© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/08 28. November 2008

"Inhaftierte nicht vergessen"
Interview II: Ein Gespräch mit dem ehemaligen syrischen Häftling Raymond Souaidan
Matthias Berg

Herr Souaidan, wie kam es zu Ihrer Verhaftung durch die Syrer?

Souaidan: Ich komme aus einer Familie, die schon immer die christliche Sache im Libanon unterstützte. Wie meine Eltern war auch ich Angehöriger der Lebanese Forces, auch während meines Studiums an der libanesischen Militärakademie. Für mich war es immer besonders wichtig, meine christliche und meine nationale Identität zu verteidigen, daher war es für mich nur selbstverständlich, zur damals neugebildeten libanesischen Armee zu gehen. Dort war allerdings bekannt, daß ich ein Gegner der syrischen Besetzung des Libanon war. In vielen Debatten bezog ich hierzu stets eine eindeutige Position: Die Syrer kamen als Besatzer in unser Land, sie helfen uns nicht, wie sie behaupten. Sie nehmen uns unsere Wirtschaft, unser Selbstvertrauen und unsere Würde. Das wurde dann wohl irgendwann zuviel. Besonders schmerzlich für mich ist, daß es ausgerechnet libanesische Kameraden waren, die mich an die Syrer verraten und ausgeliefert haben ...

Was geschah dann?

Souaidan: Die Syrer haben mich zuerst hierher gebracht, zum Hotel "Beau Rivage". Am Abend meiner Verhaftung brachten sie auch meinen Bruder, und wir wurden beide verhört.

Worum ging es in diesem Verhör?

Souaidan: Sie stellten uns eine Menge Fragen über die LF, über unsere Aktivitäten dort und über sehr allgemeine Dinge.

Was wurde Ihnen denn vorgeworfen?

Souaidan: ... daß wir eine Gefahr für den Libanon seien und daß wir für Israel arbeiteten. Dieser Vorwurf kam damals sehr oft, daß die Christen Agenten Israels seien. Nachdem ich mich weigerte, ein "Geständnis" abzulegen, wurde ich mit Schlägen traktiert. Nach drei Tagen erfolglosen Verhören brachten sie uns nach Syrien. Auch dort versuchten sie, uns gefügig zu machen.

Wurden Sie gefoltert?

Souaidan: Ja. Wir bekamen Elektroschocks, und wir wurden geschlagen. Zudem gab es noch den sogenannten "deutschen Stuhl", ebenfalls ein Folterinstrument, bei dem in langsamen und kleinen Dosen der Schmerz für den Delinquenten immer unerträglicher wird. Hierbei ging es ausschließlich darum, daß wir unterschrieben, daß wir israelische Agenten seien.

Wie haben Sie das ausgehalten?

Souaidan: Für die meisten meiner Kameraden und für mich war unser Glaube in diesen Tage die einzige Stütze, die wir hatten. Wenn ich nach den Verhören in meine kleine, stockfinstere Zelle zurückgebracht wurde, habe ich dort gebetet, daß ich stark bleibe. Und ich habe darauf vertraut, daß sich eines Tages meine Zellentür öffnen wird und ich wieder frei bin. Ich habe diese Hoffnung niemals aufgegeben.

Nach sechs Jahren öffnete sich Ihre Zellentür tatsächlich ...

Souaidan: Das war wie ein Wunder für mich.

Wie kam es zu Ihrer Entlassung? Sie haben die Erklärung ja niemals unterschrieben ...

Souaidan: Mir ging es da ähnlich wie anderen meiner Leidensgenossen. Meine Familie hat mich freigekauft. Sie haben sehr viel Geld an die Syrer bezahlt, damit ich freigelassen werde, insgesamt 250.000 Dollar. Dazu kommen noch viele kleinere Bestechungsgeschenke, die sie syrischen Geheimdienst-Offizieren geben mußten. Ich weiß, daß viele andere meiner Kameraden, die noch immer in Syrien inhaftiert sind, nicht dieses Glück haben, welches ich hatte. Heute geht es mir vor allem darum, daß sie nicht in Vergessenheit geraten.

Wie viele libanesische Christen sind heute noch in Syrien?

Souaidan: 816 libanesische Christen sitzen noch immer in syrischen Gefängnissen. Dies jedenfalls ergab meine Recherche. Während meiner Haftzeit versuchten wir, möglichst vollständige Namenslisten zu erstellen.

Weshalb berichten die Medien nicht über dieses Unrecht?

Souaidan: Das ist eine gute Frage. Eine der möglichen Antworten mag sein, daß die Häftlinge nicht einmal im Libanon eine Lobby haben ...

Warum nicht?

Souaidan: Weil die Syrer noch immer einen großen Einfluß ausüben. Die Streitkräfte sind zwar vor drei Jahren abgezogen, aber das Spitzelsystem der syrischen Geheimdienste funktioniert nach wie vor.

Wie reagiert Syrien auf den Vorwurf, noch immer christliche Libanesen festzuhalten?

Souaidan: Sie streiten es einfach ab, und nichts passiert weiter. Wir brauchen dringend mehr Öffentlichkeit für dieses Anliegen, damit der Druck endlich steigt!

Foto: Raimond Souaidan, geboren 1970 in Beirut, trat 1991 als Offiziersschüler in die libanesische Armee ein. Als Unterstützer der Lebanese Forces wurde er 1993 vom syrischen Geheimdienst verhaftet und saß sechs Jahre in syrischer Haft. Heute arbeitet er für ein Immobilienunternehmen in Beirut. Das Interview fand im Hotel "Beau Rivage" statt, einem ehemaligen Standort des syrischen Geheimdienstes. Hier wurde Souaidan vor zwölf Jahren verhört und festgehalten, bevor er nach Syrien deportiert wurde. Derzeit arbeitet Souaidan an einem Buch über seine Haftzeit in Syrien.

 

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