© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/08 17. Oktober 2008

Es stand im Geschäftsbericht
Finanzkrise I: Die umstrittene Bürgschaft des Bundes für die Immobilienbank Hypo Real Estate
Wolfgang Philipp

Der Fall der Hypo Real Estate (HRE) wurde als plötzlich "entdeckte Schieflage" verkündet. Der Bund übernahm für den Dax-Konzern eine Bürgschaft über 25 Milliarden Euro. Inzwischen sind für den gesamten Bankensektor Hilfsmaßnahmen in ganz anderen Dimensionen geplant. Der Bund will als Sondervermögen einen "Finanzmarktstabilisierungsfonds" bilden, dem Staatskredite bis zu 70 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Außerdem soll der Finanzminister ermächtigt werden, Garantien bis zu 400 Milliarden Euro abzugeben, um kurzfristige Schulden der Banken mit einer Laufzeit bis zu 36 Monaten abzusichern. Was aber jeweils konkret bei den Banken passiert ist, können die Bürger kaum verstehen, die Sachlage ist oft sehr unterschiedlich. Für den konkreten Fall HRE können hierzu konkrete Aussagen gemacht werden. Wer selbst recherchiert wird fündig: Dazu genügt ein Blick in den HRE-"Zwischenbericht" zum 30. Juni.

Langfristige Ausleihungen nur kurzfristig finanziert

Ende 2007 hatte der HRE-Konzern im Aktivgeschäft langfristige Ausleihungen mit Rückzahlungsfristen über fünf Jahren in Höhe von 222 Milliarden Euro. Ein halbes Jahr später waren es 246 Milliarden Euro. Diesen langfristig nicht verfügbaren Geldern standen auf der Passivseite nur 75 bzw. 85 Milliarden Euro langfristige Verbindlichkeiten zur Refinanzierung gegenüber. Die weitere Fremdfinanzierung war in Stufen kurzfristig. Ende 2007 waren rund 101 Milliarden Euro, per 30. Juni etwa 51 Milliarden Euro binnen drei Monaten zurückzuzahlen. Allein in dem Fälligkeitssektor "bis ein Jahr" hatte die HRE insgesamt 188 bzw. 183 Milliarden Euro aufgenommen, wovon rund 142 bzw. 143 Milliarden Euro im Aktivgeschäft für über fünf Jahre festgelegt wurden.

Der Grund dafür liegt in der attraktiven Differenz zwischen Sollzinsen für kurzfristige Verbindlichkeiten einerseits und Habenzinsen für langfristige Ausleihungen andererseits. Das Gebilde lebt aber von der Hoffnung, daß es bei Fälligkeit der kurzfristigen Schulden immer gelingt, diese zu prolongieren oder durch neue Kreditgeber zu ersetzen. Funktioniert das nicht, wird die Bank zahlungsunfähig, auch wenn die eigenen Ausleihungen werthaltig sind. Die HRE hat sich verhalten wie ein Bauherr, der seinen Bau nicht mit einem Hypothekendarlehen, sondern durch Drei-Monats-Wechsel finanziert in der Hoffnung, diese hundertmal verlängern zu können. Die HRE-Katastrophe war bereits Ende 2007 absehbar und in den Geschäftsberichten dokumentiert. Zu "entdecken" gab es nichts mehr, nur Zeit zum Nachdenken. Auch war damals die Bankenkrise längst im Gange.

Langfristige Ausleihungen kurz zu finanzieren ist ein Verstoß gegen § 11 des Kreditwesengesetzes (KWG). Danach haben Institute ihre Mittel so anzulegen, daß jederzeit Zahlungsbereitschaft (Liquidität) besteht. Täter des Rechtsbruches war nicht nur der HRE-Vorstand. Mittäter waren Banken, die - um mit zu verdienen - der HRE in vielfacher Milliardenhöhe kurzfristige Mittel zur Verfügung gestellt haben, obwohl sie wußten, daß diese Gelder unter Verstoß gegen das KWG langfristig vergraben werden würden. Dabei sind sie das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit der HRE eingegangen: nicht Opfer, sondern Mittäter.

Zum Verständnis muß man wissen: Der Finanzmarkt wird in Kapital- und Geldmarkt eingeteilt. Der Kapitalmarkt umfaßt langfristig gehaltenes ertragbringendes Vermögen (Geld, Wertpapiere oder reale Güter). Im Geldmarkt werden etwa Geldmarktpapiere mit kurzer Laufzeit gehandelt. So wird deutlich, worin die prinzipielle Ursache der Krise liegt: Langfristiges Kapital für den Kapitalmarkt ist von Natur aus nur in begrenzter Form vorhanden. Seine Menge hängt vom Stand der Volkswirtschaft ab. Wenn die Nachfrage danach die Leistungsfähigkeit des Kapitalmarkts überfordert, steigen die langfristigen Zinsen, bis sich ein Ausgleich ergibt: ein gesunder Marktmechanismus.

Das "Wunder", mit welchem in den letzten Jahren Kreditinstitute Geld verdient haben, besteht darin, daß sie unter Verstoß gegen das KWG zur Finanzierung langfristiger Investitionen in großem Umfang kurzfristige Kredite aufgenommen haben: Geldmarkt und Kapitalmarkt wurden vermischt und das Geldvolumen auf der Kapitalmarktseite ohne realen Hintergrund inflationär aufgebläht. Das Weltfinanzsystem kann erst dann wieder in Ordnung kommen, wenn allmählich die kurzfristige Finanzierung des Kapitalmarkts rückgängig gemacht wird. Das kann etwa dadurch geschehen, daß dieses Kapital langfristig gestundet wird. Insbesondere sollten die mitschuldigen Gläubigerbanken bis zur "Schmerzgrenze" die Risiken ihrer Fehlanlage wenigstens teilweise durch Stundung ihrer Forderung gegenüber der HRE tragen. Das wäre der richtige Weg zur Wiederherstellung der Fristenkongruenz ("Goldene Bankregel").

Riskante Garantieerklärung für alle Giro- und Sparkonten

Wenn der Bund sich für die HRE gegenüber den Geldgebern verbürgt und die kurzfristigen Verbindlichkeiten der HRE ablöst, geht die Forderung nach dem BGB auf ihn über, sie wird dadurch de facto mittel- oder langfristig. Das strukturelle Problem Kapitalmarkt/Geldmarkt kommt auch dadurch seiner Lösung näher.

Stundung führt in diesem Falle nicht zum Verlust der Forderung, weil die Ausleihungen der HRE anders als die der IKB (JF 17/08) wohl als solche werthaltig sind (Schuldner ist meist die öffentliche Hand). Daher kann wohl im Falle HRE langfristig auch der Bund damit rechnen, daß die von ihm geleisteten Zahlungen wieder an ihn zurückfließen. Falsch wäre es, jeweils neue kurzfristige Finanzierungen zu verbürgen, weil dann die verkehrte Finanzierungsstruktur verfestigt würde.

Mittäter ist auch der Bund selbst. Dieser hat über seine Konzerngesellschaft IKB ähnliche Geschäfte wie HRE betrieben. Der damalige Ministerialdirektor Jörg Asmussen vom Finanzministerium hat solche Geschäfte in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (19/06, S. 1016-1018) gepriesen. Da ausgerechnet Asmussen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beaufsichtigte und im IKB-Aufsichtsrat saß, ist es kein Wunder, daß die BaFin die gleichen Geschäfte auch bei der HRE nicht in Frage gestellt hat. Die Bürgschaft des Bundes, die nach Artikel 115 Grundgesetz nur aufgrund eines Gesetzes möglich ist, muß also sehr vorsichtig gefahren werden und darf nicht die Mittäterbanken begünstigen.

Die von Kanzlerin Angela Merkel gegenüber allen Sparern abgegebene "Garantie" für ihre Konten ist rechtlich nicht durchsetzbar. Es fehlt nicht nur an einer Ermächtigung des Gesetzgebers, sondern auch an der für eine Bürgschaft nach dem BGB erforderlichen Schriftform. Die Erklärung ist dennoch riskant, da sie sich als Amtspflichtverletzung erweisen könnte, wenn Bürger auf die Erklärung vertrauen und nur deshalb mögliche Rettungsmaßnahmen für ihr Vermögen unterlassen haben.

Personelle Konsequenzen müssen nicht nur bei der HRE, sondern auch bei den Mittäterbanken gezogen werden. Das gleiche gilt zumindest für den Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und seinen Staatssekretär Asmussen. Die Bankenkatastrophe in Deutschland ist auch das Werk des Bundes unter besonderer Beteiligung der KfW-Bank. Wenn in Berlin die Bundesregierung sowie die Vertreter der beteiligten Banken einschließlich der HRE über die Krise beraten, bietet sich dem Bürger ein ungewohntes Bild: Hier sitzen viele Täter zusammen, die über Nacht als Böcke zu Gärtnern geworden sind.

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