die Hoffnungen auf gesellschaftlichen Aufstieg, die er insbesondere unter den Schwarzen und Latinos geweckt hat. Verschiedenste farbige und auch nicht-christliche Bevölkerungsgruppen werden eine stärkere Teilhabe am Staat einfordern, sprich: Möglichkeiten des gesellschaftlichen Aufstiegs, desgleichen ethnische Quoten und eine staatlich gesteuerte Umverteilung der Finanzmittel. Gerade innerhalb der Demokratischen Partei gibt es zahllose ethno-kulturelle Lobbies, die schon bald dafür sorgen werden, daß den altbekannten "affirmative action"-Programmen neues Leben eingehaucht wird.

Jenseits der mittlerweile ausklingenden Partystimmung und aller offiziellen Bekundungen für größtmögliche "Transparenz" des politischen Geschehens dürfte es im Dunstkreis des Präsidenten längst ein Gezerre zwischen alten und neuen Lobbygruppen geben. Etwa um die Lösung des Nahostkonflikts, dessen jüngste Zuspitzung im Gaza-Streifen von den Israelis sicherlich nicht zufällig in das Interregnum zwischen Bush und Obama gelegt worden ist.

Daß die in Washington lange tonangebenden weißen Eliten zusehends geschwächt werden und sich auch in ihrer Zusammensetzung verändern, bietet nicht nur Chancen für farbige Aufsteiger, sondern auch für gegenüber den WASPs und den jüdischen Lobbies tendenziell benachteiligte andere europäische Gruppen. Das gilt auch für deutsch-amerikanische Vertreter, deren Organisationen eher ein Schattendasein führen, obwohl die Deutschamerikaner die größte ethnische Gruppe stellen - noch vor den schon bald an die erste Stelle tretenden Latinos und den Irischstämmigen.

Finanzminister Geithner hat deutsche Wurzeln

Bei der letzten Volkszählung im Jahr 2000 bezeichneten sich 49 Millionen von insgesamt 300 Millionen Staatbürgern ausdrücklich als deutschstämmig beziehungsweise gaben "deutsch" als ihre hauptsächliche Herkunft an. Zur Wahl Obamas trugen gerade die Deutschamerikaner in erheblichem Maße bei, da der demokratische Bewerber einen Großteil jener Staaten für sich gewinnen konnte, in denen diese mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellen - also Bundesstaaten wie Illinois, Iowa, Kansas, Michigan, Minnesota, Missouri, Nebraska, Süd-Dakota, Ohio, Oregon, Pennsylvania, Wisconsin oder Wyoming.

Immerhin gibt es im 15köpfigen Kabinett Obama auch Personen mit einem deutschen Familienhintergrund, wenngleich deren namhaftester Vertreter, der als Gesundheitsminister vorgesehene Thomas Andrew Daschle, am 3. Februar einen Rückzieher machen mußte. Der von 1995 bis 2005 als Fraktionsvorsitzender der Demokraten im Senat amtierende Daschle galt als Oba­mas wichtigster Wahlkampfmanager. Entsprechend zäh versuchte der Präsident, ihn trotz des Vorwurfs hoher Steuerschulden und möglicherweise fortwirkender Verpflichtungen als ehemaliger Lobbyist von Arzneimittelfirmen und Versicherungen im Ministeramt zu halten - letztlich erfolglos.

Aus deutschamerikanischer Sicht ist das bedauerlich, zumal Daschle 1947 in der Kleinstadt Aberdeen in Süd-Dakota das Licht der Welt erblickte, also in einem jener Bundesstaaten, in denen der deutschstämmige Bevölkerungsteil (darunter besonders viele Rußlanddeutsche) bei über 50 Prozent liegt und zweifellos prägend wirkt. Noch seine Großeltern väterlicherseits stammten aus der rußlanddeutschen Siedlung Kleinliebental bei Odessa und waren von dort nach Nordamerika weitergezogen.

Ebenfalls deutsche Vorfahren hat Finanzminister Timothy Franz Geithner, der erst nach einigen Irritationen wegen des Vorwurfs von Steuervergehen sein wichtiges Amt antreten konnte. Der 47jährige aus Brooklyn stammende bisherige Chef der New Yorker Notenbank ist mit Carole M. Sonnenfeld verheiratet und zeichnet sich durche eine für US-Verhältnisse ungewöhnliche Weltläufigkeit aus; Geithner studierte neben Politik und Wirtschaft auch Ost-asienwissenschaften und lebte zeitweise in Ostafrika, Indien, Thailand, China und Japan.

Mit Einschränkungen weist außerdem der 1950 in Pittsburgh in Pennsylvania geborene und im Alter von einem Jahr adoptierte Landwirtschaftsminister James Tom Vilsack deutsche Wurzeln auf. Neben seinen namensgebenden Adoptiveltern ist biographisch die Tatsache von Belang, daß die politische Basis des erklärten Gentechnik-Befürworters im landwirtschaftlich geprägten Bundesstaat Iowa liegt, den er für zwei Legislaturperioden als Gouverneur regierte. In Iowa im mittleren Westen ist der deutschstämmige Bevölkerungsanteil so hoch ist wie fast nirgendwo sonst im Lande.

Nicht zuletzt hat Barack Obama selbst - mütterlicherseits - einige deutsche Wurzeln, wenngleich diese sehr weit zurückreichen. Unter seinen Vorfahren ist ein Christian Gutknecht nachgewiesen (1722 im elsässischen Bischweiler geboren, dann 1749 mit seiner Frau Maria Magdalena Grünholtz ausgewandert und 1795 in Germantown verstorben) sowie eine Familie Watzle, deren Spuren sich bis ins Jahr 1616 nach Heilbronn verfolgen lassen.

Die US-amerikanische Politik wird unter Obama, egal ob mit bewußter Teilhabe des neuen Präsidenten oder gegen dessen Absichten, eine beschleunigte Ethnisierung erfahren. Die eigentlichen Gründe liegen in den umwälzenden demographischen Veränderungen, auf die sowohl die vom deutschamerikanischen Zeichner Thomas Nast (1840 -1902) erstmals als Esel dargestellten Demokraten als auch die von ihm zu Elefanten stilisierten Republikaner letztlich nur reagieren.

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