© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/09 02. Januar 2009

Gegen eine Geschichte im Geist der politischen Botschaft
Der polnische Historiker Robert Traba über verordnete Geschichtsbilder und das Bestreben nach einer gleichgeschalteten europäischen Erinnerungspolitik
Ekkehard Schultz

In den letzten Jahren mehren sich die Bestrebungen, in der Europäischen Union die mannigfaltigen Erinnerungskulturen zu vereinheitlichen. So dient zum Beispiel das gemeinsame deutsch-französische Geschichtsbuch in erster Linie politischen Zwecken: Es soll einen Beitrag dazu leisten, „daß sich die Vermittlung, Wahrnehmung und Deutung der Vergangenheit aus Sicht der jungen Deutschen und Franzosen im zusammenwachsenden Europa annähert“, so die Vereinbarung von 2003. Gleichzeitig wird eine einheitliche Gesetzgebung angestrebt, um die Leugnung von bestimmten historischen Ereignissen unter Strafe zu stellen.

Der Versuch der Politik, per Gesetz historische Wahrheiten vorzuschreiben, stößt inzwischen aber bei immer mehr Historikern auf Widerstand. So initiierten 2008 renommierte französische Historiker wie Etienne François den „Appell von Blois“ (JF 45/08). Auch der polnische Regionalhistoriker Robert Traba berief sich bei seiner Antrittsvorlesung an der Freien Universität (FU) in Berlin, die er am vergangenen Dienstag im Goethe-Saal des Harnack-Hauses hielt, auf diesen Appell. Bereits seit zwei Jahren ist Traba, der als Vorsitzender der Kulturgemeinschaft „Borussia“ im ostpreußischen Allenstein und als Redakteur der gleichnamigen Zeitschrift regelmäßig das gemeinsame preußisch-polnische Erbe thematisiert, am Friedrich-Meinecke-Institut sowie am Osteuropa-Institut der FU als Honorar-Professor tätig.

Als Titel seines Referats hatte Traba „Die andere Seite der Erinnerung“ gewählt. Er ist dem Film „Auf der anderen Seite des Lebens“ des deutsch-türkischen Regisseurs Fatih Akin entlehnt, der den Versuch mehrerer Personen behandelt, ihren unterschiedlichen Blick auf historische Ereignisse zu verstehen. Dabei zeige sich, daß diese wechselseitige Reflexion keineswegs auf eine Vereinheitlichung unterschiedlicher Geschichtsbilder hinauslaufen müsse. Es lohne sich, diesen Grundsatz ebenso bei der Betrachtung der Geschichte des mittel- und osteuropäischen Raumes anzuwenden, so Traba. Denn bereits die Wahl von einzelnen Begriffen weise auf stark differierende historische Erfahrungen hin.

Das Recht auf eigene Erinnerung akzeptieren

Als Beispiel führte Traba die Geschichte der Vertreibung der Deutschen aus Mittel- und Osteuropa an. Während in Deutschland dafür die Bezeichnung „Vertreibung“ gebraucht werde, sei in Polen der Begriff „Ausweisung“ und in Tschechien die Vokabel „Abschub“ üblich. Alle Worte umschrieben das gleiche historische Ereignis, wenngleich sich in ihnen bereits eine unterschiedliche Sichtweise auf den Vorgang spiegele. Wenn man sich darum bemühe, neben der eigenen Perspektive auch die der anderen Erinnerung zu reflektieren, sei bereits die Grundlage zur Verständigung vorhanden. Diese Verständigung sei jedoch bedroht, sobald der anderen Seite „das Recht auf eigene Erinnerung“ abgesprochen wird.

So sei bereits die nationale Perspektive oft problematisch, da sie verkenne, daß es auch innerhalb eines Staats oft sehr unterschiedliche historische Erinnerungen gebe, so Traba. Leider werde in vielen Ländern – darunter auch im heutigen Polen – Geschichte in erster Linie als Mittel zur Identitätsstiftung verwendet. Eine einseitige Betrachtung von historischen Abläufen aus dieser Perspektive habe aber zwangsläufig zur Folge, daß alle Erinnerungen ausgegrenzt werden, die dieser Funktion nicht dienen bzw. nicht zu dienen scheinen. Dann werde jeder, der eine abweichende historische Perspektive einnehme, schnell entweder einer „antipatriotischen“ oder einer „nationalistischen“ Haltung verdächtigt.

Traba warnte davor, eine westeuropäische Geschichtsbetrachtung für ganz Europa zum Standard zu erklären. Was dank der langjährigen engen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland vielleicht noch bei der Erstellung eines deutsch-französischen Geschichtsbuchs funktionieren könnte, werde spätestens bei der Erstellung des ersten gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuches schnell an Grenzen stoßen. Der bessere Weg sei, die unterschiedlichen Erinnerungen an historische Ereignisse zu akzeptieren. Mit dem endgültigen „Ende der Zeitzeugen“, die noch persönlich über wesentliche Schlüsselereignisse des 20. Jahrhundert berichten konnten, wachse jedoch die Gefahr, daß sich die Politik der Geschichte immer stärker bemächtige. Der unabhängige Historiker müsse in dieser Situation gegen die Versuche Widerstand leisten, ihn ausschließlich auf eine Vermittlerrolle von „Geschichte im Geiste einer politischen Botschaft“ festzulegen. Freie historische Forschung und kollektivistische Geschichtsinterpretationen sind unvereinbar, so Traba.

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