© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/08 21. November 2008

Neue Begräbnisformen: Bestatter übertrumpfen sich mit innovativen Ideen
Digi-Grab mit Flachbildschirm
Toni Roidl

In Japan werden Grabmale mit digitalen Strichcodes versehen, die mit Mobiltelefonen kommunizieren können. Damit läßt sich per Handy eine Internetseite aufrufen, von der Fotos oder Filme des Verstorbenen heruntergeladen werden können. Interessierte Kunden können sich schon zu Lebzeiten eine individuelle Profilseite gestalten: MySpace fürs Jenseits.

Wer darüber den Kopf schüttelt, sollte wissen, daß digitale Bestattungskulte auch in unseren Kulturkreis einziehen: Im südenglischen Southampton können Hinterbliebene durch einen "pay per view"-Onlinedienst im Internet an Begräbnissen teilnehmen. Anbieter ist das örtliche Krematorium; Benutzername und Passwort werden von den Angehörigen des Verstorbenen vergeben.

Auch in Deutschland suchen die Friedhofsbetreiber neue Wege aus der Krise. Und die hat zwei Ursachen: Einerseits führt ein diffuses Bedürfnis nach Spiritualität dazu, daß immer mehr Deutschen der Rahmen der Friedhofsordnung zu eng ist. (Jedes Bundesland hat sein eigenes Bestattungsgesetz. Zusätzlich regelt jeder einzelne Friedhof in seiner Friedhofsordnung die Vorgaben für die Grabgestaltung.) Neue Begräbnisformen wie die anonyme Bestattung, Ruhe-Gemeinschaften ("Grab-WG") oder "Friedwälder", die ein esoterischer Retro-Kult der Totenhaine unserer Vorfahren sind, boomen. Andererseits ist der Kostendruck auf dem Friedhof angekommen. Kommunen und Kirchengemeinden stehen untereinander im Wettbewerb. Friedhofsbetreiber engagieren Werbeagenturen, um mit Hochglanzprospekten "Kunden" zu werben.

Das hat Tischlermeister Carsten Glaser aus Greven (Münsterland) erkannt. Er sagte der JUNGEN FREIHEIT: "Innovative Formen des Gedenkens sind eine Chance für die Friedhöfe, ihr Angebot attraktiver zu machen. Denn um wieder Leute zu binden, müssen sie Alternativen bieten." Glaser hat so eine Alternative geschaffen: das Bildschirm-Grab. In ein Grabmal aus Holz integriert der Tischler einen Flachbildschirm, auf dem beispielsweise ein Video von Omas letztem Geburtstag im Kreis der Lieben läuft. Das Gerät widersteht Hitze und Kälte, bildet kein Kondenswasser, funktioniert auch bei hellem Tageslicht und ist vandalismussicher. Das Hochladen der Inhalte funktioniert über eine Speicherkarte. Demnächst sollen Bilder, Filme oder Text auch per SMS eingestellt werden können. Die Stromversorgung läuft über einen Akku.

 Entwickelt hat die Technik ein holländischer Ingenieur; Glaser ist Alleinvertreter für Deutschland. Der Grevener sagt von sich selbst mit Humor: "Ich bin der McDonald's der Friedhöfe", denn Glaser hat ein Franchise-Konzept für Bestatter entwickelt.

Durch einen Trauerfall in der eigenen Familie kam der Handwerker vor Jahren auf die Idee, selbst ein Grabmal aus Holz zu bauen. Das Lob der Verwandtschaft für seinen Entwurf motivierte ihn zu dem Entschluß, sich mit Grabmalen selbstständig zu machen.

Glaser schuf ein Verfahren, um die Oberflächen seiner Holzplatten bis zu 25 Jahren witterungsbeständig zu machen, und liefert diese Qualität in Deutschland exklusiv. Den Vertrieb übernehmen andere: Bundesweit stellen Bestatter Glasers Grabmale als Franchise-Partner auf.

Nicht alle finden solche Geschäftsideen gut: Im Fall der englischen Online-Bestattung kritisiert Kerstin Gernig, Sprecherin des Bundesverbandes deutscher Bestatter: "Wir sprechen uns ausdrücklich gegen eine solche Vorgehensweise aus! Man muß sich fragen, ist dieser Online-Dienst noch mit den ethischen Werten des christlichen Glaubens vertretbar? Da von den Angehörigen eine Gebühr verlangt wird - immerhin fast hundert Euro -, können die Betreiber eine kommerzielle Absicht ja wohl nicht abstreiten."

Glasers Digi-Grab überzeugt dagegen die Friedhofsverwaltungen, denn der Grabmal-"Player" spielt keine Audiodateien und schaltet sich nachts automatisch ab. Außerdem verschwindet der Bildschirm bei Bedarf diskret hinter einer Holzverblendung.

Nur ganz billig ist dieses Gedenken nicht: Rund 5.000 Euro kostet allein das Gerät inklusive Grabmal. Plus Bestattungsgebühr macht summa summarum um die 10.000 Euro.

Sicher profitieren die Nutzer bei weiterem Wettbewerb von Preisvorteilen. Ob Würde und Kultur auch profitieren?

Fotos: Friedhof der St. Marien-Gemeinde in Berlin: Würde- und kulturvoll; Carsten Glaser und sein Digi-Grab

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