© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/09 30. Januar 2009

Der Gegen-Aufklärer
Nachruf: Caspar von Schrenck-Notzing organisierte die Neuformierung der konservativen Intelligenz nach dem Krieg
Karlheinz Weissmann

Mit dem Tod Caspar von Schrenck-Notzings hat Deutschland einen der wichtigsten Vertreter der konservativen Intelligenz verloren. Über mehr als drei Jahrzehnte arbeitete Schrenck-Notzing als Journalist, Buchautor und Verleger, vor allem aber als treibende Kraft des "Ein-Mann-Betriebs" Criticón und gab eine Zeitschrift heraus, die als Zentralorgan der Gegen-Aufklärung von rechts gelten durfte.

Als im Sommer 1970 die erste Nummer von Criticón erschien, hatte Schrenck-Notzing längst Erfahrungen im konservativen Lager gesammelt, dessen Bedeutung nach 1945 sukzessive verfallen war und das nie die alte Anziehungskraft zurückgewinnen konnte. Das bedeutete auch, daß Schrenck-Notzing keine Position bezog, die etwa der Heinrich von Gleichens in der Weimarer Republik vergleichbar gewesen wäre. Wer in der Bundesrepublik politisch etwas bewirken wollte, mußte andere Wege suchen und sich auch von Vorstellungen trennen, die das konservative Milieu lieb und teuer hielt.

Welche Konsequenzen das erforderlich machte, ist am Schicksal der legendären Münchner "Tafelrunde" abzulesen, die Ende der 1950er Jahre um Schrenck-Notzing, Armin Mohler, Winfried Martini und Mohammed Rassem entstand. Obwohl Martini und Rassem deutlich älter waren als Schrenck-Notzing und Mohler, rechnete man sie noch zu den "Jungen", und alle vier einte die Überzeugung, daß zur Verteidigung und zum Ausbau der konservativen Position neue Mittel erprobt werden müßten.

Ihre Vorstellungen davon, wie auf eine moderne Massengesellschaft Einfluß zu nehmen sei, differierten zwar, hatten aber darin einen gemeinsamen Bezugspunkt, daß es überhaupt nötig sei, aktiv zu werden, jedenfalls nicht Bildung und Individualität zu pflegen oder ein Biotop zu retten. Das bedeutete auch, daß eine dem Konservativen schmerzliche Skepsis gegenüber den Institutionen geboten war, die wie Staat, Armee und Kirche noch etwas vom Schein der Überlieferung besaßen, aber im Kern längst angefressen waren. Diesen Aspekt der Lage zu analysieren, hielten vor allem Schrenck-Notzing und Mohler für geboten, was erklärt, warum die "Tafelrunde" zerfiel, als die vorhandenen Mittel nicht mehr für Vortragsveranstaltungen, sondern für ein Klubleben mit Lederfauteuil nach britischem Muster ausgegeben werden sollten.

Bezeichnend ist auch, daß Schrenck-Notzing zu diesem Zeitpunkt sein Interesse schon der Funktionsweise des "psycho-technischen Schaltbretts" zugewandt hatte und gegen jede Beruhigung beim "gesunden Volksempfinden" und gegen jede Beunruhigung angesichts der großen Verschwörung nüchtern feststellte, daß der "Prozeß der zunehmenden Manipulierbarkeit der politischen Sphäre ... irreversibel" sei, was bedeute, daß der, der in der politischen Sphäre Wirkung entfalten wollte, die Methoden der Manipulation verstehen und über Alternativen nachdenken mußte.

Aus dieser Motivlage erklärt sich die Entstehung der drei Bücher, die Schrenck-Notzing in den folgenden Jahren über die amerikanische reeducation ("Charakterwäsche", 1965), die Neue Linke ("Zukunftsmacher", 1968) und deren zentrales Ideologem ("Demokratisierung", 1972) geschrieben hat. Das Leitthema war die Klärung der Ursachen und Konsequenzen von Einflußnahme auf die öffentliche Meinung, wobei zu Anfang die Hoffnung mitspielte, daß der Prozeß aufhalt- und umkehrbar sei, während sich zuletzt immer deutlicher abzeichnete, daß "Öffentlichkeit" und "Propaganda" austauschbare Begriffe geworden waren.

Schrenck-Notzing hat das nicht resignieren lassen, obwohl vom Zurückweichen der Union in bezug auf die Ostverträge über das Ausbleiben der "Tendenz-", dann der "geistig-moralischen-Wende", den Historikerstreit und das Scheitern einer Erneuerung nach der Wiedervereinigung vielfach Anlaß bestanden hätte, negativ Bilanz zu ziehen und die Sinnlosigkeit des eigenen Tuns wie der Verteidigung des konservativen Prinzips einzusehen.

Daß es dazu nicht kam, hatte ohne Zweifel mit Schrenck-Notzings eigenwilliger Auffassung dieses Prinzips zu tun, da er sich weder den Betont-Christlichen noch den Deutschnationalen, den einflußreichsten Gruppen des Nachkriegskonservatismus, zurechnete, und keine Sympathie für völkische Nostalgiker hatte. Es gab auch kein Bedürfnis nach Mentoren, zu Arnold Gehlen etwa fand er erst spät, nach Erscheinen von "Moral und Hypermoral", und die von Mohler vermittelte Bekanntschaft mit Carl Schmitt endete in wechselseitigem Befremden. Schrenck-Notzing hat das damit erklärt, daß er zwar den Stil Schmitts sehr bewunderte, aber ihm alle Juristen suspekt seien.

"Wir leben in einer Epoche des weltweiten Zusammenbruchs aller europäischen Positionen."

Der Grund dafür war eine ausgeprägte "Aversion gegen alles Normative", und diese Aversion erklärt auch die Wahl des Zeitschriftentitels Criticón, der auf den Roman "El Criticón" des spanischen Jesuiten Baltasar Gracián Bezug nahm. Graciáns Klugheitslehre übte auf Schrenck-Notzing große Faszination aus, nicht nur wegen ihres antinormativen Gehalts, sondern auch weil er in dem schwer lesbaren Buch das Modell einer Zeitanalyse vorgefunden hatte, die für die Gegenwart erhellend wirkte: "Wir leben in einer Epoche des weltweiten Zusammenbruchs aller europäischen Positionen - einer nach der anderen -, eines Zusammenbruchs, der nun nicht etwa als Niedergang und Dekadenz gesehen, sondern als nie erreichte Höhe der Freiheit und des Wohlstands, des technischen Fortschritts und der sozialen Sicherheit ausgegeben wird. Man tut alles, um nur die Tatsache der Dekadenz nicht zugeben zu müssen. Man sträubt sich mit Händen und Füßen, denn Dekadenz ist unumkehrbarer Verfall, ein gleichsam physiologischer Abbauprozeß, der durch wohlgemeinte Aktionen, bessere Rezepte und Programme oder gar durch angepaßtes Verhalten nicht umgebogen werden kann. Und das bedeutet einen betäubenden Schlag für alle jene, deren Selbstachtung damit steht und fällt, irgendwo 'dazuzugehören'." Wer solchen Opportunismus als unwürdig betrachte, der müsse sich als "Entzifferer" betätigen und wenigstens Sein und Schein zu trennen lernen.

Man könnte zu dem Schluß kommen, daß diese Stellungnahme jedes Interesse an der politischen Praxis ausschloß, aber für Schrenck-Notzing war Gracián nur einer der beiden Pole seines "Moralismus", der andere war Machiavelli. Zwischen beiden Autoren besteht eine Verbindung, insofern als Grácian "Machiavellist" war, das heißt jene kopernikanische Wende des politischen Denkens nachvollzogen hatte, die nicht wieder rückgängig gemacht, aber dafür um so heftiger bestritten werden konnte. Machiavellis Behauptung, daß in der Welt Gewalt über Moral stehe, dient deshalb seit Jahrhunderten als "Vorwand für allfällige Empörung" und verstellt die Einsicht, daß die Freiheit des Individuums wie des Staates nur zu bewahren ist, wenn man die Tatsachen des politischen Lebens in den Blick nimmt.

Solches In-den-Blick-Nehmen bedeutet den Abschied von konventionellen Lügen und Selbsttäuschungen. Das kann ein schmerzhafter Vorgang sein, bedarf aber zumindest der Initiation. Schrenck-Notzing hat einmal, fast im Plauderton, seine Initiation geschildert. Jahrgang 1927, wurde er Anfang 1943 zusammen mit seinen Klassenkameraden als Flakhelfer eingezogen, erlitt aber eine schwere Infektion, so daß man ihn zuerst in ein Lazarett am Tegernsee und dann zur Rekonvaleszenz in den kriegswichtigen Betrieb seines Stiefvaters - ein Haflinger-Gestüt nota bene - überstellte.

Dort sollte ein samt Bibliothek evakuierter Privatgelehrter ihm und seinem Bruder Nachhilfeunterricht erteilen, der sie aber nicht in griechischer und lateinischer Grammatik übte, sondern statt dessen Vorträge hielt, um seine linksbürgerliche, pazifistische, antipreußische und individualistische Weltanschauung vor den Jungen zu entfalten. Besonderen Eindruck hinterließ das bei den Brüdern Schrenck-Notzing nicht, aber als das Gestüt von amerikanischen Truppen besetzt wurde, rannte der Gelehrte plötzlich mit dem Ausruf "Meine Munition ist aus, meine Munition ist aus" über den Hof. In Sorge um die Geistesverfassung des Mannes, wies man ihn darauf hin, daß nun doch alles gut werde und seine Wünsche in Erfüllung gegangen seien, worauf er konsterniert bemerkte, seine "Munition" habe nichts mit Schußwaffen zu tun, es gehe um Kopfschmerztabletten; Schrenck-Notzing: "Ich wußte von dem Moment an, was ein echter Liberaler ist."

"Liberalismus" steht hier als eine jener Chiffren, um deren Entlarvung es Gracián ging, ein schönes Wort, das die Wohlmeinenden sammelt, leicht mit "Werten" und anderen hochtrabenden Absichtserklärungen in Übereinstimmung zu bringen, die nur die Naiven für bare Münze nehmen, während die vielen, allzu vielen eine Deckung nutzen, die erlaubt, ihre immer egoistischen und regelmäßig schädlichen Ziele zu verfolgen. Der Widerwille dagegen war vielleicht der stärkste Impuls im politischen Wirken Schrenck-Notzings - der und eine gewisse skeptische Hoffnung.

In einem seiner letzten veröffentlichten Texte hieß es über die Entwicklung unserer geistigen Lage, sie werde nach wie vor durch "ideologische Konstrukte" bestimmt, die ebenso lästig wie zählebig, aber letztlich sterblich seien: "Es kommt zu Verschleißerscheinungen, dann tritt eine Krise ein, die schließlich zu einem Wechsel der leitenden Ideen führt."

 

Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing wurde am 23. Juni 1927 in eines der ältesten Münchner Patriziergeschlechter (Wappen) hineingeboren. Sein Urgroßvater war der Industrielle und nationalliberale Reichstagsabgeordnete Gustav von Siegle, seine Großväter der Parapsychologe Albert Freiherr von Schrenck-Notzing und der Schriftsteller Ludwig Ganghofer. Nach dem Krieg studierte er Geschichte und Soziologie in Freiburg, München und Köln. Er war WMF-und BASF-Großaktionär, von 1970 bis 1998 leitete er die von ihm gegründete konservative Zeitschrift Criticón. Vor zwei Jahren konvertierte er zum katholischen Glauben. Caspar von Schrenck-Notzing verstarb vergangenen Sonntag im Alter von 81 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit.

Foto: Caspar von Schrenck-Notzing: Neue Mittel zur Verteidigung konservativer Positionen; "Criticón", die erste Ausgabe von 1970 (r.) und das hundertste Jubiläumsheft von 1987

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen