© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/09 30. Januar 2009

Freispruch für Seine Majestät
Die Biographen Christopher Clark und Eberhard Straub kratzen am herrschenden Negativbild des letzten deutschen Kaisers
Erik Lehnert

Wir wissen alle, daß der Kaiser diesen Krieg nicht gewollt hat." Für solch eine apodiktische Aussage hätte Bernd Sösemann (Berlin) vor nicht allzu langer Zeit scharfen Widerspruch geerntet. Doch die Zeiten scheinen sich geändert zu haben. Denn am Donnerstag vergangener Woche herrschte in dieser Frage Einigkeit. Die Verlage Landt und DVA hatten zu einer Podiumsdiskussion in die Berliner Humboldt-Universität eingeladen. Anlaß war der 150. Geburtstag Wilhelms II. am 27. Januar. Beide Verlage haben rechtzeitig zu diesem Termin Biographien über den letzten deutschen Kaiser herausgebracht. Bei der DVA erschien das bereits 2000 in England publizierte Buch von Christopher Clark "Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers" in deutscher Übersetzung, bei Landt Eberhard Straubs Studie "Kaiser Wilhelm II in der Politik seiner Zeit" (beide Rezensionen JF 43/08).

Beide Historiker waren gekommen, um über ihre Sicht auf den Kaiser zu debattieren. Bereits zu Beginn der Veranstaltung wurde jedoch deutlich, daß sich Straub und Clark in den wesentlichen Punkten einig waren. Hier machte sich das Fehlen des dritten Autors im Bunde, John Röhl, bemerkbar, dessen biographischer Abschlußband 2008 bei C. H. Beck in München erschien (JF 43/08). Auch er wollte ursprünglich teilnehmen, mußte aber wegen einer schweren Erkrankung absagen. Seinen Part des notorischen Kaiserkritikers versuchte Gerd Krumeich (Düsseldorf) zu übernehmen, was ihm hin und wieder auch gelang. Auch Sösemann bemühte sich als Gesprächsleiter, den abwesenden "Jonny" Röhl wenigstens als geistiges Korrektiv in die Debatte einzubringen. Doch so oft Sösemann auch betonte, daß man an Röhls urteilsschwerem dreibändigen Monumentalwerk über den Kaiser nicht vorbeikomme, es wollte sich dennoch keine Einmütigkeit in dieser Frage einstellen. Straub schüttelte bei solchen Feststellungen stumm den Kopf. Clark verwies zwar darauf, wie oft er den "profunden Kenner" Röhl zitiert habe. Doch wer die entsprechenden Stellen in seinem Buch gelesen hatte, wußte, daß es sich zumeist um subtile Destruktionen von Röhls Negativbild des Kaisers handelte.

Die Frage, welche Motivation ihn dazu veranlaßt habe, eine Biographie über Wilhelm II. zu verfassen, entlockte Clark gleich zu Beginn des Abends ein eindeutiges Bekenntnis zur Revision des vorherrschenden Kaiserbildes. Neben Röhl kam dabei der zweite Abwesende, dessen Geist anwesend war, ins Spiel: Hans-Ulrich Wehler. Dessen "Verbot" biographischer Geschichtsschreibung forderte den in Cambridge lehrenden Australier heraus, die Biographie in Angriff zu nehmen. Sein Ziel sei es gewesen, das "dämonische Bild" des Kaisers, das auf die britische Propaganda des Ersten Weltkriegs zurückgehe, durch eine struktur- und kontextgesättigte Biographie zu revidieren. Clark zählt damit zu jenen jungen angelsächsischen Historikern, die sich von der Siegergeschichtsschreibung verabschiedet haben und nüchtern und, gemessen an den deutschen Verhältnissen, ziemlich rücksichtslos der historischen Wahrheit nachspüren. Dabei betonte Clark, daß Geschichte kein Reservoir politischer Ideale sei, die man über den Umweg der Forschung wiederbeleben könne.

Als Deutscher konnte sich Straub auf solch eine Position nicht zurückziehen, weil es um die eigene Geschichte und deren identitätsstiftendes Moment geht. Straub bekannte sich denn auch als Freund des wilhelminischen Zeitalters, und wer sein Buch gelesen hatte, wußte, daß es ihm damit ernst ist. Es geht ihm nicht nur um die Rehabilitation des Kaisers, sondern um dessen Anerkennung als herausragender Persönlichkeit einer ganzen Epoche. Er betonte, daß es eine umfassende Freiheit, wie sie in den 25 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg herrschte, nie wieder gegeben habe. In allen Bereichen hätten sich damals ungehindert Persönlichkeiten entfalten können, die diese Epoche erst zu dem gemacht hätten, was sie ist: eine der großartigsten der deutschen Geschichte. Insofern hat Straub im Gegensatz zu Clark mit seinem Buch zu Wilhelm II. auch ein persönliches Bekenntnis abgelegt, das er polemisch zu verteidigen wußte.

Clark widersprach lediglich der Formulierung Straubs vom "Demokraten auf dem Thron". Aufgrund des Mangels an Entscheidungsgewalt habe es sich beim Kaiser lediglich um einen Populisten gehandelt, der noch nicht einmal das preußische Dreiklassenwahlrecht abgeschafft habe. Doch Straub konnte darauf verweisen, daß Demokratie nicht notwendig Parteiendemokratie bedeute und es sich in Deutschland um eine Verbandsdemokratie gehandelt habe, in der niemand gegen die Verbände Politik machen konnte, auch der Kaiser nicht.

Gerd Krumeich bemühte sich nach Kräften, die Sicherheit des revisionistischen Ansatzes zu zerstören, indem er alte Stereotypen repetierte: Antidemokrat und Radikalantisemit. Insbesondere das letzte sollte Wilhelm II. wieder in ein schiefes Licht rücken. Fast wäre Krumeich das gelungen, weil ihm zunächst niemand widersprach. Doch letztlich waren sich Straub und Clark auch in der Widerlegung dieser Behauptung wieder einig: Öffentlich hat sich Wilhelm nie antisemitisch geäußert, und die privaten Äußerungen nach 1918 reichten nicht aus, um solch ein Urteil zu fällen, so Clark. Im Gegenteil: Straub betonte, daß Wilhelms Nähe zu den Juden ihn zur Zielscheibe nationalistischer Kritik gemacht habe und er nach den Novemberpogromen 1938 bekannte, sich zu schämen, Deutscher zu sein.

Daß das Publikum, immerhin waren fast 200 Besucher gekommen, diese differenzierte Sicht akzeptierte und Straub hin und wieder Szenenapplaus bekam, ist keine Selbstverständlichkeit. Nicht zuletzt den Enthusiasten für diese Epoche, beispielsweise der Gesellschaft für Wilhelminische Studien oder dem Internetprojekt www.wilhelmderzweite.de , ist es zu verdanken daß ein Ereignis wie der 150. Geburtstag Wilhelm II. nicht in Vergessenheit gerät. Wenn sich dann noch Historiker finden, die sich nur der historischen Wahrheit verpflichtet fühlen, ist es möglich, daß ein lange als gültig angesehenes Urteil revidiert wird. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk kann man Wilhelm II. wohl nicht machen.

Foto: Kaiser Wilhelm II., um 1908: Den großen Krieg nicht gewollt

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