© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/08-01/09 19./26. Dezember 2008

Jahresrückschau: Krise, Krise, Krise - das ist die Devise
"Wo waren die Soldaten?"
Frank Liebermann

Kerner ist Resterampe, Jauch das KaDeWe", titelte die Welt im Dezember 2007. So überschrieb sie ihre Bewertung der Jahresrückblicke bei ZDF und RTL, die damals noch zeitlich auseinanderlagen. Dieses Jahr war alles anders. Kerner und Jauch liefen zeitgleich, und Jauch siegte für RTL. Ein Sieg der TV-Unterhaltung? Nein, meint Bild Kolumnist Georg Gafron: "Wo waren die Soldaten? Die großen TV-Sender haben eine Chance verpaßt!" Gefallen, verwundet oder fern der Heimat: "Schade", so Gafron, "daß keiner von ihnen bei den großen Jahresrückblicken zu sehen war."

Ja, wo? Wo war dann auch der CDU-Politiker Peter Krause, der einer "Kampf gegen Rechts"-Kampagne zum Opfer fiel und nicht Kultusminister in Thüringen werden durfte? Wo die um ihre Reputation kämpfende Eva Herman? Nicht im TV-Studio jedenfalls.

Statt dessen überall: "Krise, Krise, Krise - das ist die Devise" ("Switch reloaded"). 2008 war das Jahr der Krisen und Katastrophen. Doch eins nach dem anderen. So machte sich Andrea Ypsilanti auf, Roland Koch von der Bürde des Ministerpräsidentenamtes zu erlösen. Kein Problem. Die Hessen sind einiges gewohnt. 1982 wollte der ehemalige Ministerpräsident Holger Börner den Grünen im Jahr noch "mit der Dachlatte eines in die Fresse hauen". Ein wenig später ließ er sich von ebendiesen zum Ministerpräsidenten wählen und zimmerte die erste rot-grüne Koalition. Ähnliches mag sich die Hobbyhistorikerin Ypsilanti gedacht haben. Schließlich war Börners Wortbruch damals schnell vergessen. Hip, wie die SPD nun mal halt ist, änderte die Ex-Stewardeß die politische Linie und versuchte ein rot-dunkelrot-grünes Bündnis zu zimmern. Der Rest ist Geschichte.

Und so wie Ypsilanti zur Heide Simonis von Hessen mutierte, mutierten die Deutschen zu einem Volk von Rauch-Feinden. Bis vor kurzem galt es noch als unschicklich, Drogenabhängige zu diffamieren. Säufer, Junkies, Spieler hielt man nicht für charakterschwach, sondern für kranke Menschen, die unserer Solidarität und Toleranz bedürfen. Für eine Gruppe Abhängiger gilt das nicht mehr: die Raucher. Seitdem im Januar das Rauchverbot für öffentliche Räume und Gaststätten in Kraft trat, sind Raucher so sexy wie Roland Koch. Inzwischen wurde das Gesetz - weil schlampig ausgearbeitet - teils kassiert. Und so gibt es schon wieder Raucherkneipen und -clubs. Mal sehen, wie es weitergeht. Vielleicht gibt es ja auch bald Raucherschulen und -krankenhäuser.

Überhaupt. Was ist der Unterschied zwischen Kommunismus und Kapitalismus? Antwort: Der Kommunismus ruiniert zuerst den Staat und ruft dann nach der Wirtschaft, während der Kapitalismus die Wirtschaft ruiniert und dann nach dem Staat schreit. Die Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die reale Wirtschaft machen vielen Angst - mehr als die anderen Krisen in den Jahren zuvor. Denn die Internetblase fand niemand wirklich schlimm. Schließlich verdienten diejenigen den Ruin, die allen Ernstes glaubten, eine Firma, die über das Internet Katzenfutter verkauft, könne mehr wert sein als der Weltkonzern Daimler-Benz. Heute sieht es anders aus. Landesbanken und Versicherungskonzerne, einst der Inbegriff der Seriosität, vernichteten die Einlagen von manch gutgläubigem Bürger.

Und was tut die Politik? Sie fordert die Bürger auf, den Banken Vertrauen entgegenzubringen, obwohl diese sich untereinander schon lange keinen Kredit mehr geben. Trotz des staatlich verordneten Optimismus entwickeln die Bürger erste "Worst-Case"-Szenarien: So wundert es niemanden mehr, wenn er in einem Wohnwagen hausen muß, der von einem russischen Oligarchen geleast ist, die Lebensmittel nur noch von Aldi kommen und der Job als Zahnarzttester nur einen Euro pro Stunde und Hartz IV einbringt.

Katastrophal auch das Fußballjahr 2008. Ein Satiremagazin witzelte über die Fußball-EM, daß Deutschland nach 1918, 1945 auch 2008 wieder nur Zweiter geworden sei. Unterhaltsam war bei der Euro vor allem anderes. In den Tagesthemen waren ständig falsche Flaggen eingeblendet, und die Schweizer Fernsehmacher ließen den Verfassungsschutz aufhorchen: Die deutsche Nationalhymne war mit "Deutschland, Deutschland über alles ..." untertitelt!

Im November war es dann soweit. Der neue Messias trat auf die Bühne. Barack Obama wurde vom US-Volk zum Präsidenten gewählt: ausgerechnet jenem Volk, dem der Ruf anhaftet, religiös verblendet, reaktionär, einfältig und schwer übergewichtig zu sein. Selbst in Deutschland siegte Obama an allen Fronten und schaffte es so in Jauchs Jahresschau. Nicht ganz. Besser. Als erster Politiker schaffte er es auf ein Poster in der Bravo.

Foto: Pro7 "Switch Reloaded Jahresrückblick": Der etwas andere Mix aus Menschen, Bildern und Emotionen

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