© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/09 23. Januar 2009

Widerstand ist machbar
Kinofilm "Operation Walküre": Hollywood nimmt sich eines urdeutschen Filmstoffes an
Thorsten Hinz

Dieser Film wird Breschen schlagen! Man kann bedauern, daß "Operation Walküre" keine deutsche, sondern eine Hollywood-Produktion ist und die globale Deutungshoheit des englischsprachigen Kulturbetriebs über die Geschichte befestigt. Aber sei's drum, die Geschichte bevorzugt zuweilen Umwege.

Auch alle anderen Einwände inklusive der Zweifel, ob Tom Cruise, der als Inkarnation des hübschen, freundlichen amerikanischen Jungen seine internationale Karriere begründet hat, für die Rolle des Stauffenberg der geeignete Darsteller ist, erweisen sich als sekundär vor der Tatsache, daß hier ein Weltstar des modernen Kinos sich des berühmtesten deutschen Hitler-Gegners angenommen hat. Allein das ist ein effektives Politikum über Deutschland hinaus! Und zwar ein um so stärkeres, weil Cruise, wie in jeder Szene zu spüren ist, die Filmfigur schmerzhaft nahegeht, sie ihm Respekt, ja Ehrfurcht abnötigt. Die Deutschen in der Zeit des Dritten Reichs, Militärs wie Zivilisten, werden in Hollywood-Produktionen gewöhnlich als selbstmitleidige Monster oder dümmlich-brutale Typen denunziert. Hier ist es anders.

Der General Friedrich Olbricht, der am 20. Juli 1944 mit der Auslösung des "Walküre"-Befehls überfordert war, wird vom Golden-Globe-Preisträger Bill Nighy als ein integrer, sympathischer Mann dargestellt, der von der übermenschlichen Verantwortungslast in einer geschichtlichen Entscheidungssituation quasi zermalmt wird. Was keinem subventionierten, von offiziellen Stellen gehätschelten Film aus Deutschland gelingt und wohl auch nicht gelingen soll: Der Nachweis, wie stark das "andere", das "bessere" in dem "heiligen Deutschland" Stauffenbergs wurzelte, wird in "Operation Walküre" wenigstens angedeutet. Der Schluß ist mit einer neoromantischen Vertonung von Goethes Gedicht "Über allen Gipfeln ist Ruh'" unterlegt, einem literarischen "Reichskleinod", wie Karl Kraus formulierte. Das Herz, das sich der Suggestion dieses Augenblicks entziehen kann, muß krankhaft verhärtet sein.

Die deutschen Medien haben den Film vorab mehrheitlich abgewertet. Genüßlich wurden die Pannen bei den Dreharbeiten ausgebreitet, die Scientology-Mitgliedschaft von Tom Cruise - die seine Privatangelegenheit ist - wurde zum künstlerischen Problem stilisiert, es wurden vorschnelle Meldungen über den Flop an den amerikanischen Kinokassen verbreitet. Hinter der Negativ-Berichterstattung steckt zum einen die Befürchtung, daß das differenzierte, bessere Deutschland-Bild, das der Film verbreitet, die finanzielle und moralische Erpreßbarkeit Deutschlands mindern könnte.

Warum freut man sich nicht, daß "Operation Walküre" andeutet, daß der äußere Griff sich möglicherweise lockert? Offenbar weil den Deutschen die jahrzehntelang indoktrinierte Negativ-Projektion von sich selbst nicht bloß zur zweiten, sondern zu ihrer eigentlichen Natur geworden ist. Das erinnert an Heiner Müllers böse-hintersinnige Prometheus-Persiflage: Der Titanensohn, als Herakles ihn vom kaukasischen Felsen löst, verteidigt "brüllend und geifernd, mit Zähnen und Klauen" seine Ketten, schreit nach seinem ruhigen Platz am Stein.

Immer wieder bekritteln zwar nicht stahlgewittererprobte, dafür talkshow-gestählte Mandarine der öffentlichen Meinung, daß Stauffenberg kein Demokrat und sein Ziel nicht der Parteienstaat, sondern die Rettung des Deutschen Reiches gewesen sei - eine für die Bundesrepublik typische Kritik. Ihre Protagonisten betonen stets ihre "Weltoffenheit", gleichzeitig aber verstehen sie die Welt nur nach den eigenen, zeitgebundenen, beschränkten Maßstäben. Erst ab Verkündigung des Grundgesetzes und dem uneingeschränkten Bekenntnis zur Demokratie und zur westlichen Wertegemeinschaft erscheint ihnen die deutsche Geschichte als vollwertig und präsentabel. Die Beschränktheit dieses Standpunktes fällt um so stärker auf, weil nicht wenige Experten uns bereits inmitten einer neuen Zeitenwende, im Stadium der "Postdemokratie", wähnen.

Stauffenberg, der aus dem Uradel kam und dem George-Kreis angehörte, war zweifellos ein geborener Demokratie-Skeptiker. Skepsis und Widerspruch können jedoch fruchtbar sein. Auch der Schriftsteller Alfred Döblin, der heute als Liberaler verbucht würde, spottete über den Wechsel vom Kaiserreich zur Republik: Damals sah man die Herde, heute sieht man die Schafe!

Und in der Tat: Begriffe wie "demokratische Gesinnung", der professionelle Gebrauch formalen Regelwerks und des dazugehörigen Vokabulars besagen noch gar nichts. Wenn nicht sittlicher Ernst, Bildung, Charakter, Haltung hinzutreten, bedeuten sie lediglich die Selbstfeier der von Nietzsche antizipierten, eigenschaftslosen letzten Menschen. Wenn ein Staat neben umfassender Sozialfürsorge die Herausbildung von Mut und Zivilcourage bürokratisch organisiert, dann darf man sicher sein, daß ganz andere Menschentypen herangezüchtet werden: Heuchler, Mitläufer, Trittbrettfahrer, die nichts zustande bringen, was politisch, kulturell, geschichtlich, moralisch irgendwie von Belang und Interesse wäre.

Widerstand stützt sich auf Werte, die vor dem nivellierenden Massenzeitalter liegen. Der sechzehnjährige Stauffenberg schrieb in einem Gedicht für seinen Bruder: "Ruhm und schönheit wenn nicht wir sie hätten / Des Staufers und Ottonen blonde erben".

Das Aristokratische, ohne das die Demokratie geistig und moralisch flach wird, ist nicht an Herkunft oder Bildungsabschlüsse gebunden. Oft waren es ganz einfache Menschen, die Juden versteckten und Flüchtlingen über die Grenze halfen. Sie hatten überhaupt keine Worte für das, was sie wagten, und wiesen Dankesbezeugungen schroff zurück. Schließlich hatten sie nur getan, was ihre innere Stimme ihnen befohlen hatte zu tun. Wo die Institutionen ein Reich der Lüge bilden, wird die starke Persönlichkeit zum Hort der Hoffnung.

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