© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/09 16. Januar 2009

Abschied von der "Neuen Rechten"
Debatte: Gespräch mit Alain de Benoist zu einem umstrittenen politischen Begriff
Dieter Stein

Unverändert sind in Deutschland Politikwissenschaftler, die sich einem "Kampf gegen Rechts" verschrieben haben, bemüht, nonkonforme Intellektuelle, die konservativ denken, unter einer des Extremismus verdächtigen "Neuen Rechten" zu subsumieren. Was denken Sie dabei?

Benoist: Ein Politikwissenschaftler geht ohne Vorurteile an seinen Forschungsgegenstand heran und zieht erst nach Beendigung seiner wissenschaftlichen Analyse Schlußfolgerungen. Die Menschen, von denen Sie sprechen, sind alles andere als Wissenschaftler. Sie sind militante Pamphletisten, die sich für ein Werk einzig und allein in der Hoffnung interessieren, zu ebenjenen Schlußfolgerungen zu gelangen, von deren Richtigkeit sie von vornherein überzeugt waren. Sie nehmen weder Rücksicht auf feine politische oder ideologische Unterschiede noch auf die Komplexität der Lebenswege. Ohne jegliches Gespür für den historischen Moment, in dem sie leben, wiederholen sie die immergleichen Mantras. Sie reißen Zitate aus dem Zusammenhang, um daraus Aussagen entnehmen zu können, die so nicht gemacht wurden, oder sie stellen Texte, die jemand vor einem halben Jahrhundert verfaßt hat, als aktuelle Stellungnahmen dar. Sie erstellen wahnwitzige Organigramme, denen zufolge plötzlich alle "guilty by association" sein sollen. Sie spekulieren über Hintergedanken, Intentionen, das "Ungesagte" und legen somit anderen etwas zur Last, was in Wirklichkeit ihr eigenes Vorgehen charakterisiert.

Wie ist diese Stupidität zu erklären?

Benoist: Deutschland war einst dasjenige Land, in dem die Hexenverfolgung mit der größten Erbitterung betrieben wurde. Die deutsche "Antifa" führt diese Tradition fort. Sie sind ideologische Dinosaurier, Extremisten, deren Methoden sich kaum von denen Goebbels' unterscheiden. Ihr gesamtes Trachten gilt einer weitestmöglichen Einschränkung der Meinungsfreiheit. Zudem sind sie nützliche Idioten, mit deren Hilfe sich die herrschende Ideologie ihrer Kritiker erwehrt. Indem sie das Gespenst einer imaginären "faschistischen Bedrohung" (im Jahr 2009!) beschwören, lenken sie von den realen Bedrohungen ab: Zerstörung der Umwelt, Dominanz der Profitlogik, Heraufkunft der Gesellschaft des Spektakels, die zugleich eine Gesellschaft der totalen Überwachung ist. In Frankreich gibt es durchaus Wissenschaftler, die sich in seriöser Weise und aus kritischer Perspektive mit "rechten" Bewegungen beschäftigen. Ich denke an Autoren wie Pierre-André Taguieff oder Jean-Yves Camus. Die deutschen "Antifas" sollten sich ein Beispiel an ihnen nehmen. Dann würden sie vielleicht damit aufhören, sich in sämtlichen seriösen wissenschaftlichen Kreisen lächerlich zu machen. 

Ist es richtig, daß Sie und Ihre Freunde um den GRECE und die Zeitschrift "Nouvelle École" sich bis 1979 nie selbst als "Nouvelle Droite" bezeichnet haben?

Benoist: Genauso war es. Die 1968 entstandene Denkschule hat sich ursprünglich selber nie als "Nouvelle Droite" bezeichnet. Diesen Begriff haben elf Jahre später die Medien erfunden, als 1979 eine internationale Pressekampagne losgetreten wurde.

Warum haben Sie und der GRECE den Begriff "Neue Rechte" nach 1979 schließlich zur Selbstdarstellung übernommen - und warum später in Frage gestellt?

Benoist: Meiner Ansicht nach ist das Etikett "Nouvelle Droite" immer sehr mißverständlich gewesen. Zunächst einmal verlieh es einer rein intellektuellen und kulturellen Denkströmung, die nie den Ehrgeiz hatte, auf der politischen Bühne zu agieren, einen politischen Beiklang. Zum zweiten muß die genaue Bedeutung des Wortes "rechts" erst noch definiert werden. In unterschiedlichen Epochen und unterschiedlichen Ländern hat es immer verschiedene Rechte gegeben - und im übrigen auch verschiedene Linke -, von denen manche eindeutig größere Gemeinsamkeiten mit gewissen Strömungen der Linken aufweisen als mit anderen Rechten. Zudem ist dieser Begriff später in verschiedenen anderen Ländern aufgetaucht, um Bewegungen oder Trends zu bezeichnen, die in Wirklichkeit in keinerlei Beziehung zur Nouvelle Droite stehen. Und schließlich hat sich seit dem historischen Bruch von 1989/91 gezeigt, daß die Unterscheidung zwischen Linken und Rechten sukzessive unbrauchbar geworden ist. Überlebt hat diese Kluft nur, und zwar mit Mühe, bei der herrschenden politischen Klasse, die alles daransetzt, ihr Fortbestehen bis in alle Ewigkeit zu sichern. Zu wissen, ob jemand "rechts" ist, gibt mir heute keinerlei Aufschluß darüber, ob er für oder gegen Europa ist, für oder gegen den Irak-Krieg, für oder gegen die kapitalistische Ordnung, für oder gegen Umweltschutz, für oder gegen Regionalismus etc.

"Rechts" und "Links" als Ordnungsbegriffe haben sich überlebt?

Benoist: Alle Ereignisse der letzten Zeit haben neue Gräben quer durch die traditionellen  politischen Verhältnisse geschaffen. Die politischen Zuordnungen soziologischen Ursprungs, in denen sich gewisse Traditionen kristallisierten, sind im Verschwinden begriffen. Die Unterscheidung zwischen Rechts und Links entstand mit der Moderne; sie ist dabei, mit ihr auszusterben. Andere, interessantere Kluften werden die postmoderne Ära kennzeichnen. Das macht sich schon jetzt bemerkbar. Viele "Rechte" zum Beispiel lehnen die Globalisierung ab (deren Endziel die Verwandlung der Erde in einen riesigen homogenen Markt ist), die doch von rechten Regierungen schneller vorangetrieben wird als von linken. Der Altermondialismus, das Streben nach einer alternativen Zukunft, ist allen Mißverständnissen zum Trotz insgesamt eine linke Bewegung. Genauso verstehe ich nicht, wie man Einwanderung kritisieren kann, ohne die kapitalistische Ordnung und die liberale Ideologie des "Laissez faire, laissez passer" in Frage zu stellen, die zu ihren wesentlichen Triebfedern zählt. Die Einwanderung ist heutzutage zuvorderst die industrielle Reservearmee des Kapitals.

Das in Ihrem 1999 erschienenen Buch "Aufstand der Kulturen" abgedruckte Manifest trägt aber wiederum den Titel "Die Nouvelle Droite des Jahres 2000". Da taucht der Begriff doch wieder auf.

Benoist: Das Problem ist, daß es in unserer Mediengesellschaft extrem schwierig ist, Etiketten, die einem angeklebt werden, wieder loszuwerden. "Das Medium ist die Botschaft", wie MacLuhan sagte. Anfangs versuchten wir, "Nouvelle Droite" durch "Nouvelle Culture" zu ersetzen. Dieser Begriff war aber zu schwammig, um sich durchzusetzen. Von dem Moment an, da wir überall als "Neue Rechte" bekannt waren, taten wir gut daran, diese Bezeichnung anzunehmen. Wir haben dies dennoch stets unter Vorbehalt getan und uns immer wieder um Präzisierung und Richtigstellung bemüht - natürlich mit wechselndem Erfolg. In manchen Fällen war es allerdings unumgänglich, dieses Etikett zu verwenden. Das Beispiel, das Sie anführen, ist typisch. Das Manifest "Die Nouvelle Droite des Jahres 2000", eine Art Bilanz oder Zwischenbericht dessen, was wir in über dreißig Jahren getan haben, richtete sich an ein sehr breites Publikum, das uns nur als "Nouvelle Droite" kennt. Als wir diesen Text in Buchform herausbrachten, haben wir ihm allerdings einen neuen Titel gegeben: "Manifest für eine europäische Renaissance". Nach langem Zögern haben wir uns also entschieden, in diesem genau definierten Kontext diesen Namen zu verwenden. Aber persönlich gebe ich mir Mühe, ihn so wenig wie möglich zu gebrauchen, sowohl aus den Gründen, die ich erläutert habe, als auch aufgrund meiner persönlichen Entwicklung. Ich habe immer sowohl den Marxismus wie den Liberalismus abgelehnt. Heute stelle ich fest, daß die Rechte immer liberaler und die Linke immer weniger marxistisch wird. Daraus ziehe ich meine Lehre. In gewisser Hinsicht könnte ich mich heute als Menschen bezeichnen, der gleichzeitig den Ideen der Linken und den Werten der Rechten anhängt!

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen dem französischen Begriff "Nouvelle Droite" in seiner Rezeption in Frankreich und dem Begriff "Neue Rechte" in seiner Rezeption in Deutschland?

Benoist: Der erste Unterschied besteht darin, daß "Nouvelle Droite" sich auf eine Bewegung bezieht, die sich gut charakterisieren und gut abgrenzen läßt - hauptsächlich auf die Zeitschriften, an denen ich mitgearbeitet habe, und die Aktivitäten, die sich um sie herum entfaltet haben. In Deutschland ist "Neue Rechte" ein Gummibegriff, den zumeist feindselige Kommentatoren wahllos auf alle möglichen Unternehmungen anwenden, die sich in der Regel darin nicht wiedererkennen. Während das Etikett "Neue Rechte" in Frankreich semantisch unangemessen ist, entspringt es in Deutschland zumeist Wahnvorstellungen. Es bezeichnet ein Phantom - und weil es ein Phantom ist, kann man ihm beliebige Eigenschaften, vor allem aber irgendeine beliebige Rolle zuschreiben.

Sehen Sie überhaupt eine Möglichkeit, den Begriff "Neue Rechte" positiv zu besetzen, oder ist das verlorene Liebesmüh?

Benoist: Ich persönlich glaube nicht daran. Allerdings hat die Ablehnung des Etiketts "Nouvelle Droite" für mich überhaupt nichts damit zu tun, daß dieser Begriff so negativ besetzt ist, daß es unmöglich wäre, aus dieser Sackgasse herauszukommen. In Italien hat das Etikett "Nuova Destra" niemals einen negativen Beiklang gehabt, ganz im Gegenteil. Dort liegt die Betonung eher auf dem ersten Wort, um die Neuartigkeit dieser Denkrichtung hervorzuheben. Dennoch benutzt ihr wichtigster Vordenker, Marco Tarchi, diesen Begriff nicht mehr - aus denselben Gründen wie ich: Das Wort "rechts" ist mittlerweile so mißverständlich geworden, daß es jedwede Bedeutung verloren hat. Marco Tarchi ist Professor an der Universität von Florenz, ein Politologe von hohem Ansehen und unbescholtenem wissenschaftlichen Ruf. Sein Lebensweg ähnelt stark dem meinen. Er hat keinerlei Sympathien für Nationalismus, Rassismus, antidemokratisches Gedankengut, Diktatur-Nostalgiker oder die Vertreter eines angeblichen "Kampfs der Kulturen". Ebenso wie ich wünscht er sich eine deutlicher ausgeprägte partizipative Demokratie, die aber nicht in "populistische" Demagogie verfällt. An allererster Stelle steht für ihn - wie für mich - der Kampf gegen den liberalen Kapitalismus und die Herrschaft der Marktideologie über die symbolische Vorstellungswelt. Sozialistische Urgedanken etwa bei George Orwell, Herbert Marcuse oder Walter Benjamin hat er sich ebenso fruchtbar gemacht wie das Lebenswerk eines Carl Schmitt oder Max Weber. Wir sind beide "transversale" Intellektuelle, die eine neue politische Philosophie anstreben. Die Moderne hat die Entstehung und Entwicklung dreier großer Denkrichtungen erlebt: des Liberalismus, der Faschismen und Kommunismen. Die beiden letzteren sind ein für allemal tot. Der Liberalismus, der als erster entstand, wird als letzter vergehen. Mein Interesse gilt der Frage, was danach kommt.

Wie sinnvoll sind überhaupt solche politischen Selbstkategorisierungen?

Benoist: Leider habe ich keine Lösung anzubieten. Ein weiterer großer Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich besteht darin, daß bei uns das Wort "Konservativer" niemals als Selbstbezeichnung verwendet worden ist. In der französischen politischen Tradition ist es ein Fremdkörper und wird eher negativ aufgefaßt. Ich würde schlicht sagen, daß man Selbstbezeichnungen respektieren sollte. Ich bin immer allergisch dagegen gewesen, wie die Rechten überall "Kommunisten" und die Linken überall "Faschisten" sehen. Das ist eine rein polemische Vorgehensweise und als solche völlig uninteressant. Dazu kommt, daß mir - vielleicht zu Unrecht - Etiketten relativ gleichgültig sind. Was mich an einer politischen Lehre interessiert, ist der Inhalt, nicht die Verpackung. Deswegen unterstelle ich niemandem jemals irgendwelche Intentionen. Intellektuelle Redlichkeit beginnt damit, andere danach zu beurteilen, was sie sagen - nicht nach dem, was man ihnen gerne in den Mund legen würde oder von ihnen zu hören erwartet.          

Eine ungekürzte Fassung des Gesprächs mit Alain de Benoist können Sie im Internet abrufen: www.jungefreiheit.de

 

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Foto: Alain de Benoist: "Ich bin immer allergisch dagegen gewesen, wie die Rechten überall 'Kommunisten' und die Linken überall 'Faschisten' sehen"

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