© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/09 16. Januar 2009

Linke Tracht
Politische Zeichenlehre LXV: Palästinensertuch
Karlheinz Weissmann

Das Palästinensertuch, auch abgekürzt "Pali", arabisch Kafiya beziehungsweise Kefiye, ist wieder allgegenwärtig: bei den Aufmärschen und Protestdemonstrationen im Gazastreifen und im Westjordanland ebenso wie bei den Solidaritätsveranstaltungen, die weltweit stattfinden. Es handelt sich um ein quadratisches Baumwolltuch, teilweise mit Quasten am Rand, von bestimmter Musterung: in der Mitte gleichmäßige farbige Würfel, am Rand Streifen in Schwarz oder Rot, es kommen aber auch Blau und Violett vor.

Auf die dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts geht wahrscheinlich die verschiedene Musterung der Tücher zurück, wobei die Stämme Saudi-Arabiens an einem weißen Tuch festhielten, während die Palästinenser das schwarz-weiße Muster vorzogen, das für die Kafiya als typisch gilt. Die Kafiya wurde ursprünglich von den Beduinen, dann auch von den Bauern des Nahen Ostens als Turban oder Kopftuch getragen. Seine politische Bedeutung als Symbol erhielt es erst durch den Aufstand gegen die britische Mandatsmacht in Palästina, 1936 bis 1939, als es zum Kennzeichen arabischer Identität im Kampf gegen den Westen und die jüdische Wiederbesiedelung des Landes wurde.

Militärischer Träger dieser Erhebung waren die palästinensischen Bauern, die Fedayin, ihre ideologische Führung übernahm der Großmufti von Jerusalem. Zu den Forderungen der Rebellen gehörte neben den eigentlich politischen, daß die Stadtbevölkerung den Fez (arabisch Tarbusch) und die Hüte europäischer Mode ablegen sollte; Männer hätten die Kafiya, Frauen den Schleier zu tragen. Wer diesem Verlangen nicht nachkam, mußte mit Repressalien rechnen. Während des Aufstands wurden in Jerusalem zwei Männer erschossen und dann ihre Wunden sorgfältig mit dem Fez bedeckt, den sie getragen hatten; der Mord war wohl darauf zurückzuführen, daß die Opfer die überall angeschlagene Botschaft des Großmuftis nicht beachtet hatten: "Das Hauptquartier der arabischen Revolution erinnert alle Araber daran, daß der Tarbusch nicht die wahre nationale Kopfbedeckung des Arabers ist. Die Araber Palästinas müssen die nationale Kafiya tragen. Diejenigen, die (...) darauf beharren, den Tarbusch zu tragen, werden wir als unsere Feinde betrachten."

Einige Autoren meinen, daß der Zwang zur Kafiya den praktischen Zweck hatte, die Identifizierung von Partisanen zu erschweren und die Identifizierung jüdischer Siedler zu erleichtern. Allerdings erinnert der Gesamtzusammenhang doch eher an die kulturrevolutionären Maßnahmen, die fundamentalistische Bewegungen im Orient auch sonst ergriffen, etwa die Verschleierung in der Islamischen Republik Iran oder das Tragen von Burka bei den Frauen und traditioneller Kleidung samt Vollbart bei den Männern unter dem Regime der Taliban in Afghanistan.

Das Palästinensertuch wurde erst in den sechziger Jahren außerhalb der arabischen Welt bekannt, weil der Führer der Fatah, Jassir Arafat, es bei allen öffentlichen Auftritten trug, dann verbreitete das Fernsehen Bilder palästinensischer Terroristen und Aktivisten, die es als Kopfbedeckung oder als Halstuch verwendeten. Die Neue Linke Europas und Nord­amerikas ahmte diese Mode nach, um so ihre Solidarität mit der "Dritten Welt" im allgemeinen, und ihre Solidarität mit dem Kampf der Palästinenser um einen selbständigen Staat und gegen den "Imperialismus" Israels im besonderen zu zeigen. Die Färbung des Tuches spielt im Normalfall keine Rolle, wenn auch unter Anarchisten und Antifaschisten das rot-weiße Karo besonders verbreitet ist. Erbitterte Diskussionen wurden bei der Verschärfung des Demonstrationsrechts in der Bundesrepublik über die Frage geführt, ob das um den Kopf gewundene Palästinensertuch den Tatbestand der "Vermummung" erfülle.

In eine Krise geriet das Palästinensertuch als Symbol der Linken vorübergehend dadurch, daß sich seit den neunziger Jahren auch rechtsradikale Gruppierungen dieses Abzeichens bedienten; das ging auf deren Deutung des palästinensischen Kampfes als "nationale Revolution" einerseits, dessen Stoßrichtung gegen Israel andererseits zurück, hatte aber auch mit dem Versuch zu tun, die symbolischen Codes des Gegners zu kopieren. Der von den "Antideutschen" und einigen Gruppierungen in Berlin gegründeten Initiative "Coole Kids tragen kein Pali" blieb aber weiterreichender Erfolg versagt. Das Tuch hat sich längst als Teil der linken "Tracht" und des outfit der unpolitischen Jugendkultur etabliert.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen