© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/08 28. November 2008

Ein Segen für Berlin
Dreißig Entwürfe, siebzehn Millionen Euro: Der Wiederaufbau des Stadtschlosses kann beginnen
Christian Dorn

Zur vermeintlichen Unzeit, als eine Menschheitsutopie namens "DDR" zu Grabe getragen wurde, hatte der Historiker Christoph Stölzl sich zu einer damals ebenfalls als Utopie erscheinenden Vorstellung geäußert: der historisch getreuen Rekonstruktion des 1950 gesprengten Berliner Stadtschlosses. Es war ausgerechnet Die Zeit, die den Utopisten "verhöhnte", so Stölzls Erinnerung, und in seinem Wunsch "die reaktionärste Schnapsidee der Gegenwart" erkannte. Ihr Verdikt wäre wohl im Sinne des einstigen DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl gewesen, der mit der Sprengung der Hohenzollernresidenz sein "Gewissen beruhigt" sah und anfügte: "Jetzt schreien alle, und wenn das Schloß weg ist, kräht kein Hahn mehr danach."

Doch Geschichte läßt sich nicht dekretieren. An diesem Freitag wird die im Auftrag des Bundestages tätige Jury, der acht Architekten und sieben Funktionsträger aus Politik und Kultur angehören, aus dreißig Entwürfen des Architekturwettbewerbes denjenigen küren, der die Vorgaben des Bundestages am besten miteinander in Einklang bringt.

Dieser hatte vor sechs Jahren mit deutlicher Mehrheit beschlossen, das Berliner Stadtschloß in seiner Kubatur wiederzuerrichten (JF 29/02), inklusive originalgetreuer Nachbildung der drei Barockfassaden sowie der Rekonstruktion des von Andreas Schlüter entworfenen Innenhofs. Zudem wird laut Ausschreibung eine Wiedererrichtung der Kuppel über dem Eingang am Westportal angestrebt. Darüber hinaus gilt es  möglichst die ursprüngliche Raumabfolge des Schlosses zu berücksichtigen und einzelne Räume wiederzugewinnen. Zu nennen wäre hier der "Weiße Saal", einst der Repräsentationsraum des einstigen Stadtschlosses. Ebenfalls zu begrüßen wären die Rekonstruktion des "Schwarzen Adlersaals" und des Treppenhauses von Ludwig Persius.

Vollkommen offen ist indes die Gestaltung der Ostseite des an die Spree grenzenden einstmaligen Renaissanceflügels. Hier, so steht zu befürchten, könnte die Moderne zum Zug kommen - soll doch an dieser Stelle die wechselvolle Geschichte des Ortes "ablesbar" sein.

Obgleich damit die grundsätzlichen Parameter der architektonischen Gestalt vorgegeben sind, regt sich bis zuletzt ein nur allzu bekannter Widerstand. Dieser tritt auf im Namen einer Moderne, die - seit der Postmoderne - inzwischen selbst anachronistisch ist. Daß die betreffenden Architekten für diese Erkenntnis blind sind, gehört zur Absurdität städtebaulicher Geschichte.

Ebenso alberne wie unselige Verstärkung erhalten sie aus den Medien. Die ZDF-Sendung "Aspekte" etwa kritisierte den Schloßbau als rückwärtsgewandte Nostalgie, für die es keinen Rückhalt gesellschaftlich relevanter Gruppen gebe. Überdies wurden diffamierende Insinuationen über den Schloßstreiter und Spendensammler Wilhelm von Boddien verbreitet. Die ARD legte in "Titel, Thesen, Temperamente" noch einmal nach. Es wurde bedauert, daß für einen Daniel Libeskind keine Möglichkeit bestanden habe, beispielsweise bei der Portalkuppel auf der Westseite "dekonstruktivistisch" zu intervenieren. Eine "historisch einmalige Chance" werde vertan.

Zum Glück. Denn der Schloßbau verkörpert, um Florian Illies zu zitieren, eine "Befreiung der Ästhetik aus der Umklammerung der Moral", wie er 2002 mit Blick auf den bevorstehenden Bundestagsbeschluß schrieb. Dabei ist es ein Segen für das Gemeinwesen oder zugespitzter: den Demos, daß auch die vorschnellen Schüsse des selbsternannten "Sturmgeschützes der Demokratie" - abgegeben auf die wiedererstehenden Silhouetten einst zerstörter deutscher Innenstädte - sich am Ende als Spiegelfechterei entpuppen. Handelt es sich doch in den betreffenden Fällen um Bauwerke, deren gemeinschaftsstiftender Sinn in unüberbietbarer Weise evident ist, spätestens mit dem Moment ihrer Vollendung.

Beispielhaft hierfür ist die im Oktober 2005 wiedergeweihte Dresdner Frauenkirche. Unter dem Titel "Karge Spenden" hatte der Spiegel (17/1994) noch das drohende Scheitern suggeriert, da unmittelbar vor dem Baubeginn erst drei Millionen D-Mark gesammelt worden waren. Als die Arbeiten begannen, schnellten die Spenden und Schenkungen in die Höhe. Am Ende betrug der private Anteil mit 102,8 Millionen Euro weit über die Hälfte der gesamten Baukosten.

So wird wohl auch die aktuell vom Hamburger Nachrichtenmagazin in Szene gesetzte Kritik am Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses eine bloße Fußnote bleiben. Der von Wilhelm von Boddien geführte Förderverein etwa hat - lange bevor im Jahr 2010 der erste Spatenstich erfolgen wird - bereits 17 Millionen Euro Spenden eingeworben, mithin die elffache Summe jenes Betrages, der in Dresden bei Baubeginn vorlag. Boddien ist denn auch zuversichtlich, die geplanten 80 Millionen Euo Spenden zu bekommen.

Dennoch gibt es einen wunden Punkt. Die zukünftige Bestimmung des Schlosses als sogenanntes "Humboldt-Forum" ist unbefriedigend, weil sie dem Symbolcharakter des Stadtschlosses nicht gerecht wird und ihren Makel, eine Notlösung gewesen zu sein, einmal mehr unter Beweis stellt. Nach bisherigen Planungen will man hier drei Einrichtungen unterbringen: Neben der Landesbibliothek und den wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität sollen vor allem die bislang in Dahlem ansässigen außereuropäischen Museen ihren neuen Platz finden.

Wenn aber der Publizist Wolf Jobst Siedler, der sich in der Schloßfrage unendlich verdient gemacht hat, mit seinem Diktum recht behalten soll, dem zufolge das Schloß nicht in Berlin lag, sondern letzteres selbst sich im Schloß symbolisierte, ist es - vorsichtig formuliert - rätselhaft, warum hier eine museale Heimstatt für fremde Kulturen zu schaffen sei. Wenn schon die Kunst einziehen soll, wäre es sinnstiftend, den kunsthistorischen Rahmen der Museumsinsel zu ergänzen durch die am Potsdamer Platz beherbergten Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, als da sind: Gemäldegalerie, Kunstgewerbemuseum, Kupferstichkabinett und Kunstbibliothek.

Alle Beteiligten wären jedenfalls gut beraten, sich an einem anonymen Vers aus einem Internetforum für Architektur-Debatten zu orientieren: "Den Alex prägt das Rastermaß / Den Sony-Platz das Spiegelglas / Friedrichstraßens Bau-Bouletten / Lieber bess're Mieter hätten / U-Bahn 5 in weiter Ferne. / Doch das Schloß: DAS hätt' ich gerne ...".

Foto: Simulation des Berliner Stadtschlosses, Blick von Unter den Linden: Geschichte läßt sich nicht dekretieren

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