© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/08 31. Oktober 2008

Das Ende einer Epoche
USA: Der neue Präsident sieht sich innen- wie außenpolitisch großen Erwartungen gegenüber
Elliot Neaman

Sollte der nächste US-Präsident tatsächlich Barack Obama heißen, wie es selbst dessen Gegner mittlerweile für wahrscheinlich halten, dann würde sich der Anti-Amerikanismus der vergangenen acht Jahre wohl als das herausstellen, was er war: Anti-Bushismus. Die Vorstellung, daß die Amerikaner einen progressiven Schwarzen zum Präsidenten wählen könnten, widerspricht allen in vielen Ländern der Welt grassierenden Vorurteilen eines von Wirtschaftselite und christlichen Fundamentalisten beherrschten Staates.

Ein Sieg John McCains hingegen würde ebendiese Vorurteile bestätigen - nicht zuletzt wegen seiner Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin, die als eine Wiedergängerin des ignoranten Prahlhans aus Texas gesehen würde. McCains Entschlossenheit, iranische Atomwaffen zu verhindern und im Irak und Afghanistan weiterzukämpfen, "bis der Job erledigt ist", verheißt im wesentlichen eine Fortsetzung der Bushschen Außenpolitik. Indes sind die Unterschiede zwischen den öffentlichen Positionierungen beider Kandidaten in außenpolitischen Fragen eher pragmatischer als programmatischer Natur: Es geht um Lösungen für gegenwärtige Probleme statt um radikal verschiedene Zukunftsvisionen.

Vielerorts herrscht die Wahrnehmung vor, es sei mehr oder weniger egal, wer die Wahl gewinne: Amerika werde in jedem Fall seine Strategie globaler Hegemonie fortsetzen und sie wie gehabt in die heuchlerische Rhetorik hüllen, der ganzen Welt Freiheit und Demokratie bringen zu wollen. Es stimmt, daß Amerika immer eine "gefährliche Nation" war, um mit Robert Kagan zu sprechen. Seit dem 18. Jahrhundert ist der amerikanische Nationalismus insofern internationalistisch, als er die in der Unabhängigkeitserklärung beschworenen "unveräußerlichen Rechte" als säkulares Heilsversprechen für alle Menschen versteht. Der Logik dieser quasi-religiösen Ideologie entsprach es, daß die USA stets eine globale Vormachtstellung anstrebten. Sobald sie vor nunmehr über hundert Jahren zur wirtschaftlichen Supermacht wurden, begannen sie ihren messianischen Anspruch in die Realität umzusetzen.

Zweifellos stehen McCain und Obama beide in dieser ambivalenten Tradition. Daraus zu schließen, es mache keinen Unterschied, wer nächste Woche siegt, ist jedoch zu engstirnig gedacht. Ein geschichtlicher Rückblick zeigt, daß die US-Außenpolitik sehr wohl von der Weltanschauung des jeweiligen Präsidenten und seiner Berater abhängt. Herbert Hoover zum Beispiel widerrief die seiner Meinung nach desaströse Politik seines Vorgängers Woodrow Wilson, amerikanische Ideale nach Europa exportieren zu wollen, was nur Verpflichtungen und keinerlei Vorteile gebracht habe. Die USA, schrieb er, seien "von europäischem Haß und europäischen Ängsten befreit ... Wir müssen uns um jeden Preis vor den ewigen bösartigen Kräften Europas retten." Als Franklin Delano Roosevelt sein Erbe antrat, fand er ein durchaus bösartiges Europa vor, erkannte, daß Amerika keineswegs "von ihm befreit" war, und mußte sich sehr anstrengen, um seine Landsleute vom Isolationismus abzubringen.

Einen ähnlichen Umschwung gab es in den fünfziger und sechziger Jahren. Dwight D. Eisenhower hatte als General die Zerstörung Europas hautnah miterlebt und war aus dieser Abscheu vor dem Krieg zur militärischen Abrüstung entschlossen. Unter den Kalten Kriegern John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson dagegen wurde der Verteidigungshaushalt wieder aufgestockt, und das Wettrüsten mit der Sowjetunion begann. Der Kontrast zwischen Jimmy Carters Diplomatie und der Unnachgiebigkeit, mit der Ronald Reagan die kommunistische Bedrohung konfrontierte, ist augenfällig. Auch zwischen der besonnen- konservativen Realpolitik George H. W. Bushs und der neokonservativen Globalmission seines Sohnes liegt ein himmelweiter Unterschied.

Der neue Präsident wird ein geläutertes Land regieren, das die Lektionen der Vergangenheit vergessen hatte und nun lernen mußte, daß selbst die mächtigen USA nicht einfach irgendwo auf der Welt einmarschieren und die Werte ihrer eigenen Kultur durchsetzen können. In absehbarer Zukunft wird es wohl kein neues Abenteuer wie den Irak-Feldzug geben, selbst wenn eine drohende Krise wie die vom Iran ausgehende Gefahr die USA zum Handeln veranlaßt.

Sowieso überschattet momentan die Finanzkrise alle anderen außenpolitischen Fragen. Hinter der Herausforderung, eine globale Lösung für die geplatzte Kreditblase mit ihren Folgewirkungen zu koordinieren, treten selbst die geopolitischen Konfliktherde zurück. Vor diesem ökonomischen "Tsunami" (Alan Greenspan) lautete die gängige Einschätzung, mit dem Aufstieg Chinas, Indiens, der EU und anderer regionaler Wirtschaftsmächte sei ein "post-amerikanisches" Zeitalter angebrochen. Der Zenit der US-Vormachtstellung sei um die Jahrtausendwende überschritten worden. Die derzeitige Krise könnte derartige Annahmen Lüge strafen. Bezeichnenderweise nahmen viele Investoren, die nach einem sicheren Hafen für ihr Vermögen suchten, Zuflucht im US-Dollar (und im japanischen Yen). In einem stürmischen Klima ist das größte, stabilste Schiff immer noch das sicherste. Wenn alle Stricke reißen, hofft die Welt immer noch auf Amerika. Deswegen wünschte sich auch die ganze Welt, am 4. November mitstimmen zu dürfen.

Ein Sieg Obamas würde weltweit von ähnlichen euphorischen und nervösen Erwartungen begleitet wie 1960 derjenige von John F. Kennedy, mit dem er oft verglichen wird. Auch damals schien die Welt dicht am Abgrund zu stehen, freilich nicht am ökonomischen, sondern vor einer weit schlimmeren nuklearen Konfrontation zwischen den Supermächten. Damals wie heute brauchte sie einen Anker - auch deshalb führt Obama, der die lange Wahlkampfphase hindurch unerschütterlich wirkte, vor dem unberechenbaren McCain.

 

Dr. Elliot Neaman lehrt als Historiker in San Francisco.

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