© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/08 07. November 2008

Den jungen Vätern auf der Spur
Bevölkerungsentwicklung: Obwohl sich die Mehrheit der Männer Kinder wünscht, wächst die Zahl der Single-Haushalte / Studie der Bertelsmann-Stiftung
Hans Christians

Kinder oder Karriere? Diese Frage wurde in den vergangenen Jahren ausschließlich im Hinblick auf ein verändertes Frauenbild diskutiert. Daß die Geburtenzahlen dabei rückläufig sind, ist keine neue Erkenntnis. Dies läßt sich auch in der neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung unter dem Titel "Wege in die Vaterschaft: Vaterschaftskonzepte junger Männer" nachlesen, die in der vergangenen Woche in Berlin vorgestellt wurde. Sie geht der Frage nach, ob die zunehmende Kinderlosigkeit in Deutschland alleine mit stark gestiegenen beruflichen Ambitionen der Frauen zu erklären ist.

Die ehemalige Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) sieht dies anders und verweist auf die Erkenntnisse der Bertelsmann-Studie: "Männer haben auch nicht mehr Kinder als Frauen. Was ist bloß mit unseren Kerlen los?" fragte sie anläßlich der Vorstellung der Ergebnisse. Mehr als 90 Prozent der kinderlosen Männer zwischen 15 und 42 Jahren wollen angeblich Kinder. Tatsächlich sind aber mehr als ein Drittel aller 35- bis 40jährigen kinderlos. "Es passiert offenbar etwas zwischen dem Kinderwunsch und seiner Realisierung", sagte Thomas Rauschenbach, Leiter der Studie und Direktor des Deutschen Jugendinstituts. Der Experte spricht von "mentalen und strukturellen Barrieren", die Männer der betroffenen Altersgruppe an einer Vaterschaft hinderten. Das zentrale Ergebnis seiner Untersuchung erläutert Rauschenbach folgendermaßen: "Drei Dinge braucht der Mann, bevor er ein Kind zeugt und Verantwortung für eine Familie übernimmt: eine feste Partnerschaft, ein ausreichendes Einkommen und einen sicheren Arbeitsplatz." Und diese drei Dinge seien in der heutigen Zeit schwierig zu bewerkstelligen, wie sich auch an der wachsenden Zahl von Single-Haushalten ablesen lasse. Zudem spielen psychologische wie materielle Faktoren eine entscheidende Rolle.

Mehr als 52 Prozent der Befragten gaben zwar an, daß sich durch eine Vaterschaft ihr "Lebenssinn" positiv verändern würde, allerdings glauben knapp zwei Drittel, daß sich ihre finanzielle Situation entscheidend verschlechtern würde. Die ehemalige Ministerin Schmidt sieht denn auch keine generelle Verweigerungshaltung in Sachen Familienplanung. "Junge Leute brauchen bis zu fünf Anläufe, um nach einem unbezahlten Praktikum und etlichen Minijobs eine feste Anstellung zu bekommen. Die Abnabelung vom Elternhaus dauert teilweise bis zum 30. Lebensjahr an. In keinem europäischen Land ist die Zeitspanne zum Kinderkriegen mittlerweile so gering wie in Deutschland", sagte Schmidt und sprach sich dafür aus, "Ausbildungs- und Studienzeiten flexibler zu gestalten".

Ein interessanter Aspekt der Studie ist, daß trotz einer mittlerweile stark ausgeprägten Berufstätigkeit der Frau im Bewußtsein der Männer immer noch eine klassische Rollenverteilung vorherrscht. So sehen sich 95 Prozent der Befragten in der Pflicht, im Falle der Verwirklichung des Kinderwunsches die Rolle des "Ernährers" zu übernehmen. Und die angestrebte berufliche Karriere sei eben mit der Verantwortung des Familienvaters zunehmend schwierig in Einklang zu bringen. So sehen nur drei Prozent der berufstätigen Väter ihre Rolle entscheidend gewürdigt und am Arbeitsplatz toleriert. Der Wunsch nach Verständnis, flexiblen Arbeitszeiten und Betreuungsangeboten in der Firma sei sehr ausgeprägt, und dem müsse entsprechend Rechnung getragen werden, so Schmidt.

Die Große Koalition in Berlin sieht sich unterdessen durch die Ergebnisse der Studie in ihrer Entscheidung zur Einführung des Elterngeldes bestätigt. Schmidts Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte, die Einführung habe "die Erwartungen erfüllt, teilweise übertroffen", und stellte den wachsenden Anteil der Elterngeld beziehenden Männer in der Vordergrund. Der CSU-Familienexperte Johannes Singhammer glaubt, daß "selten eine familienpolitische Maßnahme auf so einhellige Zustimmung der Bürger getroffen ist". Die Bertelsmann-Studie spricht allerdings eine andere Sprache.

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