© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/08-01/09 19./26. Dezember 2008

Gegen das Prinzip Schablone
Barbara Koehns gegenstrebige Ermittlungen zum Mitglied des 20.-Juli-Widerstandkreises Carl-Heinrich von Stülpnagel
Oliver Busch

Einer ganzen Generation bundesdeutscher Zeithistoriker diente der General Carl-Heinrich von Stülpnagel (1886-1944) als Zielscheibe - wenn es nämlich darum ging, den militärischen Widerstand gegen das NS-Regime moralisch zu diskreditieren. Seit nunmehr dreißig Jahren, seit Erscheinen von Christian Streits Heidelberger Dissertation über das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener im Gewahrsam der Wehrmacht ("Keine Kameraden", 1978), bemühen sich geschichtspolitisch ambitionierte Ankläger der Hitler-Opposition im grauen Rock, bis hinab zu dem unvermeidlichen Guido Knopp, mit immer denselben Zitatfetzen aus Stülpnagel-Befehlen vom Sommer 1941 darum, die "tiefe Verstrickung" der Fronde vom "20. Juli" in die "NS-Vernichtungspolitik" nachzuweisen, die aus weltanschaulicher, nämlich "antisemitischer", "antirassistischer" Übereinstimmung wie mindestens temporärer (großmacht-)politischer Interessensidentität herrühre. Auf Stülpnagel hatte man sich also schon lange eingeschossen, bevor das Standgericht der Christian Gerlach & Genossen zur Aburteilung des Kreises um Henning von Tresckow in der Heeresgruppe Mitte zusammentrat.

Daß die Causa Stülpnagel hingegen zur Wiederaufnahme kommen würde, war bei der Evidenz der eingeschliffenen, vermeintlich gut dokumentierten "Belastung" kaum mehr zu erwarten. Die Initiative ging dafür denn auch wieder einmal von außen aus. In doppeltem Sinne: von einer deutschen Professorin, die in Paris lebt, und von einer nicht zur zeithistorischen Zunft rechnenden, inzwischen emeritierten Romanistin. Barbara Koehn, die sich 2007 bereits an einer Gesamtdarstellung des "Widerstands" zwischen 1933 und 1945 versucht hat (JF 46/07), nennt ihre quellenkritische Stülpnagel-Studie folglich im Untertitel sans phrase "Eine Verteidigung".

Was sie dafür zusammenträgt, stellt schon den handwerklichen Fähigkeiten deutscher Zeithistoriker kein gutes Zeugnis aus. Denn bei ihnen triumphiert das "Prinzip Schablone". Der historische Kontext, in dem ein Text entsteht und auf den er antwortet, wird dabei regelmäßig ersetzt durch ein aktualisierendes Konstrukt vergangener Wirklichkeit. Daher stimmt oft nicht einmal die Einordnung des Textes in die Chronologie der Ereignisse, wie Koehn mit der Akribie der gelernten Philologin mühelos nachweist.

Daß der größere Zusammenhang bei Streit, Gerlach und dem jüngst über die "Herrschaft der Wehrmacht" im Osten habilitierten Dieter Pohl (JF 26/08) unbeachtet bleibt, liegt auch an unbequemen Tatsachen, die man besser nicht anspricht, will man akademisch Karriere machen. Bei ihnen würde man niemals "Betrachtungen über die Rolle sowjetisierter Juden im Bolschewismus" finden, wie sie Koehn hier anbietet und wie sie zum Verständnis etwa der meistzitierten von Stülpnagels Formulierungen ("Vermehrter Kampf gegen den Bolschewismus und das vor allem in seinem Sinne wirkende internationale Judentum") so unabdingbar wie hierzulande tabuisiert sind.

Unbeeindruckt durch den ideologischen Komment sondiert Koehn auch auf einem anderen volkspädagogischen Tummelplatz: der deutschen Besatzungsherrschaft in Frankreich und der Rolle des Militärbefehlshabers Stülpnagel bei der Deportation von Juden seit 1942. Für Manfred Messerschmidt, Ulrich Herbert und den Apologeten "der Politik der illegalen Kommunistischen Partei Frankreichs", Ahlrich Meyer, steht natürlich außer Frage, daß Stülpnagel nichts gegen die Transporte französischer Juden in die osteuropäischen Lager unternahm, weil er eben "entschiedener Antisemit" gewesen sei. Koehns Überprüfung der blamablen Interpretationskünste solcher "Fachleute" führt zu einem Resultat, das von Vorwürfen gegen den deutschen Militärbefehlshaber nichts zurückläßt.

Auf die Rezensionen in der Historischen Zeitschrift wie in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaften darf man gespannt sein. Sie werden allerdings so wenig überraschen wie die Tatsache, daß Koehns nonkonforme Studie kaum eine Chance hat, an prominenter Stelle in der Zeit oder der Süddeutschen Zeitung Beachtung zu finden.

Barbara Koehn: Carl-Heinrich von Stülpnagel. Offizier und Widerstandskämpfer. Eine Verteidigung, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2008, 150 Seiten, 28 Euro

Foto: General Carl-Heinrich von Stülpnagel: Ideale Zielscheibe

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