© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/08-01/09 19./26. Dezember 2008

"Überall wird Weihnachten besser gefeiert"
Eine Reise nach Bethlehem im Advent: Die Stadt, in der Jesus geboren wurde, gleicht einem großen Gefängnis
Johannes Zang

Den israelischen Kontrollpunkt Rahelsgrab vor Bethlehem hat man durchschritten. Nun steht man vor der acht Meter hohen Mauer. Nach einem Metalldrehkreuz durchschreitet der Besucher eine Öffnung in der Mauer. Dann läuft er an dieser entlang - durch einen Zaun von den Menschen getrennt, die in Richtung Jerusalem unterwegs sind. Dort, wo die Mauer aus der einst stark befahrenen Straße zwischen Jerusalem und Hebron eine Sackgasse gemacht hat, wartet eine Heerschar von Taxifahrern auf die Touristen. Einige werben lautstark um Kunden. Nach kurzem Wortwechsel sitzt man schon in einem der knallgelben Taxis mit grünem palästinensischen Kennzeichen. Der Taxifahrer stellt sich als Suleiman vor. Während der Fahrt in Richtung Innenstadt deutet er auf die vielen verriegelten Geschäfte.

Manch ein Bethlehemit ist in den letzten Jahren ausgewandert, andere haben ihr Geschäft wegen der Mauer an anderer Stelle neu eröffnet. Vorbei geht es an einem geschlossenen Obstgeschäft. Auch die danebenliegende Diskothek Memories hat zugemacht. "Das Leben hier ist sehr schwer", beginnt Suleiman das Gespräch. "Hier ist die heilige Stadt, in der Jesus geboren wurde. Sie ist ein großes Gefängnis. Es gibt kein Leben." Der Vater von sieben Kindern, selbst gläubiger Muslim, erzählt dann die Geschichte seiner Familie. Sein Großvater hatte ein Stück Land bei Bethlehem. Die Israelis haben es beschlagnahmt und darauf eine jüdische Siedlung namens El-David gebaut.

"Wäre ich im Besitz dieses Grundstücks, würde ich jetzt nicht Taxi fahren", versichert Suleiman und fragt gleich, ob er den Fremden zum Tee nach Hause einladen dürfe. Der Reporter bedankt sich, verweist auf die weiteren Gesprächstermine, erfährt jedoch vor dem Aussteigen noch dies: daß Suleiman im Schnitt höchstens vier Euro am Tag verdient. Und das bei Lebenshaltungskosten wie in Deutschland. Kein Wunder, daß seine Söhne schlecht gelaunt sind und ihn ständig mit Fragen löchern: "Wenn ich mit dem Studium fertig bin, wo soll ich denn Arbeit finden, in welchem Land?" Das quält den Endvierziger. Genau wie der angeblich schlechte Ruf der Palästinenser. Immer wieder bemerkt Suleiman im Gespräch mit Touristen, "daß sie sich vor mir fürchten. Das Leben wird schwierig, wenn die anderen Menschen dich als Terroristen betrachten."

Schon ist der Krippenplatz erreicht. Nach dem Bezahlen wird mit Suleiman noch ein Zeitpunkt für die Rückfahrt ausgemacht. Man ist froh, nach derart geballter politischer Kost für einige Minuten verschnaufen zu können. Pilgergruppen bewegen sich in Richtung Geburtsbasilika, Schulkinder in ihren Uniformen rennen über den Krippenplatz, Bettler steuern direkt auf die Ausländer zu und halten die Hand auf.

Bethlehem - die Stadt mit dem klangvollen Namen ist eine sehr hügelige palästinensische Kleinstadt mit gut 30.000 Einwohnern. Ein Drittel der Bevölkerung gehört christlichen Kirchen an, zwei Drittel sind Muslime. Das war nicht immer so. Bei der Staatsgründung Israels 1948 stellten die Christen etwa 90 Prozent der Stadtbevölkerung. Infolge des ersten israelisch-arabischen Krieges von 1948/49 flohen viele muslimische Palästinenser von der Mittelmeerküste oder der Gegend um Jerusalem nach Bethlehem. Das, die höhere Geburtenrate muslimischer Frauen und die stärkere Auswanderung christlicher Familien haben mittlerweile die Bevölkerungszusammensetzung umgekehrt.

Vorbei an der Hauptmoschee Bethlehems geht es durch eine schmale Gasse eine Treppe hinauf. Rechter Hand liegt die syrisch-orthodoxe Kirche, der Überlieferung nach am Ort der Herberge errichtet, die Maria und Josef in jener heiligen Nacht abwies. Jetzt wird die Gasse noch enger. Autos können hier nicht mehr fahren. Links und rechts finden sich Schmuckgeschäfte, Boutiquen und Tante-Emma-Läden, wie es sie in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr gibt.

Da! Zwischen all den Geschäften liegt eine Thymianmühle. Hier wird Thymian mit Sesam und anderen Gewürzen zur palästinensischen Gewürzmischung Za'atar gemischt, Grundbestandteil jedes Frühstücks. Das noch warme Fladenbrot wird dabei erst in Olivenöl und dann ins Za'atar getaucht.

George Handal, der Besitzer, hält mit seinem Weihnachtswunsch nicht hinterm Berg. Der Vater dreier Kinder wünscht sich, daß "es Gerechtigkeit gibt, jeder Mensch Arbeit, Einkommen und ein Leben hat, und zwar in Unabhängigkeit. Ich wünsche mir, daß wir und die Israelis zusammenleben und es gute Beziehungen gibt." Nur noch wenige Meter sind es bis zur lutherischen Kirche. Hierher verirrt sich selten ein Tourist, vor allem Jugendliche und Kinder schauen dem ausländischen Besucher lange nach, grüßen ihn mit "Hello" oder "What's your name?"

Da ist der spitze Kirchturm der lutherischen Weihnachtskirche schon zu sehen. Deren Pfarrer Mitri Raheb ist gleichzeitig Direktor des benachbarten Internationalen Begegnungszentrums. Auf denkbar kleiner Fläche hat hier der finnische Stararchitekt Juha Leiviskä einen einzigartigen Bau geschaffen: schlank und prächtig, weit und gemütlich. Die drei einzigen Bäume auf dem Gelände konnte er ins Bauwerk integrieren. Kein Wunder, daß anläßlich der Eröffnung die israelische Zeitung Ha'aretz schrieb: "Ein Stern geht auf."

Pfarrer Raheb wartet schon auf den Gast. In diesem Jahr wurde ihm zusammen mit der israelischen Frauenorganisation Checkpoint Watch und dem deutschen Friedensaktivisten Andreas Buro der Aachener Friedenspreis verliehen. Seine Heimatstadt umschreibt der Preisträger so: "Wenn man sich heute eine Karte des West-Jordanlandes anschaut, dann sieht das fast so aus wie Emmentaler Käse. Israel bekommt den Käse, das Land, und die Palästinenser werden in die Löcher verdrängt. Bethlehem ist praktisch so ein Loch. Es ist von drei Seiten umgeben von dieser acht Meter hohen Betonmauer. 18 Siedlungen umgeben die Stadt wie ein Krebsgeschwür, so daß Bethlehem überhaupt nicht mehr wachsen kann, das heißt, Bethlehem ist zum Tode verurteilt."

Trotzdem tut der Pfarrer etwas gegen die Hoffnungslosigkeit, hat neben dem Begegnungszentrum weitere Institutionen und damit Arbeitsplätze geschaffen und plant gerade eine Einrichtung ähnlich der Bundeszentrale für Politische Bildung. "Auch wenn ich wüßte, daß die Welt morgen untergeht, würde ich heute einen Olivenbaum pflanzen", sagt der Mittvierziger mit einem Lächeln. Hat er angesichts der beklemmenden Lage Wünsche an die Kirchen? Wieder nimmt der Palästinenser kein Blatt vor den Mund: "Als ich in einem Interview gefragt wurde: Was erwartest du von der evangelischen Kirche?, da habe ich gesagt: Nichts. Ich weiß, unter welchen Ängsten und Zwängen die kirchlichen Würdenträger leben müssen."

Einen Wunsch an die deutsche Politik äußert er dann doch noch: weniger U-Boote für Israel. "Wenn Frau Merkel die deutsche Geschichte so selektiv liest, daß sie nur den Holocaust sieht und als ehemalige DDR-Bürgerin die Mauer übersieht, dann muß man ihr sagen: Frau Merkel, so bitte nicht!" Mit diesen Sätzen wird der Reporter entlassen.

Auf dem Rückweg läßt der Journalist Fahrer Suleiman beim Caritas-Baby-Krankenhaus anhalten, um Chefärztin Hiam Marzouqa zu sehen. Die Bethlehemitin wünscht sich, daß ihre Stadt ihre frühere Ausstrahlung zurückgewinnt. "Als Kind", erklärt sie, "war man wirklich stolz darauf, daß man in Bethlehem geboren war und daß wir Weihnachten voller Freude erlebt haben. Aber momentan fühlt man nicht, daß es Weihnachten ist. Ich habe das Gefühl, überall wird Weihnachten viel besser gefeiert als an dem Ort, wo Jesus geboren ist. Ich wünsche mir, daß wir uns in Zukunft wirklich einmal über Weihnachten freuen können."

Suleiman steuert den Fremden zum Taxistand an der Mauer. Auch er hat noch eine Botschaft auf dem Herzen: "Ich wünsche mir Frieden - für uns, für Israel, überall - und daß es keine Kontrollpunkte und Mauer mehr gibt." Dann fügt er noch hinzu, und ein Hauch von Hoffnung blitzt auf: "Die kleine Mauer in Deutschland ist doch auch gefallen."

 

Stichwort: Mitri Raheb - Luthers Mann in Bethlehem

"Luthers Mann in Bethlehem" lautet der Titel der am Sonntag, den 21. Dezember 2008 (17.30 Uhr, ARD) ausgestrahlten Serie "Gott und die Welt". Sie berichtet über die Arbeit des palästinensischen Christen Mitri Raheb. Als Pfarrer der evangelischen Weihnachtskirche in Bethlehem setzt er sich seit 20 Jahren für ein friedliches Zusamenleben zwischen Palästinensern und Israelis ein und wurde dafür 2008 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.

Fotos: Blick von Jerusalem auf Bethlehem (l.) und den Nachbarort Beit Jala (r.): Umgeben von einer acht Meter hohen Betonmauer; Evangelische Weihnachtskirche: Nur wenige Touristen kommen

Johannes Zang hat insgesamt sieben Jahre in Bethlehem und Jerusalem gelebt und ist Autor des Buches "Unter der Oberfläche - Erlebtes aus Israel und Palästina (AphorismA Verlag, Berlin 2007, 200 Seiten, 15 Euro), welches Anfang 2009 zum dritten Mal aufgelegt wird und dann auch in englischer Sprache erscheinen wird.

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