© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/08 12. Dezember 2008

Härtere Strafen sind möglich
Kriminalität: Selbst vorbestrafte Jugendliche können häufi g mit einem milden Urteil rechnen / Anti-Aggressionstraining statt Gefängnis
Eike Erdel

Immer wieder erregen milde Urteile für kriminelle Jugendliche Aufsehen und Unverständnis (siehe auch den Kommentar auf Seite 2). Obwohl manche jugendliche Täter ein sehr beachtliches Vorstrafenregister aufweisen können, finden sie häufig auch bei weiteren Straftaten milde Richter. So erhielt der mehrfach vorbestrafte 19 Jahre alte Dagim S. Ende November in München nur eine zweijährige Bewährungsstrafe, obwohl er zusammen mit dem gleichaltrigen Max O. und dem 18 Jahre alten Burak B. einen Mann mit Schlägen und Tritten zusammenschlug. Dabei wurden die Gesichtsknochen ihres Opfers so zertrümmert, daß dessen Gesicht entstellt blieb. Er beging wenig später Selbstmord.

Im Mai ging in Köln der 18 Jahre alte Erdinc S., der einen Mann ins Koma prügelte, straffrei aus. Nicht einmal Sozialstunden mußte der junge Straftäter ableisten. Der jugendliche Täter sollte sich lediglich einem Anti-Aggressionstraining unterziehen und in den nächsten zwei Jahren regelmäßig Kontakt mit einem Bewährungshelfer halten. Bisher hat das Anti-Aggressionstraining allerdings noch keine heilsame Wirkung auf die kriminelle Energie des jugendlichen Gewalttäters gezeigt, was im Sommer in Köln ein homosexuelles Männerpaar zu spüren bekam, das er überfallen haben soll.

Dies sind keine Einzelfälle. Die milden Urteile haben ihren Grund in der Konzeption des Jugendstrafrechts, das sich ganz erheblich vom Erwachsenenstrafrecht unterscheidet. Während im Erwachsenenstrafrecht die Sühne der Straftat und die Abschreckung im Vordergrund steht, sollen Straftaten Jugendlicher in erster Linie mit Erziehungsmaßregeln geahndet werden.

Dem liegt die Auffassung zugrunde, daß es sich bei Jugendkriminalität oft um relativ harmlose, vorübergehende Entgleisungen handelt, die fast bei jedem Jugendlichem während der Einordnung in das soziale Leben der Erwachsenen auftreten können. In solchen Fällen soll zwar auch dem jungen Straftäter durch ernsthafte Ermahnung oder leichte Sanktionen deutlich gemacht werden, daß die gesellschaftlichen Regeln auch für ihn verbindlich sind, andererseits geht man aber davon aus, daß eine übermäßige Strafe sich entwicklungsschädigend auswirken könne. Daher sollen straffällig gewordene Jugendliche in erster Linie durch Erziehungsmaßregeln wie Erbringung von Arbeitsleistungen, Betreuung durch einen Betreuungshelfer oder Teilnahme an sozialen Verhaltenskursen zu künftig straffreiem Verhalten erzogen werden.

Reichen nach Ansicht des Jugendrichters Erziehungsmaßregeln nicht aus, dann kann er sogenannte Zuchtmittel anwenden wie Verwarnungen, Auflagen, Bußzahlungen, Erbringung von Arbeitsleistungen oder den Jugendarrest als kurzzeitige Freiheitsentziehung. Nur wenn auch Zuchtmittel nicht ausreichen, weil die Straftat schädliche Neigungen des Jugendlichen offenbart hat, oder bei besonders schwerer Tatschuld wird Jugendstrafe als Haftstrafe von mindestens sechs Monate und maximal zehn Jahre Dauer verhängt.

Die gesetzlichen Regelungen sehen also nicht grundsätzlich nur die häufig kritisierten milden Urteile vor, sondern geben dem Richter durchaus auch die Möglichkeit, Straftäter mit härteren Sanktionen zu belegen. Besonders bei Wiederholungstätern mit einschlägigem Vorstrafenregister kommt eine Haftstrafe in Betracht. Es ist also weniger das System, sondern die verfehlte Praxis einiger Jugendrichter, die zu den zu Recht kritisierten milden Urteilen führen.

Verteidiger der milden Urteile verweisen gerne auf eine tatsächlich statistisch belegte hohe Rückfallquote bei den Inhaftierten. Gegen dieses Argument läßt sich aber anführen, daß Jugendrichter meist nur Schwerverbrecher und Intensivtäter zu Haftstrafen verurteilen und diese Tätergruppen ohnehin stärker zu Rückfällen neigen als andere Kriminelle. Die Haft ist daher nicht unbedingt ursächlich für die Rückfallwahrscheinlichkeit. Daher ist diese Statistik wenig aussagekräftig. Und das Gegenteil, daß nämlich ein frühes entschiedenes Reagieren auf Straftaten jugendlicher Kriminelle diese zukünftig vor der Begehung weiterer Straftaten abschreckt, läßt sich ja bei der gegenwärtigen Praxis nicht belegen.

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