© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/09 30. Januar 2009

"Der deutsche Meisterbrief muß bleiben"
Interview: Peter Reitzmann, Vertriebsleiter der Nürnberger Firma ProTec24, über Industriedienstleistungen und Firmenkulturen
Wolfhard H. A. Schmid

Herr Reitzmann, Ihr Unternehmen wurde 2008 von der Wirtschaftsinitiative "Top 100" als eines der 100 innovativsten Unternehmen Deutschlands geehrt. Wie kam es dazu, und was bedeutet diese Auszeichnung für Ihr Unternehmen?

Reitzmann: Wir haben diese Auszeichnung bereits das dritte Mal bekommen. Allein daraus können Sie entnehmen, wie wichtig dies für uns ist.

Wie kam es zu zu Ihrem Erfolg?

Reitzmann: Wir sind als Industrieserviceunternehmen anders gelagert als die sonstigen Dienstleister auf diesem Gebiet. Die Voraussetzung für unseren Erfolg ist sicher, daß wir unsere Verfahren und Technologien auf den Umweltschutz "trimmen". Jedes Jahr geben wir dazu einen Umweltschutzbericht als Broschüre heraus, der auf unseren Erfahrungen und unserer Arbeitsweise beruht. Dazu haben bei uns Arbeitsschutz und Gesundheit höchste Priorität. Ein weiterer Faktor ist unser breites Kompetenzspektrum, das sich vom Instandhaltungsservice über Montagedienstleitungen und Anlagenverlagerungen bis zum Gebäudeservice erstreckt. Unser Qualitätsbewußtsein drückt sich in vielen Zertifizierungen und Auszeichnungen aus. "Top 100" ist hier nur ein Baustein. Nicht zuletzt werden unsere Arbeitsprozesse softwaremäßig durch ein ERP-System (Enterprise Resource Planning System - dient zur Planung und Überwachung der Arbeitsabläufe) gestützt. Man kann für unsere Erfolge folgende Gründe nennen: Wir sind kostengünstig für unsere Kunden, wir sind flexibel und umweltfreundlich, und wir arbeiten qualitätsbewußt.

Wo sehen Sie Ihre Stärken gegenüber Ihren Wettbewerbern?

Reitzmann: Eindeutig in unserer gewissen Größenordnung, unserer Struktur einer breiten Kompetenzabdeckung und daß wir eine inhabergeführte Mittelstandsdecke haben. Damit können wir dem Kunden alles aus einer Hand ohne Schnittstellenproblematik bieten. Als kleinerer Mittelständler können Sie das nicht gewährleisten.

Sie haben im Ausland Niederlassungen und sind mit Ihren Projekten weltweit aktiv. Es fällt auf, daß Sie in Indien, aber nicht in China Projekte haben. Aus Sorge vor Know-How-Diebstahl?

Reitzmann: In vielen europäischen Ländern haben wir nur Projektstätten, Niederlassungen nur in Frankreich und Tschechien. Im Moment denken wir auch daran, in Schweden und Spanien Niederlassungen aufzubauen, da wir möglicherweise mit langfristigen Wartungsverträgen für die Reinigung von insgesamt 20 Lackieranlagen beauftragt werden. In China und in den USA sind wir ganz bewußt nicht aktiv. Hier sehen wir die hohen Anlaufkosten und gegenüber unseren europäischen Kunden völlig andere Firmenkulturen. Die Herausforderungen in Europa sind für uns groß genug.

Wie funktioniert bei Ihrem breiten und vielseitigen Kundenprofil Ihr Vertrieb?

Reitzmann: Wir haben einen aktiven Vertrieb, aber keinen großen Vertriebsapparat. Es geht hier mehr um einen langfristigen Vertrauensaufbau bei unseren Kunden. Die Serviceverträge für Lackieranlagen werden für drei bis fünf Jahre oder länger abgeschlossen. Aufträge erhalten wir über Empfehlungen und interessanterweise auch über Fachartikel - ich bin selbst journalistisch tätig gewesen -, oder Hersteller von Anlagen empfehlen uns für Montage und Service der betriebenen Anlagen. Dabei werden wir oft mit unserem Wissen als Berater für die Prozeßoptimierung hinzugezogen. Auch durch Empfehlung zufriedener Kunden erhalten wir Neuaufträge.

In den letzten Jahren ist in der deutschen Politik wieder ein Linkstrend zu beobachten. Was bedeutet dies für Sie als global aktiven Mittelständler?

Reitzmann: Ein erhebliches Risiko! Sollten die Versprechungen dieser Leute realisiert werden, könnten steigende Lohnnebenkosten ein Riesenproblem werden. Die Flexibilität würde erheblich eingeschränkt werden, und das Betriebsratproblem unserer Vertragspartner würde sich für uns verschärft auswirken.

Wie sehen Sie Ihre eigene und die Zukunft des weltweit aktiven deutschen Mittelstands insgesamt? Welche Chancen und Risiken?

Reitzmann: Eher positiv. Die Aufsplittung der Fertigungstiefe wird weiter zunehmen. Die Großkonzerne werden weiter auf Mittelständler verlagern. Unsere Verhandlungen mit Großfirmen zeigen dies ganz deutlich. Neue Ideen werden immer wichtiger. So wird die Mittelstandsstruktur weiter wachsen, allerdings auch die Abhängigkeit von den Großen wird steigen. Deshalb ist auch die Globalisierung ein Thema für den Mittelstand.

Mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) sollen Deregulierung und Kostensenkung zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen Einzug halten (JF 48/08). Kritiker wie Karl Heinz Kütting von der Universität des Saarlands warnen hingegen vor der größten Reform des bewährten Handelsgesetzbuchs (HGB), da dadurch viele Regeln amerikanischen Ursprungs Einzug erhalten.

Reitzmann: Die umfangreichen Änderungen führen natürlich auch bei einem Mittelständler wie uns erst einmal zu Mehraufwand, der erbracht bzw. bezahlt werden muß. Ohne intensive und professionelle externe Beratung kommen auch wir inzwischen nicht mehr aus, obwohl wir gutes betriebswirtschaftliches Know How im Hause haben. Dazu kommt die Tatsache, daß mit der Publizitätspflicht für kleinere Unternehmen in Verbindung mit neuen Bilanzierungsregeln auch leicht Probleme bei der Interpretation der Jahresergebnisse entstehen. Die negativen Auswirkungen bezüglich des kaufmännischen Vorsichtsprinzips würde ich bestätigen. Insgesamt sehe auch ich deshalb diesen Vorgang sehr kritisch.

Mit einem Anteil von 60 Prozent am Bruttosozialprodukt ist die mittelständische Wirtschaft der bedeutendste Wirtschaftsfaktor in Deutschland - wegen ihrer heterogen Struktur als Sprachrohr in der Öffentlichkeit aber nur unterrepräsentiert.

Reitzmann: Ich vermisse bei der Politik die Förderung des Mittelstands. Leider werden nur die Großunternehmen gefördert - da gäbe es für die Politik noch viel zu tun.

Immer mehr Regelungen kommen von der EU. Wie verändert das Ihre Arbeit?

Reitzmann: Europaeinheitliche Regelungen nützen allen. Aber auf der anderen Seite findet der Moloch Brüssel immer neue bürokratische Regelungen  wie etwa die EU-Chemikalienrichtlinie Reach (JF 25/05). Bei Ausschreibungen erhalten wir zu diesem Thema einen Fragebogen, in dem 160 Fragen beantwortet werden müssen.

Die EU hat durch den Bologna-Prozeß das US-Bildungssystem mit Bachelor und Master adaptiert. Was halten Sie davon?

Reitzmann: Ich persönlich bin ein Anhänger unserer klassischen Universitätsausbildung. Insgesamt ist unser Unternehmen vom Bologna-Prozeß nur bedingt betroffen, da wir in erster Linie mit Facharbeitern und Meistern arbeiten. Allerdings würde ich es für sehr schlecht empfinden, wenn auch der deutsche Meisterbrief als zuverlässige Qualifikation abgeschafft werden sollte.

 

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Foto: Peter Reitzmann vor Firmenzentrale: "Bin ein Anhänger unserer klassischen Universitätsausbildung"

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