© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/08 17. Oktober 2008

Internationalistisches Imponiergehabe
Finanzkrise II: Die gegenwärtige Untergangsstimmung auf den globalisierten Kapitalmärkten offenbart den umfassenden Werteverlust des Westens
Menno Aden

Die gegenwärtige Finanzkrise ist eigentlich eine Wertkrise. Faule Hypotheken, mangelnde Fristenkongruenz oder die schwierige Refinanzierung - die Hypo Real Estate (HRE) und andere Institute sind im Endeffekt an etwas anderem zugrunde gegangen. Was liegt dieser Krise im Wesenskern zugrunde? Seit Jahrzehnten werden in unseren westlichen Kulturen Werte vernichtet - und nun ist das letzte zusammengebrochen, an was viele glaubten: Wert und Selbstvermehrungskraft des Geldes. Theologen wissen nicht, wer oder was Gott ist, Juristen rätseln über den Begriff Recht. Man kann es den Ökonomen daher nicht vorwerfen, wenn sie nicht wirklich angeben können, was eigentlich ein wirtschaftlicher Wert ist.

Werte sind Ausdruck gemeinsamer Wertvorstellungen in Volk, Staat und Kultur. Wenn ein Kaufmann, so ein Bild von Immanuel Kant, der Schlußzahl in seinem Hauptbuch einige Nullen anhängt, dann ist das nichts. Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) dasselbe tut, dann entsteht aber tatsächlich ein Wert - Geld. Das Finanzsystem ist ein selbstreferentielles System: Solange alle davon überzeugt sind, daß auch alle anderen davon überzeugt sind, daß diese EZB-Nullen Geld sind, wird mit jeder weiteren Null der Wert ganz real um das Zehnfache steigen.

Verlust von Glauben und Wertvorstellungen

Im Vertrauen darauf, daß alle (sprich: der Markt) grundsätzlich dieselben Vorstellungen von der Werthaftigkeit eines Gegenstandes haben, mühte sich Rudolf Diesel, seinen Motor zu entwickeln. Nur im Vertrauen darauf, daß die individuelle Überzeugung von dem, was wirklich Wert hat, von den Mitbürgern geteilt wird, konnten die gotischen Dome gebaut werden. Von der Finanzierung dieser unglaublichen Bauwerke wird kaum gesprochen. Diese aber ist eines der größten wirtschaftsgeschichtlichen Wunder unseres Kontinents. Dieses kann nur näherungsweise erkannt werden, wenn wir die Schwierigkeiten bei der Aufbringung der Mittel für die Vollendung des Kölner Doms oder für den Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden dagegen halten.

Nichts zeigt deutlicher, welche Kräfte der Wertschöpfung eigentlich zugrunde liegen. Glaube an sich und an die Werthaftigkeit der eigenen Arbeit für die Gemeinschaft, in der man lebt, schafft Werte. Ohne diesen Glauben fällt alles ins Nichts zurück, Optionen verfallen und Derivate platzen. Im Kern hat Wirtschaft daher mit Geld gar nichts zu tun, denn Geld als solches ist wertlos und nichtig, nicht nur im religiös-sittlichen, sondern auch in einem höchst praktischen Sinn. Schwindet die Überzeugung von der werteschaffenden Kraft der zusätzlichen Nullen, dann heißt das Inflation - und die EZB kann so viele Nullen anhängen, wie sie will, es bleiben dann halt Nullen.

Die Finanzkrise ist daher eine Glaubenskrise. Das ist nicht nur im religiösen Sinne gemeint. Wir haben viel von dem Glauben und den gemeinsamen Wertvorstellungen verloren, die uns groß gemacht haben. Überzeugungen, die uns Verantwortung abfordern und uns sagen: Das, was ich tue, nützt meiner Ehe, meinen Kindern, dem Staat, dem Volk, unserer Kultur und auch Gott. Und umgekehrt: Das darf ich nicht, obwohl es legal ist, denn es schadet diesen Werten.

Die Hypo Real Estate (HRE) gehörte im September 2008 mehrheitlich Investoren, die in den USA und auf Karibik-Inseln registriert sind. Ihr Sitz ist aber in München, sie entstand 2003 aus der Abspaltung des gewerblichen Immobilienfinanzierungsgeschäfts der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank (HVB). Die HRE-Tochter Depfa war einst die Deutsche Pfandbriefanstalt. Deshalb soll der deutsche Staat ihr helfen. Der amerikanische Name Hypo Real Estate als solcher führte nicht zur Pleite. Die Haltung aber, welche hinter dieser Namensgebung steckt, war der gerade Weg dahin: Internationalistisches Imponiergehabe. Deutsche Pfandbriefanstalt - das erinnert an ein solides Wertpapier mit sicherer, aber nicht sehr hoher Rendite. Völlig "out" für all die "Affen mit Taschenrechnern", wie ein Engländer die modernen Bankjongleure bezeichnete. Diese Pleite wäre nicht eingetreten, wenn die Deutsche Pfandbriefanstalt ihr zum Namen passendes altes Geschäftsmodell beibehalten hätte. Deshalb: Weg mit aufgeblasener Großtuerei! Zurück zu den Werten, die uns groß gemacht haben.

 

Prof. Dr. Menno Aden, Autor vieler wirtschaftsrechtlicher Veröffentlichungen, ist Vorsitzender der Hamburger Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft (SWG).Im Internet: www.swg-hamburg.de

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