© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/08 28. November 2008

"Muslime denken, sie seien tolerant, weil sie mich leben lassen"
Die Reportage des "Focus"-Korrespondenten Wolfram Eberhardt aus dem Nahen Osten dokumentiert Lebenslügen des christlich-islamischen Dialogs
Fabian Schmidt-Ahmad

Wachsender Beliebtheit erfreut sich in Deutschland das Gesellschaftsspiel "multikultureller Dialog", bei dem sich Deutsche mit Vertretern muslimischer Einwanderergruppen unterhalten: erstere im Glauben, sie würden etwas vom Fremden lernen, letztere in der Absicht, ihre Interessen durchzusetzen. Ein Spiel mit Illusionen. Denn bei genauerer Betrachtung spiegelt sich die eine Seite nur in dem eigenen, europäischen Romantizismus, die andere Seite strebt Verhältnisse an, die mit unserer Vorstellung von Dialog eigentlich nur wenig zu tun haben. Nicht einen vermeintlichen, sondern den tatsächlichen Dialog suchte dagegen der Publizist und Nahost-Experte Wolfram Eberhardt.

"Im Auftrag Allahs" ist das Protokoll einer Reise durch Länder des Nahen Ostens, auf welcher der Christ und langjährige Focus-Auslandskorrespondent Gespräche mit verschiedenen Menschen aus dem islamischen Kulturkreis anfing. Angesehene Muslimbrüder kommen hier ebenso zu Wort, wie hochrangige Hisbollah-Funktionäre; aber auch Buchhändler, Taxifahrer, Ehefrauen und Töchter porträtiert Eberhardt in kurzen Skizzen. Eingerahmt werden diese Gespräche von kommentierenden Textpassagen, die auch einem Leser ohne Vorkenntnisse beim Verstehen einer fremden Welt helfen. Denn bald wird deutlich, daß man mit dem europäischen Denken hier rasch an seine Grenzen stößt.

Es ist die heimliche Arroganz des Multikulturalismus, zu glauben, was die westliche Welt als eine Art Kulturmatrix geschaffen habe, könne allen anderen Kulturen als gemeinsame Grundlage hinterlegt werden. Ein solch abstraktes Verhältnis zur eigenen Kultur ist den vorgestellten Personen völlig fremd. Mit absoluter Selbstverständlichkeit betrachten die Gesprächspartner, strenggläubige wie liberale Muslime, das überkommene islamische Recht, die Scharia, als Quellgrund und Bezugsrahmen sittlichen Handelns. Unterschiede bestehen lediglich im Grad der Unterwerfung, nicht aber in der Vorstellung einer letztlich von Gott geleiteten - und damit nicht hinterfragbaren - Gesellschaft.

Viele Anschauungen, mit denen man hierzulande muslimischen Einwanderern begegnet, werden ganz nebenbei als Lebenslügen entlarvt - beispielsweise die Behauptung, daß Religion auch für Muslime eine Privatangelegenheit sei und nur ein marginaler "Islamismus" darüber hinaus gesellschaftliche Umwälzungen anstrebe.

Aber auch liberale Gesprächspartner vertreten die Ansicht, daß eine Gesellschaft sich nach den Gesetzen des Islam richten müsse, sobald dessen Anhänger im betreffenden Land die Mehrheit bildeten. "Muslime denken, sie seien tolerant, weil sie mich leben lassen", verdeutlicht der Jesuitenpater Samir Chalil Samir die Vorstellung der geschlossenen islamischen Gesellschaft.

Den einzigen Anflug von Synkretismus erlebte Eberhardt im Libanon. Bezeichnenderweise war dort die Mehrheit der Bürger einst christlich. Und in dem Maße, wie diese schwindet, ist der Libanon auch ein sterbendes Land. Vielleicht ist sich der Focus-Redakteur gar nicht der Tragweite bewußt, wenn er einen Taxifahrer das ebenso simple wie rücksichtslose Prinzip der Verdrängung erklären läßt: "Bald gehöre das Land den Schiiten, denn die würden fünf bis sechs Kinder kriegen, er könne nur maximal zwei ernähren, da er die teure Privatschule bezahlen müsse, jammert er. Die Schiiten würden die ihren in die billige öffentliche Schule stecken, die Ausbildung sei denen schnuppe."

Eine andere Lebenslüge ist der Glauben, unsere Werte für universell wünschenswert zu halten, weil sie alle Menschen glücklicher machten. Einen Höhepunkt des Buches stellt das Gespräch mit einer syrischen Studentin aus Deutschland dar: "Während wir rastlos durch die Straßen von Damaskus wandern, will ich von ihr wissen, wo sie denn einst leben will, wenn sie Deutschland aufgrund der fehlenden Moral ablehnt und die Syrer ihren Freiheitsdrang nicht akzeptieren. Aischa zögert keine Sekunde, auch wenn sie es nicht leicht haben wird: in Syrien natürlich." Vielleicht ist es wirklich die beste Lösung, die der radikale Hisbollah-Führer Scheich Kamil Nouredine vorschlägt, um den Konflikt zwischen Europa und der muslimischen Welt zu vermeiden: "Wenn es Gesetze in eurem Land gibt, die mit dem Islam nicht übereinstimmen, wäre es besser, erst gar keine Muslime aufzunehmen."

Wolfram Eberhardt: Im Auftrag Allahs. Gläubiger, Fanatiker, Terroristen. Molden Verlag, Wien 2008, gebunden, 264 Seiten, 24,95 Euro

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