© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/08 14. November 2008

Wanderschaft mit Blutvergießen
Dunkle Jahrhunderte: Zwei Bonner Ausstellungen veranschaulichen die brutale Epoche der Völkerwanderung
Karlheinz Weissmann

Völkerwanderung" klingt beschaulich, die mit dem Wort gemeinte Realität war alles andere. Denn es ging eher um einen "Völkersturm", das heißt den gewaltsamen Einbruch der Barbaren - vornehmlich der Germanen - in das römische Imperium, den Raum der antiken Zivilisation.

Die Stadt Bonn widmet diesem Thema gegenwärtig gleich zwei Ausstellungen. Die erste, die in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik zu sehen ist, behandelt allgemein den Zusammenhang "Rom und die Barbaren". Dabei wird vor allem der Frage nachgegangen, wie sich die beispiellosen Veränderungen der politischen Landkarte zwischen dem 4. und dem 8. Jahrhundert auswirkten, welche Folgen die Schwächung, dann der Kollaps Westroms hatten, wie das geschickte Taktieren Ostroms einzuschätzen, wie der rasche Aufstieg der fremden Reitervölker der Hunnen und Awaren zu beurteilen ist und schließlich, was das Vordringen der Germanen bedeutete, deren instabile Stammesverbände erst im Laufe der Zeit zu echten Machtfaktoren wurden. Anhand von mehr als 1.000 Exponaten vermittelt die Ausstellung, was die großen Trecks und Kriegszüge der Vandalen, Goten, Langobarden, Burgunder und Franken für die damalige Welt hießen. Dabei ist zu beachten, daß die Vorgänge selbst relativ schwer zu illustrieren sind.

In erster Linie stützt sich das Konzept der Ausstellung deshalb auf umfangreiche Wiederherstellung sowie die Präsentation von Kunst- und Alltagsgegenständen, wobei vor allem Hortfunde und Grabbeigaben eine wichtige Rolle spielen. Vieles davon ist unansehnlich und jedenfalls für den Laien nur durch die hinzugefügten, umfassenden Erläuterungen verstehbar, aber es gibt auch Überreste, die durch ihre Pracht und zeitlose Schönheit beeindrucken.

Oft handelt es sich um Beutestücke, die in Italien oder den römischen Provinzen geraubt und weit verschleppt wurden, dann um materiell wertvolle, aber handwerklich eher primitive Nachahmungen römischer Vorbilder und schließlich um selbständige Hervorbringungen; besonders eindrucksvoll sind für diesen Zusammenhang Exponate wie die sogenannte Tutulusfibel aus dem Fürstinnengrab von Haßleben in Thüringen und die adlerförmigen Sattelbeschläge aus einer germanischen Bestattung im heute rumänischen Apahida.

Auf der großen animierten Karte, die in der Kunsthalle die Bewegungen der Barbaren anschaulich macht, fällt der Zug der Langobarden schon wegen seiner Ausgedehntheit auf. Ihrer Ursprungssage nach kamen die Langobarden aus Skandinavien, sicher ist, daß sie im 1. Jahrhundert nach Christus an der Nieder­elbe historisch greifbar werden.

Unter sächsischem Druck verließen sie dieses Gebiet und wandten sich nach Süden, im 2. Jahrhundert sollen langobardische Krieger an der mittleren Donau aufgetaucht sein, aber im Grunde ist die Quellenlage zu dürftig, um sichere Aussagen zu machen. Wahrscheinlich fand der Stamm in der böhmisch-mährischen Region eine vorläufige Heimat. Die "dunklen Jahrhunderte" der Langobarden endeten erst 488, als sie in das fast menschenleere Niederösterreich vordrangen und die gesicherte Überlieferung wieder einsetzt.

Die Langobarden stiegen in der Folgezeit zur Vormacht des Karpatenraums auf und wurden zum begehrten Bündnispartner für Byzanz. Diese Allianz konnte aber nicht verhindern, daß sie schließlich vor den Awaren aus der pannonischen Ebene weichen mußten. Unter ihrem legendären Führer Alboin fielen sie in Italien ein, unterwarfen in einer Art Handstreich den Norden des Landes, eroberten dann Mittelitalien, woraufhin die längst zerrüttete Herrschaft der Ostgoten zerbrach. Deren Erb­übel waren innerer Zwist und gewaltsame Thronwechsel, Probleme, mit denen sich auch die langobardischen Könige auseinanderzusetzen hatten. Immerhin bestand ihr Reich für zwei Jahrhunderte, bevor es durch Karl den Großen annektiert und in das fränkische Imperium eingegliedert wurde.

Es liegt in der Natur der langobardischen Geschichte, daß sich über weite Strecken keine eindrucksvollen Überreste erhalten konnten. Die zweite Bonner Ausstellung, diesmal im Rheinland-Museum, bietet trotzdem eine eindrucksvolle Zusammenstellung von Relikten und Rekonstruktionen, die nicht nur die Anfänge, sondern auch die Zeit der Wanderung mit der Aufnahme der verschiedensten kulturellen - römischer und byzantinischer ebenso wie awarischer - Einflüsse anschaulich machen. Vielleicht hätte man der eigentlichen Blütezeit des Langobarden-Reiches im 7. und 8. Jahrhundert mehr Aufmerksamkeit widmen können, aber das ist eher ein Detail.

Insgesamt kann man die Ausstellung selbst als gelungen betrachten, nicht zuletzt weil sie ihre eigene politisch korrekte Vorgabe durch die Präsentation der Fakten zurechtrückt. Denn selbstverständlich war die Epoche der Völkerwanderung keine der mehr oder weniger friedlichen "Transformation" - wie der Text auf der ersten Informationstafel suggeriert -, sondern ein ziemlich brutaler Vorgang, bei dem vor allem die Unterdrückung der Autochthonen durch die "Einwanderer", sobald diese zur Herrschaft gekommen waren, ins Auge fällt. Die Heterogenität eines germanischen Stammesverbandes hatte auch nichts mit der ethnischen Zusammensetzung einer westdeutschen Großstadt zu tun, was einem an anderer Stelle nahegelegt wird, wohl um die Völkerwanderung der Gegenwart angesichts der Völkerwanderung der Antike in eine annehmbare Perspektive zu rücken.

Foto: Schale mit dem Triumph Kaiser Konstantins II., 350 bis 400 n. Chr., Bosporanisches Reich, Krim: Viele Exponate sind ..., Goldbüste des Kaisers Marc Aurel, um 180 n. Chr.; Marmorbüste des Kaisers Nero Claudius Germanicus, 1. Hälfte 1. Jahrhundert: ... für den Laien nur durch umfassende Erläuterungen verstehbar

Die Ausstellung "Rom und die Barbaren" in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4, ist noch bis zum 7. Dezember täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 02 28 / 91 71-0, Internet: www.bundeskunsthalle.de

Die Ausstellung "Die Langobarden" im Rheinischen Landesmuseum, Colmantstr. 14-16, kann bis zum 11. Januar 2009, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, besichtigt werden. Telefon: 02 28 / 20 70-0, Internet: www.rlmb.lvr.de

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