© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/09 16. Januar 2009

Die kommunistische Ökumene zieht weiter
Liebknecht-Luxemburg-Demonstration: Die traditionsreiche Kundgebung als Stelldichein von DDR-Nostalgikern und Linksextremisten
Christian Dorn

Wer in der DDR zur Schule gegangen ist, kann sich an diesem Sonntagmorgen bei klirrender Kälte auf einer unwirklichen Zeitreise fühlen. Denn wie jedes Jahr Mitte Januar zieht der Wallfahrtszug der kommunistischen Ökumene zu seinem Grab - vom Frankfurter Tor über die einstige Stalinallee zur eigenen Gedenkstätte auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin-Lichtenberg.

Hier befindet sich die "Gedenkstätte der Sozialisten" mit den Grabstellen von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die vor neunzig Jahren, am 15. Januar 1919, von Freikorpssoldaten ermordet wurden (siehe Seite 17). Zur Erinnerung an die KPD-Führer und weiteren Toten des Spartakusaufstandes war 1926 ein von Ludwig Mies van der Rohe entworfenes Revolutionsdenkmal errichtet worden. Es diente fortan als zentrale Kultstätte, in der gewissermaßen die Vergötterung der kommunistischen Märtyrer, ihr messianisches Heilsversprechen von den Gläubigen erneuert wurde. Immerhin hatte Rosa Luxemburg gleichsam prophetisch in ihrem letzten Artikel, erschienen am 14. Januar 1919 in der Roten Fahne des Spartakusbundes, sowohl ihr Martyrium wie ihre Auferstehung mit den Worten "Ich war, ich bin, ich werde sein!" vorweggenommen. Vermeintlich verkörperte sich hier die Botschaft der Erlösung, die durch die Revolution der proletarischen Massen Wirklichkeit werden sollte. Tatsächlich haben alle Versuche seither weltweit mehr als 80 Millionen Menschenleben gefordert.

Das aber ficht die linken Pilger nicht an, die sich auch diesmal auf den Weg gemacht haben. Ziel ihrer Prozession ist die am 14. Januar 1951 eingeweihte und in Form eines Rondells neugestaltete Gedenkstätte. Die Nationalsozialisten hatten den Bau abreißen und die Gräber einebnen lassen. Die Polizei zählt an dem Tag knapp 8.000 Demonstrations- und insgesamt 15.000 Gedenkteilnehmer. Die Linkspartei handhabt es indes wie seinerzeit die Genossen der Planwirtschaft und imaginiert einen Aufmarsch von 80.000 Menschen - eine Einschätzung, die mit Wunschdenken sehr viel, mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Dennoch sind erstaunlich viele, vor allem ältere Leute gekommen. Einer von ihnen, ein rüstiger Rentner aus dem Ostteil der Stadt, erklärt sein Erscheinen so: "Früher mußte ich, heute will ich. So ändern sich die Zeiten." Was jedoch bleibt, ist die allgemeine Heilserwartung aus einem diesseitigen Erlösungsversprechen. So steht vor dem Friedhofseingang ein unentwegtes Dutzend mit Sammelbüchsen - nicht die Heilsarmee, sondern die Veranstalter, auf deren Büchsen ein kahler Schädel prangt, darauf das Motto "Nazis raus!". Doch rein kommt das Geld nicht nur da.

Wie es schon Tradition ist, sind zur linken und rechten Seite der Friedhofs­einfahrt Stände aufgebaut, an denen linke Devotionalien feilgeboten werden und wo die einzelnen Gruppen der sozialistischen Heilslehre um ihre Jünger werben. Denn das Gesetz des Marktes herrscht auch hier. Wie auf dem Wochenmarkt wirbt ein Genosse für Unsere Zeit - denn sie eilt bei diesem frostigem Wetter mit schnellen Schritten: "Die UZ, Zeitung der DKP, nur ein Euro heute, Sonderpreis!" Zwei zwar fröstelnde und doch frohgemute Damen am Schirmtisch der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands werben derweil um Stimmen für ihre Wahlzulassung - uneins sind sie sich lediglich bei der Zahl der nötigen Unterstützer-unterschriften: nur zwölf- oder doch dreißigtausend? Egal, der Kampf geht weiter.

Niemand weiß das besser als die dreiköpfige Singegruppe am Stand der Freien Deutschen Jugend (FDJ), der einstigen "Kampfreserve der Partei". Als hätte jemand eine Wiederholtaste gedrückt, intonieren sie ein ums andere Mal "Auf, auf zum Kampf". Denn zu dem sind sie noch immer "bereit". Schließlich haben sie es dem Karl Liebknecht "geschworen" und der Rosa Luxemburg "die Hand gereicht". Und nein, sie "fürchten nicht, ja nicht, die Grüne Polizei!" Das brauchen sie auch nicht, denn die ist zahlreich vor Ort, um die Gedenkveranstaltung abzusichern - etwa, als früh um halb zehn die Führungsriege der Linkspartei anrückt, um ihr "stilles Gedenken" abzuschreiten. Bis auf Oskar Lafontaine, der angeblich eine Grippe auskuriert, und Uli Maurer, der für den Westaufbau der Partei zuständig ist, sind fast alle gekommen: Gregor Gysi, Lothar Bisky, Petra Pau, Harald Wolf, Dietmar Bartsch oder Sahra Wagenknecht. Eher unbeholfen, wie der eines Schülers wirkt der Auftritt von Klaus Lederer, dem Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus. Anmarschiert ist auch der ehemalige "Tatort"-Kommissar und Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, Peter Sodann. Nicht nur in jener Rolle, auch hier scheint er im falschen Film zu sein.

Während er gern den "Herrn Ackermann von der Deutschen Bank" verhaften würde, kümmert sich die FDJ um die Gefahr von Noskes Truppen. Denn die scheinen wieder im Anmarsch. Auf einem Flugblatt ist zu lesen, daß die Bundeswehr dabei sei, "Freikorps" aufzustellen. Hintergrund sei die von der Bundeswehr im März 2008 erlassene "Leitlinie für die Zusammenarbeit mit regionalen Initiativen von Reservisten und Reservistinnen", die sogenannte "Kompetenzzüge" bilden sollen.

Eine ganz andere Kompetenz beansprucht zwei Stände weiter die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. Hinter dem wohlklingenden Namen verbirgt sich eine alte Funktionärskaste, die der DDR nachtrauert und sich um die Interessen ehemaliger Stasi- und SED-Kader kümmert. Nebenan stehen die Genossen der Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR. Sie versuchen die Rentenkassen des Rechtsstaats zu plündern. Irgendwann läuft auch Egon Krenz vorbei, was kein Wunder ist: Denn hier ist das alljährliche Stelldichein der Untoten.

Als entspringe er einem Englisch-Lehrbuch aus der DDR, steht ein freundlich lächelnder Mann zwischen den vorbeiziehenden Leuten und hält als Bauchladen den Morning Star, die sozialistische Tageszeitung Großbritanniens. Ein Mädchen hingegen versucht es mit dem Spartakist, während zwei andere Streiter Extra-Blätter mit dem Titel Weltrevolution feilbieten. Doch die "Basis der Massen" ist nirgends auszumachen. Der Gedenkmarsch mit seinen 7.800 Teilnehmern befindet sich noch auf der Frankfurter Allee, die in ihren monströsen Ausmaßen Sinnbild der Brutalität ist. Einstmals kam über diese Strecke die Rote Armee in die Stadt, später war sie Aufmarschplatz für Militärparaden. Am Ende des Demonstrationszuges, in den sich neben "Antifaschisten" auch einige palästinensische Gruppen eingereiht haben, um gegen Israel zu protestieren, spielt eine Combo auf einem Lastwagen. Das Lied changiert zwischen Reggae und Rock, der Gesang ruft wieder mal "Auf, auf zum Kampf". Die Abkündigung der Singegruppe hat Seltenheitswert: "Das waren die Rolling Stones mit Karl und Rosa."

Foto: Sogenannte "Antifaschisten" im Demonstrationszug: "Früher mußte ich, heute will ich. So ändern sich die Zeiten"

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