© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/09 06. Februar 2009

Türkei als neuer Risikofaktor?
Nach dem Eklat von Davos
Günther Deschner

Der Eklat, zu dem es auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos über die "Unverhältnismäßigkeit" von Israels Militäraktion in Gaza gekommen war, hat Irritationen im türkisch-israelischen Verhältnis ausgelöst. Recep Tayyip Erdoğans wütende Kritik fand um so mehr Beachtung, als andere Führer der muslimischen Welt - außer Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad - sich im Gaza-Konflikt auffallend bedeckt hielten.

Die Welt hatte sich daran gewöhnt, daß unter den 50 mehrheitlich muslimischen Staaten die Türkei eine Sonderstellung einnahm: Sie ist in der Nato, führt Beitrittsgespräche mit der EU, sie ist eine Demokratie - und sie hat normale Beziehungen mit Israel. Als Brücke zwischen Orient und Okzident wurde die Türkei bislang weltweit wahrgenommen. Das änderte sich auch nicht, als 2002 Erdoğans islamische AKP zur Macht kam, die das Land seither regiert.

Erdoğan sah sein Land als Regionalmacht für eine größere Rolle disponiert. Er knüpfte die Kontakte zu arabischen Nachbarn enger, intensivierte das Verhältnis zum Iran. Gleichzeitig gelang es, gute Beziehungen zu Israel zu pflegen. Ihr Wert zeigte sich in der Vermittlerrolle, die Ankara bei indirekten Friedensgesprächen zwischen Israel und Syrien spielte. Für Israel ist die Türkei wichtig. Es hat die Tatsache genutzt, daß mit Erdoğan ein Politiker an der Spitze steht, dessen Stimme in der arabischen Welt Gewicht hat. An dieser Symbiose sollte eigentlich beiden Staaten weiterhin gelegen sein. Neben intensiven Beziehungen in Wirtschaft und Tourismus sind sie seit 1996 durch ein Militärabkommen verbunden.

Doch die Beobachtung, daß sich in der Türkei Veränderungen der politischen Stimmung vollziehen, die die Orientierung des Landes deutlicher auf die Region als auf "den Westen" verlegen, könnte dies ändern. In Israel hat die AKP durch die zunehmend islamistische Stimmung in der Türkei, der Erdoğan in Davos Ausdruck gab, an Respekt verloren. Wie die Jerusalem Post berichtete, will Israel Waffenwünsche der Türkei kritischer prüfen und gegebenfalls auch ablehnen. Vor allem befürchte man, so das Blatt, daß sich die AKP-Regierung im Machtkampf gegen das Militär durchsetzen und Spitzentechnologie auch an muslimische Länder weitergeben könnte. Der "strategische Partner" Türkei könnte in der Wahrnehmung Israels also zu einem potentiellen Risikofaktor mutieren.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen