© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/08 21. November 2008

Frisch gepresst

Weltkriegssieger. Was wäre, wenn? Eine reizvolle Frage, mit der sich ein Historiker jedoch nur peripher befassen sollte. Der Politologe Benjamin Richter fragt deshalb auch nicht, was geworden wäre, hätte Deutschland den Ersten Weltkrieg gewonnen, sondern analysiert die außenpolitischen Parameter der Kriegsparteien von 1914 in ihren langfristigen Auswirkungen und kommt zur überraschenden These, daß der in Versailles abgestrafte Kriegsverlierer in dieser Hinsicht als Gewinner gelten kann. Frankreich mußte 1919 endgültig von seiner seit Richelieu angestrebten politischen Maxime der Zersplitterung jenseits des Rhein lassen, ja sogar mit dem Scheitern des alliierten Alleingangs der Ruhrbesetzung seine Unterlegenheit eingestehen. Der Drang des Dritten Rom in Richtung Konstantinopel war nicht nur verstellt, Moskaus Einfluß auf den Balkan war nach 1918 praktisch nicht mehr vorhanden. Selbst die vor 1914 unumstrittene Weltmacht Großbritannien, immer auf die Balance der Mächte auf dem Kontinent bedacht, geriet in die Abhängigkeit von den USA, ohne die wirtschaftliche Zentralmacht Deutschland wirklich ausgeschaltet zu haben. Sähe man also den Ausgang des Ersten Weltkriegs solitär, könnte man Richter beinahe recht geben, zumal unter Berücksichtigung der weitestgehenden Revision des Versailler Vertrags von Locarno ausgehend bis zum Anschluß Österreichs - ja, gäbe es nicht die Kleinigkeit der viel größeren Katastrophe des Weltbürgerkriegs zwischen 1939 und 1945 mit seinen Millionen Toten, der in vielerlei Hinsicht in einer Kausalkette zur "Urkatastophe" steht (Wie Deutschland den Ersten Weltkrieg gewann. Das paradoxe Kriegsende und seine Folgen. Olzog Verlag, München 2008, broschiert, 127 Seiten, 12,90 Euro).

Kolonialismus. Mit der Reihe Marixwissen will der Wiesbadener Verlag in Kooperation mit der Frankfurter Rundschau - ähnlich dem erfolgreichen Pendant der Süddeutschen Zeitung mit ihrer Bibliothek der Meisterwerke der Weltliteratur - den "Kanon des Wissens" bereichern. Mit der umfassenden Studie über den Kolonialismus des Mainzer Historikers Ludolf Pelizaeus wurde diesem hehren Ziel weitgehend entsprochen, weist doch dessen bis in die Antike zurückreichender Überblick über die gängigen Betrachtungen des neuzeitlichen Imperialismus hinaus. Natürlich erteilt er dem europäischen Kolonialismus der letzten zweihundert Jahre, infrastrukturelle und soziale Entwicklungen der Kolonialmächte (Ende der Sklavenhaltergesellschaften) wenig berücksichtigend, ein gewohnt negatives Urteil. Dennoch ist Pelizaeus' Werk als Überblicksdarstellung nicht nur wegen des unverschämt günstigen Preises empfehlenswert (Der Kolonialismus. Geschichte der europäischen Expansion. Wiesbaden 2008, gebunden, 256 Seiten, 5 Euro).

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