© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/09 02. Januar 2009

Eine erschreckende Bilanz
50 Jahre Revolution auf Kuba: Das Volk murrt heute schon lauter, wartet aber noch ab und hofft auf Veränderungen
Paul Leonhard

Fidel Castro schwingt eine russische Maschinenpistole, während sein Bruder Raúl verkniffen auf die Menschen herunterschaut. Auf Plakaten sind die greisen Revolutionsführer in diesen Tagen allgegenwärtig. Kuba bereitet sich auf den 50. Jahrestag des Sieges der Revolution vor. Insbesondere die „Heldenstadt“ Santiago de Cuba wird auf Hochglanz gewienert. „Del Moncada al 50 Aniversario del Triunfo de la Revolucion“, steht auf vielen Plakaten. Sie erinnern an den Sturm auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli 1953, mit dem Fidel Castro vergeblich versuchte, einen Massenaufstand auszulösen. In der kubanischen Zeitrechnung kennzeichnet dieses Datum den Beginn der Revolution, die in der Neujahrsnacht 1959 mit der Flucht des Diktators Fulgencio Batistas siegte.

Ein halbes Jahrhundert hat Fidel Castro Kuba seinen Stempel aufgedrückt und dafür gesorgt, daß die kleine Tropeninsel mit ihren elf Millionen Einwohnern bis heute die Weltöffentlichkeit beschäftigt. Ein Paradies wollte Castro errichten, geschaffen hat er für viele eine Hölle: einen totalitären Überwachungsstaat, in dem der Einzelne keinerlei Rechte und kein Eigentum besitzt.

Die Janusköpfigkeit der neuen Gesetze schreckt die Kubaner

Daß die Jugend längst ihr Leben in die eigenen Hände nehmen will, daß die sozialen Errungenschaften mangels Finanzen und Personal immer mehr ausgehöhlt werden und sein Land von einer Krise in die nächste taumelt, schert den 82jährigen wenig. Er träumt lieber gemeinsam mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez von einer sozialistischen Union lateinamerikanischer Länder und achtet penibel darauf, daß sein Bruder und Nachfolger Raúl mit den Reformen nicht zu weit geht.

Daß aus der nationalen „olivgrünen“ Revolution eine „rote“ Diktatur wurde, liegt im Konfrontationskurs begründet, den die USA seit 1959 betrieben. Vielleicht wäre Fidel Castro sonst nur ein populistischer Diktator geworden und hätte lediglich eine Agrarreform umgesetzt, die bereits in der Verfassung von 1940 vorgesehen war. In einem anderen Land hätten die US-Konzerne gewiß die durchaus angemessenen Entschädigungen akzeptiert, die ihnen für die Verstaatlichung ihres Besitzes geboten wurden. Aber Kuba galt als halbkoloniales Anhängsel. So trieben die von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen den selbstbewußten Macho Castro zu einem Zweckbündnis mit der Sowjet­union.

Fünf Jahrzehnte lang erwies sich der Comandante en Jefe als gewiefter Taktiker, der aus jeder Situation intuitiv das Optimale für seine Machtansprüche herausholte und selbst den Papst für seine Zwecke manipulierte. Sein letzter Sieg war die reibungslose Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen Bruder Raúl. Damit dürfte die Endstufe des sozialistischen Experiments erreicht sein. Der Spielraum des neuen Regierungschef ist gering. Und er wäre noch kleiner, wenn Venezuela nicht die kubanische Wirtschaft mit Erdöllieferungen vor dem Zusammenbruch bewahren würde. Diese könnten aber schnell ausbleiben, wenn Kuba vom sozialistischen Kurs abweicht oder Fidel Castro nicht mehr im Hintergrund die Fäden zieht.

Seit August 2006 versucht der neue Staatschef das Land vorsichtig auf einen neuen Kurs zu manövrieren. Er will die Wirtschaft stabilisieren, ohne daß die Betonköpfe putschen. Und es gibt viele unbekannte Faktoren wie die neue US-Regierung und deren Umgang mit dem seit 1960 bestehenden Wirtschaftsembargo oder mögliche Ölfunde innerhalb der kubanischen Hoheitsgewässer.

Das Vertrauen der Kubaner hat der ehemalige Armeechef bereits verspielt. Statt der Anfang des Jahres versprochenen Verbesserung der Lebenssituation stiegen die Preise für Lebensmittel und Energie drastisch an. Am deutlichsten zeigt sich die Janusköpfigkeit der neuen Gesetze bei der Agrarreform. Landarbeiter sollen das Land künftig auf eigene Rechnung bewirtschaften, allerdings ohne Eigentümer des Bodens zu werden. Sie dürfen ihn lediglich zehn Jahre mit einer Option für weitere zehn Jahre nutzen. Der Staat behält sich überdies vor, vorzuschreiben, was angebaut und zu welchem Preis die Ernte verkauft wird. Das schreckt viele potentielle Bewerber ab. Die Geschichte lehrt zumal, daß das Regime stets bei Versorgungsengpässen die Zügel lockerte und auf private Initiativen setzte, die wieder unterdrückt wurden, sobald sich die Situation etwas entspannt hatte. Dabei könnte die permanente Versorgungskrise dauerhaft behoben werden, wenn privaten Landwirten größere Spielräume eingeräumt und sie günstige Kredite für den Erwerb von Technik erhalten würden. Die in Kuba aktive Deutsche Welthungerhilfe hat mit ihren Projekten gezeigt, wie mit Fruchtfolgen und Bewässerungssystemen die Ernten verbessert werden können.

Die Idee vom neuen Menschen ist gründlich gescheitert

Der grundlegende Wandel der kubanischen Gesellschaft setzte in den neunziger Jahren an. Lebten die Kubaner bis dahin verglichen mit anderen lateinamerikanischen Ländern dank der sowjetischen Hilfsleistungen in relativem Wohlstand, wurden sie nach dem Zusammenbruch des Ostblocks plötzlich mit der Realität konfrontiert. Lebensmittel und Treibstoffe mußten streng rationiert werden. Um die „Sonderperiode in Friedenszeiten“ zu meistern, wurden private Kleinbetriebe und freie Bauernmärkte zugelassen, Joint Ventures mit kanadischen und spanischen Unternehmen geschlossen, der Dollar-Besitz legalisiert und der Tourismus angekurbelt. All das erwies sich als schleichendes Gift, das die Revolution zersetzen sollte. Denn seitdem befindet sich ein Großteil der Kubaner auf der Jagd nach dem Dollar, der das Leben erleichtern und bunt machen konnte. Die sozialistische Idee vom neuen Menschen, dem Ideale wichtiger sind als materielle Anreize, ist gründlich gescheitert.

Mit den zwei parallelen Währungen – der Dollar ist inzwischen durch den „konvertiblen Peso“ ersetzt – entstand eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Während ein kleinerer Teil der Kubaner sich seine Wünsche nach Autos, Mobiltelefonen, Computern und in europäischem Standard eingerichteten Wohnungen erfüllen kann, lebt die Mehrheit von umgerechnet zwanzig Dollar Monatslohn auf beengtem Raum in vom Einsturz bedrohten Gebäuden. Weil sich auf der Straße schneller Geld verdienen läßt als mit ehrlicher Arbeit, gehen viele illegalen Geschäften nach.

Die neue Regierung reagiert darauf mit drastischen Strafen. Aktionen des Innenministeriums gegen Straßenhändler, illegale Werkstätten und Fabriken sorgten in den vergangenen Wochen für Aufregung. Mehrere hohe Funktionäre wurden wegen Korruption verurteilt. Auch dem ausgeprägten Schlendrian wurde der Kampf angesagt. Betriebsleiter sollen faule Arbeiter entlassen können, leistungsbezogene Löhne eingeführt werden. Prämien werden teilweise in Devisen gezahlt. Andererseits ist ein Gesetz in Vorbereitung, nach dem Arbeiter künftig einen Sozialversicherungsbeitrag zahlen sollen.

Allerdings hat die Regierung bei der Umgestaltung des Systems zu beachten, daß große Teile der Bevölkerung auf die staatlich subventionierten Leistungen angewiesen sind. Ein Abschaffung der Lebensmittelkarten würde vor allem die Alten und Kranken treffen, eine wachsende Bevölkerungsgruppe. Unruhen wären vorprogrammiert. Zwar murrt das Volk schon heute lauter, aber noch wartet es ab und hofft auf Veränderungen von oben.

Die medizinische Versorgung ist nicht mehr gewährleistet

Den Ankündigungen Castros, die Lebensmittelkarten abzuschaffen und den nationalen Peso aufzuwerten, sind keine Taten gefolgt. Es fehlen die dafür nötigen Devisenreserven. Um diese zu erhalten, sollen der Tourismus angekurbelt und neue Investoren gewonnen werden.

Zögen die Gebrüder Castro am 1. Januar anläßlich ihrer 50jährigen Herrschaft nun eine Bilanz, müßte diese erschreckend ausfallen. Kaum eines der einstigen revolutionären Ziele ist verwirklicht. Der Lebensstandard ist gesunken. Mehr als eine Viertelmillion meist junger Kubaner hat seit dem Jahr 2000 das Land verlassen. Obwohl die Revolutionäre die Privatstrände abschaffen wollten, gibt es heute kaum noch schöne Strände, die Kubaner nutzen dürfen. Das Wohnungsproblem ist ungelöst, der Rassismus nicht beseitigt.

Geblieben sind das kostenlose Bildungs- und Gesundheitssystem. Aber viele Medikamente gibt es nur in Devisen-Apotheken, und vielerorts ist die medizinische Versorgung nicht mehr gewährleistet, da die Ärzte im Auslandseinsatz sind. Noch schlimmer sieht es auf dem Bildungssektor aus. Mangels ausgebildeter Lehrer werden Schulklassen zunehmend mit Hilfe des Bildungsfernsehens unterrichtet.

José, ein 85jähriger Handwerker aus Santiago de Cuba, hat seine Bilanz bereits gezogen: „Vor fünfzig Jahren haben wir unsere Freiheit und unseren Wohlstand verloren.“ Er kramt aus seiner Brieftasche einen Drei-Peso-Schein mit dem Antlitz von Ernesto Che Guevara hervor. „Was kann ich mir dafür kaufen? Nichts.“ Vor der Revolution sei der Peso etwas wert gewesen, und deshalb habe man auch keine Lebensmittelkarten benötigt.

Foto: Malerei mit Fidel Castro und dem 1959 bei einem Flugzeugabsturz umgekommenen Comandante Camilo Cienfuegos: „CDR“ ist ein Hinweis, daß hier das „Komitee zur Verteidigung der Revolution“ wacht

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