© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/08 17. Oktober 2008

Der dümmste Turmbau seit Babel
Finanzkrise: Nicht Banken sind zu retten oder zu verstaatlichen, sondern Privatvermögen muß gesichert und erhalten werden
Wilhelm Hankel

Der weltweite Börseneinbruch vom 10. Oktober war ein "Schwarzer Freitag" und dennoch nicht mit dem legendären vor fast genau 80 Jahren zu vergleichen. Damals brachen die Aktienkurse an der Wallstreet von einem Tag zum anderen ein, nachdem sie ein Jahrzehnt lang geboomt hatten. Die Amerikaner sonnten sich im Lebensgefühl (und den Gewinnen) des gewonnenen Weltkriegs und kauften massenhaft Aktien auf Pump. Mit der Verteuerung des Kredits brach die Hausse zusammen. Als US-Präsident Herbert Hoover sich weigerte, etwas gegen die schwere Anschluß-Depression der Wirtschaft zu tun, wurde er abgewählt.

Sein charismatischer Nachfolger Franklin Delano Roosevelt riß mit seinen staatlichen Investitions- und Sanierungsprogrammen die US-Wirtschaft aus der Lethargie und bewahrte Millionen Menschen vor sozialer Verelendung. Roosevelt wurde so zum Vorbild des ein Jahr später in Deutschland gewählten Adolf Hitler, nur daß dieser Wirtschaftsbelebung und Beseitigung der Arbeitslosigkeit als Mittel ansah, Deutschland wieder kriegsfähig zu machen - was ihm auch gelang.

Auslöser der gegenwärtigen Krise ist aber nicht der Spekulationswahn privater Börsenneulinge, sondern das Verhalten der Banken selber. Seit Jahrzehnten erproben sie ein Geschäftsmodell, das letztlich den Bankkunden als Sparer (und Geldlieferanten) überflüssig machen soll. Sie nehmen das Geld für ihre "Investments" (daher der Name Investmentbank) bei ihresgleichen auf: im Interbankenmarkt des ebenso globalen wie aufsichtsfreien Finanzsystems. Als letzte Woche die größte deutschen Hypothekenbank HRE (JF 42/08) Konkurs anmelden mußte, entdeckten die Retter (Staat, Bundesbank, Aufsicht), daß der dickste Posten in der Bilanz nicht Kundengelder (Pfandbrieferlöse) waren, sondern Schulden an andere Banken.

Bislang nur hilfloses Krisenmanagement

Seit Jahrzehnten verkauft die Bankwelt einer vertrauensseligen Öffentlichkeit (unterstützt durch ebensolche Medien) ihren ältesten banktechnischen Schwindel, das Ausleihen von mehr Geld als man hat, als die größte finanztechnische Innovation des Jahrhunderts. Auf diese altbekannte Weise errichtete sie in ihren Büchern - nicht in der Realität - den dümmsten und gefährlichsten Turmbau seit Babel: die Schuldenpyramide der Banken untereinander. Es mußte nur einer die Aufstockung der nächsten Stufe verweigern - und schon stürzte sie wie ein Kartenhaus zusammen. Das ist jetzt geschehen. Der Einsturz begann bereits vor Monaten mit der US-Hypothekenkrise im Juli/August 2007. Seinen (vorläufigen) dramatischen Höhepunkt erreichte er mit der Schließung der weltgrößten Investmentbanken und der Stützung der AIG, des einstmals weltgrößten Versicherungskonzerns in den USA.

Das wirft erstens die Frage auf, wie die Kontrollorgane: Regierungen, Zentralbanken, Finanzaufsicht, unabhängige Rating-Agenturen und die mit soviel Fachwissen gesegneten Experten der Bank- und Medienwelt, das Krachen im Gebälk des Finanzsystems überhören konnten. Waren sie taub für die Gefahren, die den privaten Spargeldern aus dem Schulden-Hazard der Banken drohten? Und warum schwiegen sie die wenigen, aber kompetenten Warner davor in der Öffentlichkeit tot?

Die Bundesregierung und ihr forscher Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) haben mit ihren wöchentlich wechselnden Kommentaren zur Lage viel Vertrauen in ihre Fachkompetenz verspielt. Zunächst bezeichneten die Großkoalitionäre die Krise, (trotz der früh bekannten Fälle IKB, Landesbanken, KfW) als eine "rein inneramerikanische" Krise. Dann wurde es eine Krise, von der nur "einzelne Institute" betroffen waren; jetzt ist sie eine, die "eine europäische Lösung" unentbehrlich macht und die nur "im Weltmaßstab" gelöst werden kann.

Nichts von alledem überzeugt. Auch wäre es ehrlicher gewesen, einzugestehen, daß man in Deutschland selbst die Voraussetzungen für das heutige Desaster mitgeschaffen hatte: vor über 30 Jahren, als auch die Bundesregierung (ihr Finanzminister hieß Helmut Schmidt) auf den Leim der Banklobby kroch und diese Märkte faktisch zur aufsichtsfreien Zone erklärte. Die damaligen Kontrollen (durch IWF und Zentralbanken) wurden aufgehoben. Der Präsident des US-Zentralbanksystems Alan Greenspan (er amtierte von 1987 bis 2006) verhinderte jede Aufsicht über den Markt sogenannter Derivate. Heute beträgt die Summe dieser verbrieften Interbankverschulden die "Kleinigkeit" von schätzungsweise 500 Billionen US-Dollar - das Zehnfache des realen Welt-Bruttoinlandsprodukts!

Deswegen ist es von allergrößter Bedeutung, daß jetzt die richtige Antwort auf die zweite Frage gegeben wird: Wie verhindert man, daß sich aus der Finanzkrise (wie nach 1929) eine reale der Geschäfts- und der Arbeitswelt entwickelt? Drei Aspekte sind entscheidend:

Staat soll nur für die eigenen Sparer und Anleger bürgen

Erstens: Nicht die Banken sind zu retten oder zu verstaatlichen, sondern die real erarbeiteten Vermögen der Menschen. Sie sind als "Sondervermögen" vom Konkurs der Finanzhäuser auszunehmen und vom Staat zu garantieren - unter Ausschluß der Bankschulden und -forderungen untereinander. Auch die Verstaatlichung der Banken ist kein Weg aus der Krise. Sie belastet nur einen: den Steuerzahler, der ihre Billionen-Risiken übernehmen müßte! Selbst wenn darüber weitere Banken in Konkurs gingen, ein Kollaps des Kredit- und Zahlungsverkehrs ist nicht zu befürchten. Die gesunden und kompetent geleiteten Institute können den Ausfall leicht ersetzen.

Daraus folgt zweitens, daß die Staaten ihre Garantien, für die der nationale Steuerzahler aufkommen muß, nur für ihre eigenen Sparer und Anleger geben dürfen, nicht für fremde. Jeder europäische oder globale Garantieverbund würde Deutschland (wieder einmal) zum Zahlmeister für andere machen, denn er läuft auf die Bestrafung der Länder mit hoher Geldvermögensbildung hinaus.

Drittens: Der aus der Krise zu befürchtende Zinsanstieg muß durch die Politik der Zentralbanken in Grenzen gehalten werden. Nur so läßt sich das Ausufern der Buchkreditkrise der Banken in eine reale der Wirtschaft und der Arbeitswelt noch verhindern.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war unter Karl Schiller Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Unter seiner Ägide entstand die Bankenenquête von 1968. Er veröffentlichte zuletzt das Buch "Die Euro-Lüge und andere volkswirtschaftliche Märchen" (Signum-Verlag, Wien 2008).

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